Es ist schon die größte Forschungsmaschine der Welt: der Teilchenbeschleuniger LHC beim Cern in Genf. Jetzt planen die Physiker etwas noch Gigantischeres – den Bau des Future-Circular Collider (FCC) für 24 Milliarden Euro.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Genf - Physiker am größten Teilchenbeschleuniger der Welt planen ein Zukunftsprojekt mit gigantischen Ausmaßen und Kosten. Falls ihre Pläne umgesetzt werden, entsteht beim Cern, der Europäischen Organisation für Kernforschung (Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire – so der französische Name für Cern) im französisch-schweizerischen Grenzgebiet bei Genf ein 100 Kilometer langer ringförmiger Tunnel teils unter dem Genfer See.

 

In dem Beschleuniger Future-Circular Collider (FCC), für den insgesamt 24 Milliarden Euro veranschlagt sind, würden ab Ende der 2030er Jahre Elektronen und Positronen auf Kollisionskurs gebracht. Zum Vergleich: Der bestehende Teilchenbeschleuniger LHC (Large Hadron Collider, auf deutsch: Großer Hadronen-Speicherring) hat einen 27 Kilometer langen Tunnel.

Alte Anlagen könnten weiter genutzt werden

„Das Projekt würde sich im Genfer Becken gut realisieren lassen“, sagt Studienleiter Michael Benedikt. Die Cern-Physiker suchen unter anderem Erkenntnisse über die ersten Nanosekunden nach dem Urknall und der Entstehung des Universums. Zudem wollen sie bislang unbekannte Teilchen nachweisen.

Um die kleinsten Teilchen der Welt zu untersuchen, braucht es riesige Maschinen. Sie rekonstruieren die erste Billionstelsekunde nach dem Urknall vor 13,7 Milliarden Jahren, indem sie enorme Energie auf engstem Raum konzentrieren. Im LHC werden Atomkernteilchen mit annähernder Lichtgeschwindigkeit (299 792 458 Meter pro Sekunde) gegeneinandergeschleudert.

Alter Teilchenbeschleuniger LHC wird noch 20 Jahre laufen

Der bestehende LHC-Beschleunigerdürfte noch 20 Jahre laufen, sagte Benedikt. Er wurde im Dezember für zweijährige Wartungsarbeiten abgeschaltet. Parallel wird bereits an einem Ausbau mit stärkeren Magneten gearbeitet, dem sogenannten HiLumi LHC-Projekt. Es soll 2025 fertig sein. Die Physiker wollen damit die Zahl der Protonenkollisionen pro Sekunde von einer auf fünf Milliarden erhöhen.

Zunächst würden in dem neuen Tunnel Elektronen und Positronen zur Kollision gebracht. Der FCC wäre dabei bis zu 100 000 mal leistungsfähiger als bisherige Anlagen am Cern, erklärt Benedikt. Nach 15 Jahren Betrieb könne die Maschine durch einen Protonen-Beschleuniger ersetzt werden, der sowohl bei Kollisionsenergie als auch bei der Anzahl der Kollisionen etwa zehn mal so leistungsfähig wäre wie das HiLumi-Projekt. Der Protonenbeschleuniger würde denselben 100 Kilometer langen Tunnel nutzen.

Die 22 Cern-Mitgliedsstaaten entscheiden

Ob der neue Teilchenbeschleuniger tatsächlich gebaut wird, müssten die 22 Mitgliedsstaaten des Cern entscheiden. Das Projekt würde in der ersten Phase neun Milliarden Euro kosten. Der Protonenbeschleuniger, der nach 2055 in Betrieb gehen würde, würde etwa weitere 15 Milliarden Euro kosten.

Seit 1954 wird am Cern Forschungsgeschichte geschrieben

Der LHC ist der leistungsstärkste Teilchenbeschleuniger der Welt. Mehr als 10  000 Wissenschaftler und Techniker aus über 100 Staaten waren an seiner Planung und am Bau beteiligt. Das Herzstück der gigantischen Anlage ist der Ringbeschleuniger (sogenannter Synchrotron) in einem 26,7 Kilometer langen unterirdischen Ringtunnel, in dem Protonen oder Blei-Kerne gegenläufig auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und zur Kollision gebracht werden.

Seit 1954 werden in Genf Teilchenbeschleuniger für die physikalische Grundlagenforschung konstruiert. Die Stahlröhre im LHC-Ringtunnel, die aus 1232 supraleitenden Magneten mit zwei Vakuumröhren im Inneren besteht, muss auf eine Betriebstemperatur von minus 273 Grad Celsius – dem absoluten Nullpunkt – gekühlt worden, um betriebsbereit zu sein.

Der Cern liegt wenige Kilometer vom Genfer Stadtzentrum entfernt in einer ländlichen, idyllischen Landschaft mit Blick auf das Juragebirge. Das Gelände ist ungefähr so groß wie 600 Fußballfelder. Tausende Physiker aus mehr als 60 Staaten forschen dort im Auftrag von Elite-Universitäten und Unternehmen, davon rund 1000 deutsche Forscher.