Das Wirtschaftsarchiv erzählt Firmengeschichten. Heute: die Firma Bleyle aus Stuttgart.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Plieningen - Sein erster Bleyle. Der Junge steht in Latzhosen auf dem Holzschemel. Sein älterer Bruder hält die Matrosenbluse bewundernd nach oben. Das Bild sagt: Nun ist es also so weit, es ist Zeit für den ersten Knabenanzug. Und genau dafür stand die Stuttgarter Strickwarenfabrik Bleyle mit ihrem Namen.

 

Denken Männer an Bleyle, denken sie bestimmt schnell an einen kratzigen Matrosenanzug. Denken die Mütter von damals an Bleyle, denken sie wohl vor allem ans Praktische. Sie konnten kaputte Strickkleider von Bleyle flicken lassen, und der Anzug wurde nie zu klein. Bleyle strickte bei Bedarf einfach an. „Das war der Inbegriff an Qualität, absolut unverwüstlich“, sagt Jutta Hanitsch, die im Wirtschaftsarchiv der Universität Hohenheim stellvertretende Direktorin ist.

In Hohenheim liegt die gebündelte Geschichte der Stuttgarter Strickwarenfabrik Bleyle, im Wirtschaftsarchiv lagern seit Mitte der 1980er Jahre die Erinnerungen an die Matrosenanzüge von damals. Zum Nachlass der Bleyle-Ära gehören etwa die Familienchronik, Schriftwechsel, Veröffentlichungen oder Erbangelegenheiten.

Im Ersten Weltkrieg mangelte es an guter Wolle

Die Firma Bleyle hat fast genau 100 Jahre lang Strickwaren produziert. Der Gründer Wilhelm Bleyle – ein wohnhafter Degerlocher – hat 1889 mit drei Mitarbeitern in Stuttgart angefangen. Sein Markenzeichen im In- und Ausland: Bleyle wirkte Kleider nicht an einem Stück, sondern in Bahnen. Die konnte er zuschneiden und figurbetont zusammennähen. Das war neu.

Im Ersten Weltkrieg mangelte es der schwäbischen Firma an guter Wolle. Die Firma verkaufte ihre Waren in dieser Zeit deshalb nicht unter ihrem Namen; sie hatte Sorge, ihrem Ruf zu schaden. Mit dem Matrosenanzug ging es im Dritten Reich bergab. Die Nazis wollten die Kinder anders anziehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg löste die Damen- und Herrenmode schließlich die Kleider für die Kleinen ab.

Dabei hatte mit den Knabenanzügen alles angefangen. Wilhelm Bleyle hatte sich einst eine Strickmaschine gekauft, um günstige Kleider für seine sechs Kinder zu nähen. Es kam eines zum anderen, Bleyle strickte irgendwann nicht nur für den Hausgebrauch, sondern für ganz Deutschland. Im Jahr 1913 lag der Umsatz bei fünf Millionen Mark.

Die Billigkonkurrenz aus dem Ausland kamen

Anfang der 1970er Jahre kam die Firma wirtschaftlich ins Straucheln. Mit der Billigkonkurrenz aus dem Ausland konnte der Stuttgarter Textilhersteller nicht mithalten. „Und Strick war einfach nicht mehr so angesagt“, sagt Hanitsch vom Wirtschaftsarchiv. Die Bleyle-Klamotte galt irgendwann als altmodisch. 1988 war es vorbei. Die Marke gibt es noch, eine österreichische Tochterfirma produziert unter dem Namen Bleyle gestrickte Damenmode.

„Der Matrosenanzug – sonst maßgeschneidert für Adels- und Kaiserkinder – ist durch die Bleyle-Konfektion auch für die Bürgerjugend erschwinglich geworden“, warb das Stuttgarter Unternehmen ehedem für seine Wirkware. Gekratzt hat der Anzug trotzdem.

Schätze aus dem Archiv

Serie:
Für unsere neue Sommerserie „Geschichten aus dem Hohenheimer Wirtschaftsarchiv“ lesen Sie in den kommenden Wochen immer mittwochs im BLICK VOM FERNSEHTURM Porträts von bekannten und weniger bekannten Unternehmen, die in Stuttgart und Umgebung ansässig waren. Nächste Woche stellen wir die Nudelfabrik Birkel aus Weinstadt-Endersbach vor.