Der Verteidiger von des früheren Wirecard-Chefs Markus Braun schlägt zurück. Kronzeuge Oliver Bellenhaus ist demnach ein Lügenbaron und der wahre Haupttäter in dem Finanzskandal.

Zweieinhalb Stunden spricht der Verteidiger des im Münchner Wirecard-Prozess Hauptangeklagten Markus Braun. Danach weiß man nicht mehr, wer Opfer und wer Täter ist oder ob der Prozess überhaupt eine Chance hat, fortgesetzt zu werden. Schonungslos vorverurteilt worden sei sein Mandant, wahlweise als größter Wirtschaftskrimineller oder dümmster Vorstandschef aller Zeiten, beginnt Strafverteidiger Alfred Dierlamm sein Eröffnungsplädoyer am Landgericht München, wo die Pleite des ehemaligen Dax-Konzerns Wirecard juristisch aufgearbeitet wird. Dann kommt er auf Oliver Bellenhaus, Angeklagter und Kronzeuge in Personalunion, zu sprechen. „Er war zu keiner Zeit Kronzeuge, sondern Haupttäter“, sagt Dierlamm und legt nach.

 

Existieren 1,9 Milliarden Euro oder nicht?

Die 1,9 Milliarden Euro Treuhandvermögen, die bei der Pleite von Wirecard im Juni 2020 nicht aufzufinden waren, hätten im Gegensatz zur Darstellung der Staatsanwaltschaft wirklich einmal existiert. Praktisch die gesamte Summe sieht Dierlamm auf Konten dokumentiert. „Die Zahlungen sind aber nicht auf Treuhandkonten weitergeleitet, sondern auf Schattengesellschaften verschoben worden“, erklärt der Strafverteidiger. Vier dazu dienende Veruntreuungsgesellschaften, die von Bellenhaus kontrolliert wurden, habe er identifizieren können. Der frühere Wirecard-Topmanager Jan Marsalek sei Teil der Bande um Bellenhaus gewesen.

„Herr Braun war nicht involviert und hat von den Schattenstrukturen erst aus den Ermittlungsakten erfahren“, stellt der Starverteidiger noch klar. Dann folgt der völlige Rundumschlag. Die Staatsanwälte hätten sich nicht nur von Bellenhaus etwas vorlügen lassen. Sie hätten sich auch lange geweigert, der Spur des – in seiner Version der Wahrheit – existierenden Geldes zu folgen, um so das Tatbild vom Bandenboss Braun nicht hinterfragen zu müssen.

Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft

„Die Staatsanwaltschaft hat nichts unternommen, um den eigentlichen Tatverhalt aufzuklären“, kritisiert Dierlamm. So habe man eine falsche Verdachtshypothese aufrecht erhalten können. Entlastendes sei in der Anklage verschwiegen worden, weil das nicht ins Drehbuch der Staatsanwälte passe.

Beim bösen Spiel hätten auch der Wirecard-Insolvenzverwalter, der Bundestag mit einem Untersuchungsausschuss und das Oberlandesgericht München mitgespielt.

Letzteres habe seinen Mandanten zweieinhalb Jahre in Untersuchungshaft gehalten, obwohl er sich freiwillig gestellt, dazu aus dem österreichischen Ausland angereist sei und Zweifel an seiner Schuld bestünden. Dann versucht Dierlamm den ganzen Prozess zu Fall bringen.

Er stellt einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens. Denn in den Wochen vor Beginn der Verhandlung habe die Staatsanwaltschaft dann doch begonnen, die von Dierlamm als wichtig eingestuften Konten genauer unter die Lupe zu nehmen und die Verteidigung „mit mehr als zehntausend Blatt Akten überflutet“, wie der Strafverteidiger sich ausdrückt. Für weitere Konten laufe eine Ausforschung noch. Neue Datenberge seien während des Prozesses zu erwarten. Das alles sein in einem laufenden Verfahren, das ohnehin unter einem schweren Geburtsfehler leide, nicht zu verarbeiten. Es müsse deshalb auf Monate ausgesetzt werden.

Anwalt des Mitangeklagten hält dagegen

Das ist starker Tobak, mit dem sich zuerst Florian Eder als Verteidiger des heftig angefeindeten Kronzeugen auseinandersetzt. Er beginnt mit den Treuhand-Milliarden und streitet deren Existenz ab. „Wirecard als solches war schlicht ein Blendwerk“, sagt Eder ganz auf Linie der Staatsanwaltschaft. Sein Mandant habe Mitschuld früh eingestanden und werde das vor Gericht wiederholen. Warum hätte er aus dem arabischen und für deutsche Strafverfolger kaum erreichbaren Dubai nach Deutschland kommen und sich stellen sollen, wäre er Kopf einer Verbrecherbande, die Milliarden in Sicherheit gebracht hat, fragt sich sein Anwalt und nicht nur der.

Sein Mandant sei glaubwürdig. „Seine Geschichte stimmt mit den Beweismitteln überein“, betont Eder. Vielmehr sei Brauns Verteidigungsstrategie antrainierter Teil des Systems Wirecard. „Angriffe werden mit Gegenangriff beantwortet.“ Braun stelle sich als Opfer eines internen Bankraubs dar, so wie sich Wirecard jahrelang als Opfer übler Nachrede inszeniert habe. „Aber Herr Braun ist kein Opfer“, schließt Eder. Kommenden Mittwoch will sein Mandant reden.