Verbale Angriffe im Netz oder körperliche Attacken: Politiker müssen sich einiges gefallen lassen. Ministerpräsident Kretschmann meint, dass das auch eine Folge der AfD-Rhetorik ist.

Stuttgart - Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) weist der AfD eine Mitschuld an einer Verrohung der Gesellschaft zu. „Ich sehe die AfD klar in der Verantwortung. Schon ihre Reden im Landtag sind durchzogen von dumpfem Nationalismus und plumpen Ressentiments“, sagte Kretschmann der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. „Da sind Maß und Mitte gänzlich verschwunden. Institutionen werden zutiefst verachtet.“

 

Kretschmann äußerte sich vor dem Hintergrund des tödlichen Angriffs auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) und der gewaltsamen Attacke auf den Hockenheimer Oberbürgermeister Dieter Gummer (SPD).

Gefährliche Sprache

Kretschmann verwies auch auf die Reaktion der AfD-Politiker Stefan Räpple und Wolfgang Gedeon auf eine Entscheidung des Landesverfassungsgerichts. Die Richter hatten geurteilt, dass Räpple und Gedeon zeitweise aus dem Landtag in Stuttgart ausgeschlossen werden durften. Die beiden Politiker hatten die Ordnungsrufe der Präsidentin nicht befolgt und den Saal nach dem Ausschluss erst in Begleitung von Polizisten verlassen.

Räpple sprach nach dem Urteil von einem „Schauprozess“. Kretschmann sagte, das sei ein Begriff aus totalitären Staaten: „Schauprozesse gab es bei Stalin und bei Hitler. Da merkt man diese Maßlosigkeit und dass diese Leute überall stehen - nur nicht auf dem Boden unserer Verfassungsordnung.“

Der Unterschied zu früher

Der Regierungschef ergänzte: „Früher wurden am Stammtisch auch wüste Dinge gesagt, vor allem hat man gut gebechert dabei. Aber das hat halt fünf Leute erreicht.“ Heute erreiche man gleich Tausende bei Facebook - und es schaukele sich in der „Blase“ einfach hoch. „Dazu kommt der Sound von Rechtspopulisten und Nationalisten. Nationalismus gehört zu den gefährlichsten politischen Giften der Neuzeit.“

Er selbst habe keine Angst vor Angriffen, sagte der Grünen-Politiker, der seit Jahrzehnten in der Politik ist. „Ich versuche das gänzlich von mir fernzuhalten. Ich bin aber auch in der privilegierten Situation, dass ich im öffentlichen Raum von Personenschützern bewacht werde.“ Niemand stecke Morddrohungen einfach so weg. Das sei das Ziel solcher Bedrohungen: die Menschen einzuschüchtern. „Es gibt den Sound, dass Politiker wie Freiwild sind. Man kann denen an den Kopf schmeißen, was einem gerade so einfällt.“ Eine Folge sei, das Menschen zögerten, überhaupt noch in die Politik zu gehen.

Darum leugnet die AfD den Klimawandel

Kretschmann bezweifelt, dass die AfD vor allem von einkommensschwachen, wirtschaftlich abgehängten Bevölkerungsgruppen getragen werde. „Baden-Württemberg hat die besten wirtschaftlichen Kenndaten, die wir je hatten. Und trotzdem bekommt die AfD aus dem Stand 15 Prozent.“ Er bezog sich auf das Ergebnis für die AfD bei der Landtagswahl 2016. Die AfD ist seitdem die größte Oppositionsfraktion im Landtag. „Wir haben doch keine 15 Prozent der Bevölkerung, die abgehängt sind.“

Der Ministerpräsident äußerte zugleich eine Vermutung, warum in der AfD viele Leugner der menschengemachten Klimakrise zu finden sind: „Rechtspopulisten sind Klimaleugner, weil der Kampf gegen die Klimakrise nur global gewonnen werden kann.“ Dem Treibhaus-Molekül in der Luft sei es egal, wo es herkomme. „An dem Punkt versagt nationales Denken vollkommen. Deswegen müssen Rechtspopulisten die Klimakrise leugnen.“