An den Namensschildern des Verkaufspersonals ist der Zusammenschluss von Wittwer und Thalia bereits vollzogen: Wittwer und Thalia stehen auf diesen die beiden Firmenlogos.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - An den Namensschildern des Verkaufspersonals ist der Zusammenschluss von Wittwer und Thalia bereits vollzogen: Wittwer und Thalia stehen auf diesen die beiden Firmenlogos.

 

Herr Bartle, wie weit ist denn der Zusammenschluss von Thalia und Wittwer inzwischen gediehen fünf Monate nach dessen offizieller Verkündung?

Mehr denn je gilt: Wo Wittwer draufsteht, soll auch künftig möglichst viel Wittwer drin sein. Das bedeutet, dass wir auch künftig unsere hohe Eigenständigkeit haben, auch was unser Angebotssortiment betrifft. Thalia erwartet das auch von uns. Unsere Erfahrung ist ein erhaltenswertes Gut, an dem keine Abstriche gemacht werden sollen. Wittwer ist schließlich nicht nur irgendein Geschäft mitten in der Stadt. Wittwer ist ein weit bekannter Treffpunkt an einem prominenten Ort in der City. Das ist eine Übernahme auf Augenhöhe. Mit unserer Verkaufsfläche von 3100 Quadratmetern und unserem Umsatzvolumen gehören wir zu den bedeutendsten Filialen in der Thalia-Welt. Das empfinden wir als große Wertschätzung.

Trotzdem gab es viel Unruhe nach der Verkündung des Zusammenschlusses. Woran hat das gelegen?

Viele Mitarbeiter hatten Angst und haben sich gefragt: Wo geht die Reise hin, was wird aus meinem Arbeitsplatz? Das ist ja auch verständlich und nachvollziehbar. Aber diese Phase ist nun vorbei, alle können wieder freier atmen: Die 100 Arbeitsplätze bleiben erhalten, 70 davon in der Königstraße, die anderen in unseren Filialen in den Breuningerländern Sindelfingen und Ludwigsburg. Es ist bei dem Stellenabbau geblieben, den wir schon vor der Übernahme vollzogen haben. Anpassungen wird es wohl noch in den Bereichen Rechnungswesen oder Personalabteilung geben, wie es bei Zusammenschlüssen dieser Art üblich ist.

Aber dennoch wird, soll und muss sich ja einiges ändern. Wie wird da konkret vorgegangen?

Es gibt eine Projektgruppe, bestehend aus 25 Leuten von Wittwer wie von Thalia. Dort werden sämtliche Aspekte dieses Zusammenschlusses besprochen und umgesetzt. Denn auch wir wollen die Standards in unserem Haus, die bei Thalia selbstverständlich sind. Da investieren wir viel in den Service. Konkret bedeutet das: Wer heute online bei uns bestellt, kann das Produkt zwei Stunden später in einem unsere Geschäfte abholen. Er kann es sich aber auch nach Hause zusenden lassen, gerne auch per Fahrradkurier. Der Kunde kann jetzt per App bestellen, per Telefon, er kann aber nach wie vor in unser Geschäft kommen. Dort stehen ihm jetzt auch Tablets zur Verfügung, die auch bargeldlose Zahlung möglich machen.

Und in der Buchhandlung selbst: Was wird sich da ändern?

In einigen Bereichen haben wir ja jetzt schon das größte Angebot in der Stadt, etwa bei Reisen, Taschenbuch oder Kinder- und Jugendliteratur. Das werden wir weiter ausbauen, zumal da jetzt schon die Nachfrage enorm ist. in anderen Bereichen werden wir nachlegen. Hinzukommen wird das so genannte buchaffine Sortiment, also beispielsweise Geschenke, Lifestyle-Artikel oder Spielwaren rund um das Thema Buch oder um bestimmte Bücher- und Literaturgruppen. Mal sehen, wie wir das zueinanderführen, es muss ja auch zu den Kunden und zu den Produkten passen. Im Comicbereich beispielsweise ist da einiges vorstellbar. Oder beim Kinder- und Jugendbuch. Den bestehenden Geschenk- oder Spielwarengeschäften wollen wir damit jedenfalls keine Konkurrenz machen. Was für uns zählt: Wittwer ist weiterhin der literarische Leuchtturm dieser Stadt.

Und was bleibt?

Wir bleiben weiter ein verlässlicher Partner von lokalen Einrichtungen wie den Kriminächten, der City-Initiative, der Kinder- und Jugendbuchwoche oder der Vereinigung der Stuttgarter Traditionshändler. Das ist auch der ausdrückliche Wunsch von Thalia. Wir sind weiter als Veranstalter aktiv. 2017 hatten wir etwa 90 Veranstaltungen, darauf wird es 2019 wohl auch hinauslaufen. Dazu gehören große Lesungen mit 500 bis 800 Zuhörern, aber auch kleinere, zu denen etwa 100 kommen. Die finden nach wie vor in unserem Haus sowie außerhalb statt. Die Zusammenarbeit mit Bloggern bleibt, die werden wir noch ausbauen, da gibt es für uns ganz neue Wege der Kommunikation. Ein bedeutendes Standbein bleibt die Literatur der Region. Da wurde zuletzt auch viel Schwarzmalerei betrieben. Aber diesen Bereich bauen wir weiter aus, da behalten wir die volle Eigenständigkeit, das wird auch von uns erwartet

Und dann gibt es auch das Schild Thalia an der Fassade von Wittwer?

Das ist einfacher gesagt als getan. Zuerst musste ja die Kartellbehörde dem Zusammenschluss zustimmen, das ist ja erfolgt. Die Logos sind fertig entwickelt in ihren jeweiligen Schriften und Farben. Aber unsere Außenfassade ist denkmalgeschützt, da ist noch eine Genehmigung erforderlich. Vielleicht klappt das noch vor Weihnachten.

Gibt es auch schon Zukunftsüberlegungen für Wittwer-Thalia am Schlossplatz? Könnte das innerhalb des Unternehmens ein Vorzeige-Modell einer Buchhandlung werden, ein so genannter Flagshipstore?

Solche Überlegungen spielen durchaus eine Rolle, aber um das konkret durchzuspielen, ist die Zeit noch zu kurz. Wittwer ist zwar eine der bedeutendsten Thalia-Filialen in Deutschland, aber in Österreich hat Thalia schon länger Filialen in vergleichbarer Größenordnung oder noch größere.

Was geschieht mit den Filialen in den Breuningerländern Ludwigsburg und Sindelfingen?

Von ihrer Größe und ihrer Aufmachung her passen die jetzt schon ganz gut in die Thalia-Konzeption. Da schreitet die Integration also noch schneller voran als am Schlossplatz.

Wie wird es mit der Beratung weitergehen?

Die hohe Beratungsqualität zählt weiterhin, und da haben wir ja viele entsprechende langjährige Mitarbeiter. Wir suchen auch neue, wobei schon klar ist: Wir wollen nicht nur Verkäufer, sondern Händler. Die Auszubildenden werden wir von fünf auf zehn verdoppeln. Da erwarten wir wie bisher, dass die Jahrgangsbesten aus unserem Haus kommen.

Ein Thema, das alle betrifft, die mit dem gedruckten Wort zu tun haben, ist der Leserschwund. Wie stellen sich da Wittwer und Thalia auf?

Es ist in der Tat so, dass viele Umfragen und Analysen bestätigen, dass es immer weniger Menschen gibt, die Bücher lesen. Das ist bisher noch nicht so aufgefallen, weil die verbliebenen Leser in den vergangenen Jahren dafür hochwertigere Bücher gekauft haben. Aber klar ist: Wir müssen überlegen, wie wir Lesen interessant machen, und das in möglichst frühen Kinderjahren. Für unsere Aktivitäten in diesem Berreich sind wir ja erst vor kurzem mit dem „Gütesiegel: Ausgezeichnete Lesepartner“ vom Land Baden-Württemberg ausgezeichnet. Das bedeutet nicht, dass wir unsere Stammkunden vernachlässigen. Die sind jetzt zwischen 50 und 70 Jahre alt, wir müssen also unseren Blick auch nach vorne richten. Ein anderes Themenfeld hat die Stichworte Erlebnis, Verweilen und Aufenthaltsqualität. Da haben wir auch schon viel investiert. Bücher verkaufen ist alleine heute zu wenig, dazu gehört noch eine Geschichte. Der Urlaub beginnt bei Wittwer etwa dann, wenn sich unsere Kunden auf einen unserer Flugzeugsitze setzen, um in Ruhe die Reiseführer auszuwählen.

Gibt es zu viele Buchhandlungen in Stuttgart?

Nein, das Potenzial in der Stadt ist sehr groß, jede Buchhandlung hat hier ihre Berechtigung, auch die größeren Filialisten. Wir befinden uns eben im Wettbewerb, und Wettbewerb ist wichtig und motiviert uns. Das sehe ich sportlich. Es gibt aber Probleme, die betreffen jeden Buchhandel. Das ist jetzt etwa das Problem, dass viele Händler jetzt in den Ruhestand gehen und keine geeigneten Nachfolger finden. Wenn deshalb ein Buchgeschäft aufgeben muss, auch ein kleines, bedauern wir das sehr, denn die kümmern sich um dasselbe wie auch wir: Um das Buch und um die Literatur.

Nun haben wir viel über die Veränderungen bei Wittwer selbst gesprochen. Welche Veränderungen erhoffen Sie sich im Umfeld des Hauses? Soll es mehr oder weniger Veranstaltungen auf und rund um den Schlossplatz geben?

Also das historische Volksfest hat uns in diesem Jahr sehr gut gefallen. Das war eine sehr qualitätvolle Veranstaltung, da hatten wir eine gute Besucherfrequenz. Da sind wir sehr für eine Fortsetzung, aber unbedingt hier auf dem Schlossplatz, nicht in Bad Cannstatt. Da geht dies unter in dem großen Rummel. Auch mit Jazz Open sind wir sehr einverstanden. Oder mit dem Sommerfest. Es geht uns also nicht so sehr um die prinzipielle Frage, ob es hier mehr oder weniger Veranstaltungen geben soll. Wichtiger ist, dass die Qualität stimmt. Das ist generell überlebenswichtig für eine pulsierende Innenstadt. Die Leute kommen nicht mehr einfach so beispielsweise aus Göppingen oder Backnang in die Stuttgarter City, die wollen da schon eine Begründung, einen Anlass, und das muss mit Emotionen aufgeladen sein. Es ist ja nicht einfacher geworden: Feinstaubalarm, drohende Fahrverbote, Parkplatzmangel, die vielen Baustellen – da müssen wir alle gemeinsam und konstruktiv Alternativen entwickeln, die möglichst vielen Erwartungshaltungen gerecht werden.