Der Westen droht, immer tiefer in den religiösen und ethnischen Konflikt im westafrikanischen Mali verwickelt zu werden. Frankreich konnte die Lage nur vorübergehend beruhigen. Und die Lage wird immer brenzliger.

Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)

Bamako - Abou Sanogo tritt in die Pedale als wäre die Landstraße zwischen Bamako und Bougouni nicht voller Staub, Hitze und Gefahren – Kriegsgefahren. Bei der zweiten Austragung des Radrennens Tour du Mali folgen dem dreißigköpfigen Fahrerfeld dichtauf mehrere Lastwagen mit Elitesoldaten auf der Ladefläche. Das Gewehr im Anschlag, beobachten sie das Buschwerk an der Seite.

 

Zuvorderst fährt Sanogo. Der Halbprofi trotzt allen Widersachern und Heckenschützen. Nach 141 Kilometern fährt er als Sieger in Bougouni ein und freut sich, als hätte er die Tour de France gewonnen. Der Krieg in Mali, bisher auf den Norden des Landes beschränkt, breitet sich derweil aus: Die achte Ausgabe der Tour du Mali ist auf drei Etappen im Süden geschrumpft; der Rest des Landes ist zu unsicher.

Frankreich kam, siegte – und wird immer unbeliebter

In der Hauptstadt Bamako mit 3,4 Millionen Einwohnern gab es bereits mörderische Anschläge auf ein Luxushotel, eine Bar und ein Tourismus-Resort. Ziele waren jeweils Franzosen. Frankreich hat 2013 Elitetruppen und Fremdenlegionäre nach Nordmali geschickt, um die wüstenerprobten Islamisten – die nach dem Sturz des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi nach Mali zurückgekehrt waren – aus ihrem Gottesstaat Azawad in Nordmali zu vertreiben. Die Operation gelang, die 19 Millionen Malier waren der ehemaligen Kolonialmacht dankbar. Heute sehen sie in den Franzosen aber vor allem „Besatzer“, wie malische Lokaljournalisten im Gespräch erzählen; schreiben würden sie das nicht. Die Franzosen untersagen der malischen Armee bis heute den Zutritt zu einzelnen Wüstenstädten wie Kidal.

Wollen sie damit die Tuareg-Nomaden decken, die bei den übrigen Maliern wenig Sympathien genießen? Auf jeden Fall verheddern sich die Franzosen zunehmend in die ethnisch, religiös und politisch komplexen Verhältnisse Malis. „Es ist wie in Afghanistan: Je mehr sich die französische Armee engagiert, desto schlimmer wird die Lage, desto stärker wird der bewaffnete Dschihadismus“, sagt der französische Ex-Diplomat Laurent Bigot.  Der Afrikaspezialist wurde vor einigen Jahren aus dem Staatsdienst entlassen – vielleicht, weil er die Dinge in Westafrika beim Namen nennt. „Wir begehen den gleichen Fehler wie in Kabul, wenn wir nur den Terrorismus bekämpfen. In Mali ist er eine Folge von Armut, Arbeitslosigkeit und der Korruption unter dem malischen Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta.“ Der war 2013 mithilfe von Paris an die Macht gekommen.

Die Gotteskrieger missionieren gegen die „Kolonialisten“

Zwischen Sahel und Sahara gelegen, ist Mali ein Schlüsselstaat Westafrikas. Dank ihrer ruhigen Mentalität lebten die zahlreichen Ethnien der Bambaras, Dogons oder Peuls bisher friedlich miteinander, ähnlich wie die gemäßigten Muslime mit der christlichen Minderheit, die etwa zehn Prozent ausmacht. Die soziale und konfessionelle Eintracht leidet aber mehr und mehr in einem Krieg, der fern von den medialen Schlagzeilen weitergeht. Die gut 4000 Soldaten der französischen Militäroperation Barkhane haben in den letzten drei Jahren nach eigenen Angaben 450 Dschihadisten „neutralisiert“, zu Deutsch: getötet.

Andere Gotteskrieger haben die Wüstenzone verlassen und die französischen Stellungen umgangen: Sie missionieren neu im zentralen Landesteil. Mit ihren Slogans gegen die „Kolonialisten“ in Paris und die „Plünderer“ in Bamako ziehen sie die Peuls auf ihre Seite. Diesen relativ hellhäutigen Hirten und Viehzüchtern versprechen die Islamisten eine Rückkehr zu ihrem im 19. Jahrhundert blühenden Reich. Das ist auch gegen die sesshaften Dogons gerichtet, unter denen viele Protestanten und Animisten sind.   So verwandeln die Dschihad-Banden den malischen Schmelztiegel mithilfe strenggläubiger lokaler Prediger in ein ethnisches Pulverfass. Viele Dogon- und Peul-Dörfer rüsten Milizen aus. In der Stadt Gao hat der Gouverneur Anfang März eine nächtliche Ausgangssperre erlassen, nachdem es bei Zusammenstößen Tote gab.

Ein Handyverkäufer bangt um sein Leben

Auch deutsche Soldaten, die in Mali im Rahmen der UN-Operation Minusma und einer EU-Ausbildungsaktion präsent sind, kamen seit Monatsbeginn zum Einsatz, um die Lage mit militärischen Kontrollposten zu beruhigen.   „Man sieht in Gao immer mehr Zivilisten mit Gewehren“, erzählt Souleyman, ein Telefonverkäufer, der seinen Nachnamen nicht nennen will. „Nach zwei Monaten in Mopti und Gao bedrohten mich bärtige Männer. Sie sagten mir, wir brauchen hier keine Handys mehr, wenn wir die Scharia eingeführt haben“, berichtet der 35-jährige Malier, der von seiner Firma aus Sicherheitsgründen nach Bamako zurückbeordert wurde.  

Die Handvoll Terrorgruppen von Al-Kaida, IS oder des berüchtigten Tuaregkämpfers Iyad ag-Ghali stoßen auch über die Grenzen Malis in benachbarte Länder vor. In Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, brachten sie Anfang März sieben einheimische Militärs um. Der nur mit Armeekomplizen mögliche Anschlag galt offenbar einer Tagung der Staatengruppe G 5 Sahel (Mali, Burkina, Tschad, Mauretanien und Niger). Sie soll auf Betreiben von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und mit finanzieller EU-Hilfe eine Nachfolgetruppe für die Operation Barkhane auf die Beine stellen.  

Malis Präsident Keïta unterstützt die Aktion jedoch kaum. Der UN-Sicherheitsrat hat ihm deshalb auf französischen Wunsch ein Ultimatum gesetzt: Wenn er ein 2015 geschlossenes Friedensabkommen zwischen Maliern und Tuareg nicht bis Ende März umzusetzen beginnt, kürzt die UN die Entwicklungshilfe. Doch Keïta beschäftigt sich nur mit seiner Wiederwahl im Juli. Die Franzosen sind ihrerseits im Norden beschäftigt. So stoßen die radikalen Kriegstreiber im Zentrum des Landes auf wenig Widerstand. Das zivile Leben kommt zum Erliegen. Ein Tour-du-Mali-Organisator in Bougouni sagt: „Möge das Radrennen auch nächstes Jahr noch einmal stattfinden – Inschallah!“