Weder die Arbeitsagentur noch die IHK kann eine Prognose für den Kreis Böblingen abgeben.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Böblingen - Bis Donnerstag, 12. März, war die Situation noch überschaubar. Deshalb liefert die Stuttgarter Agentur für Arbeit die aktuellen Arbeitsmarktzahlen für den Monat März im Kreis Böblingen mit einer Einschränkung: Sie spiegeln nicht die Wirklichkeit wider.

 

Denn die Realität seit den Einschränkungen des öffentlichen Lebens ist statistisch noch nicht erfasst. Zwischen 13. Februar und 12. März betrug die Arbeitslosenquote noch 2,9 Prozent, 0,1 Prozentpunkte weniger als im Februar. In den vier Wochen waren genau 6507 Personen arbeitslos gemeldet. Das waren 127 weniger als im Februar, aber 568 mehr als vor einem Jahr. Und es gab noch 2415 freie Stellen.

Viele Betriebe sind geschlossen

Diese Zahlen würden die tatsächliche Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht abbilden, sagt Susanne Koch, die Vorsitzende der Geschäftsleitung der Agentur für Arbeit Stuttgart. „In den zwei Wochen, die seit dem Stichtag für die Erhebung verstrichen sind, hat sich die wirtschaftliche Lage der Betriebe und unser aller Leben entscheidend verändert“, teilt sie mit. Zur Eindämmung des Coronavirus wurden viele Betriebe im Handel und der Gastronomie geschlossenen, in der Industrie wurde die Produktion eingestellt, etwa im Sindelfinger Mercedes-Benz-Werk. Die Folgen der Corona-Krise könnte die Arbeitsagentur frühestens Mitte April einschätzen. Denn die Daten für die Ermittlung der Arbeitslosenquote werden stets von der Mitte des Vormonats bis zur Mitte des aktuellen Monats gesammelt.

„Der Arbeitsmarkt befindet sich in einer Situation, deren Dimensionen wir vor einem Monat noch nicht ermessen konnten“, teilt Susanne Koch mit. Auch die Anmeldungen von Kurzarbeit gebe keine Aufschlüsse über die Folgen der Virusbekämpfung. Im März gingen im Bezirk der Stuttgarter Arbeitsagentur, zu dem auch der Kreis Böblingen zählt, rund 5000 Kurzarbeitsanzeigen ein. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2019 waren es nur 125. Wie viele Mitarbeiter betroffen sein werden, und in welchem Umfang die Betriebe Kurzarbeit in Anspruch nehmen, ist noch nicht klar. Zumal hinter einer Anzeige sowohl eine Firma mit fünf Mitarbeitern stehen kann als auch ein Großbetrieb mit mehreren Tausend Mitarbeitern. Klar sei nur, dass alle Arbeitnehmer mit finanziellen Einbußen rechnen müssten, teilt Susanne Koch mit.

Keine Arbeit für Physiotherapeuten, Nachhilfelehrer oder Taxifahrer

„Die Lage ist für viele Betriebe dramatisch“, sagt auch Tilo Ambacher. Der stellvertretender Geschäftsführer der Böblinger Bezirkskammer der Industrie- und Handelskammer berät die betroffenen Firmen. Vor allem kleinere und mittlere Betriebe aus der Gastronomie und dem Einzelhandel sowie Soloselbstständige aus dem Dienstleistungsbereich hätten keine Kunden mehr. Physiotherapeuten, Nachhilfelehrer oder Taxifahrer: „Es rufen alle an“, weil die Einnahmen weggebrochen, aber die Kosten geblieben sind.

In der Industrie gibt es laut Tilo Ambacher noch das ein oder andere Unternehmen, das weiterhin produziert. Das kann der Volkswirt an den Anträgen für Exportbescheinigungen erkennen. „Aber es sind längst nicht mehr so viele wie vorher“, schränkt er ein. Auch die Großen im Kreis würden mit unterbrochenen Lieferketten und weggebrochenen Aufträgen kämpfen. Immerhin seien die Unternehmen im Kreis vor der Krise in einer guten Verfassung gewesen und die Hilfen von Land und Bund milderten einiges ab.

Aber anders als bei der Finanzkrise 2008 seien flächendeckend alle Branchen betroffen. Eine Prognose für die weitere Entwicklung kann Tilo Ambacher nicht abgeben, weil die wichtigste Variable fehlt: Wie lange der Stillstand noch dauert.