Die türkische Konjunktur schwächelt – das Bruttoinlandsprodukt befindet sich auf Talfahrt. Das erhöht kurz vor den Kommunalwahlen den Druck auf Staatschef Recep Tayyip Erdogan.

Istanbul - Die Konjunktur in der Türkei verliert deutlich an Dynamik. Für Staatschef Recep Tayyip Erdogan ist das drei Wochen vor den wichtigen Kommunalwahlen eine besonders schlechte Nachricht. Erstmals seit der globalen Finanzkrise vor zehn Jahren ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in der Türkei in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen geschrumpft. Technisch befindet sich das Land damit in einer Rezession.

 

Nachdem die Wirtschaftsleistung bereits im  dritten Quartal 2018 um 1,6 Prozent zurückging, hat sich die Talfahrt im letzten Vierteljahr beschleunigt: Im Vergleich zum Vorquartal schrumpfte das BIP um 2,4 Prozent, im Jahresvergleich sogar um drei Prozent – so die Daten, die das staatliche türkische Statistikamt Türkstat am Montag veröffentlichte. Der Rückgang fiel stärker aus als von den meisten Analysten erwartet. Sie hatten mit einem Minus von 2,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr gerechnet. Der Abschwung ist umso gravierender, weil die türkische Wirtschaft in den vergangenen Jahren stark zugelegt hatte. Zwischen 2003 und 2016 verzeichnete das Land durchschnittliche jährliche Wachstumsraten von 5,5 Prozent. 2017 übertraf die Türkei mit einem Plus von 7,4 Prozent sogar China. Nach der globalen Finanzkrise profitierte die Türkei vor allem vom Zufluss ausländischen Risikokapitals. Die türkischen Banken konnten infolge der Geldschwemme mehr Kredite vergeben. Das feuerte die Binnenkonjunktur an.

Inflation von 20 Prozent

Aber angesichts steigender Zinserwartungen im Dollarraum machen viele Anleger und Investoren inzwischen einen Bogen um Schwellenländer wie die Türkei. Die Kapitalabflüsse brachten die Lira unter Druck. Im vergangenen Jahr verlor die türkische Währung gegenüber Dollar und Euro fast 30 Prozent ihres Außenwerts. Die Folge ist eine Inflation von derzeit rund 20 Prozent.

Noch Ende Januar hatte Finanzminister Berat Albayrak auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos erklärt, er sehe keine Rezession. Der Abschwung sei „weniger ernst als die Ökonomen glauben“, so der Minister. Man habe „das Schlimmste überstanden“, twitterte Albayrak am Montag. Für 2019 erwartet er ein Wirtschaftswachstum von 2,3 Prozent, nach 2,6 Prozent im Vorjahr. Ob sich diese Prognose bewahrheitet, ist aber fraglich. Denn zum Jahresbeginn scheint sich die Talfahrt weiter zu beschleunigen. Abzulesen ist das unter anderem am Automobilmarkt, der als wichtiger Konjunkturindikator gilt. Nachdem die Neuzulassungen im vergangenen Jahr um 28 Prozent zurückgingen, lagen die Neuwagenverkäufe im Januar 2019 um fast 60 Prozent unter dem Vorjahreswert.

Wachsende Arbeitslosenzahlen und steigende Preise

Der Abschwung wird für die Menschen in wachsenden Arbeitslosenzahlen und steigenden Preisen spürbar. Knapp drei Wochen vor den Kommunalwahlen, die in der Türkei als wichtiger Test für die Regierung gelten, kommt Erdogan unter Druck. Dass er die Türkei seit nun 16 Jahren regiert, verdankt er vor allem dem „Wirtschaftswunder“ zu Beginn seiner Amtszeit. In den ersten zehn Jahren der Ära Erdogan verdreifachte sich das Pro-Kopf-Einkommen. Die landesweiten Massenproteste vom Sommer 2013 überstand Erdogan ebenso wie die sechs Monate später aufgekommenen Korruptionsvorwürfe.

Seit dem Putschversuch vom Juli 2016 hat er seine Macht weiter gefestigt. Als Staatschef führt er das Land jetzt im Alleingang. Das Parlament ist im neuen Präsidialsystem praktisch entmachtet, die Opposition ist eingeschüchtert, die Medien liegen fast vollständig auf Regierungslinie. Meinungsforscher prognostizieren bei der Kommunalwahl allerdings Einbußen für Erdogan – vor allem wegen der Wirtschaftslage. Die islamisch-konservative Regierungspartei AKP muss fürchten, die Rathäuser in den beiden größten Städten des Landes, Istanbul und Ankara, zu verlieren.

Eine Niederlage in der Bosporusmetropole wäre für Erdogan besonders blamabel, weil er dort Mitte der 90er Jahre seine Karriere als Bürgermeister begann. Der Staatschef bestreitet den Wahlkampf mit Durchhalteparolen, macht „ausländische Mächte“ für den Lira-Verfall und „Lebensmittel-Terroristen“ für die steigen Gemüsepreise verantwortlich. Ob die Türken ihm glauben, wird sich am 31. März an der Wahlurne zeigen.