Das Wirtschaftsarchiv erzählt Firmengeschichten.Heute: der Sekthersteller Kessler aus Esslingen.

Stuttgart-Plieningen - Champagner, Geld und Kleider. Das passte schon immer zusammen, vor allem in Frankreich, wo der edle Schaumwein gekeltert wurde. Das Champagner-Geschäft warf zwar hohe Renditen ab, war aber nicht krisensicher. Umherziehende napoleonische Heere verschreckten die europäische Kundschaft. Kleider mussten die Leute immer tragen. Und über die eigene Bank die Geldgeschäfte abzuwickeln, konnte nur von Vorteil sein. So lässt sich verkürzt die Gründungsgeschichte des Hauses Veuve Cliquot beschreiben. Und eben jenes Firmenkonstrukt lernte Georg Christian Kessler kennen, als er von 1807 bis 1825 in Reims arbeitete und es in dieser Zeit zum Geschäftsführer brachte.

 

Die Nachwelt hätte den Heilbronner Kaufmann längst vergessen, wenn es ihn nicht wieder in deutsche Lande gezogen hätte. 1825 lässt er sich in Esslingen nieder, gründet ein Textilunternehmen und ein Jahr später die nach ihm benannte Sektkellerei. Immerhin, „eine Bank hat er nicht gegründet“, sagt Gert Kollmer von Oheimb-Loup. Er ist Direktor des Wirtschaftsarchivs der Uni Hohenheim, und wenn die Sprache auf Georg Christian Kessler kommt, funkeln die Augen des Professors.

Kessler Sekt wird heute in sechster Generation geleitet

„Kessler ist zwar nicht riesig, aber er ist einer der Schlüsselunternehmer für die Wirtschaftsgeschichte des Landes“, sagt Kollmer von Oheimb-Loup. Kessler stellte als erster Betrieb in Deutschland den Schaumwein her. Gerade deshalb sei es wichtig, dass die bis ins Jahr 1825 zurückreichenden Firmenunterlagen erhalten bleiben. Oft stapeln sich die Aktenbündel schlicht in Kartons, ohne dass ersichtlich ist, was unter dem Deckel schlummert. Mitarbeiter des Wirtschaftsarchivs sichten deshalb die Bestände und sortieren sie so, dass man sie wiederfinden kann. Forscher fragen nun in Hohenheim nach, wenn sie etwas über Kessler wissen wollen. „Es gibt sogar Anfragen aus Japan“, sagt Kollmer von Oheimb-Loup.

Inventarlisten, Bilanzbücher, Glückwunschkarten und Betriebsratsprotokolle zu durchstöbern, hört sich nach trockener Kost an. Und auch unter dem Schlagwort Arbeitsvertrag würden wohl nur wenige einen Sensationsfund vermuten. Nicht so Kollmer von Oheimb-Loup. Die Hohenheimer besitzen ein Lehrjungenbuch aus dem Jahr 1826. „Daraus geht hervor, dass Kessler schon damals Lehrlinge ausgebildet hat. Das ist etwas Besonderes, denn normalerweise wurden die Lehrlinge in Handwerksbetrieben ausgebildet.“ Es sind Funde wie dieser, weshalb der Archivdirektor von einem Schatz spricht. „Wenn es etwas aus der Anfangszeit der Industriellen Revolution gibt, dann läuten bei uns alle Glocken. Und bei Kessler ist das so.“

Als Kessler 1842 starb, produzierte seine Firma 140 000 Sektflaschen im Jahr. Die Steudelsche Tuchfabrik hatte er bereits 1830 wieder verkauft. Aus ihr wurde später das in Esslingen bekannte Unternehmen Merkel & Kienlin, das 1975 den Betrieb einstellte. Die Firma Kessler Sekt wird heute in sechster Generation geleitet.