Die beste Skispringerin der Geschichte ist nach ihrem Kreuzbandriss zurück in der Spur – nun will sie bei der Heim-Weltmeisterschaft in Oberstdorf wieder voll auf der Höhe sein.

Stuttgart - Es liegt in der Natur der Sache, dass es in der Karriere einer Skispringerin stetig auf und ab geht. Wichtig ist, voll auf der Höhe zu sein, wenn es zählt. Carina Vogt ist Spezialistin für solche Punktlandungen. Sobald Medaillen überreicht werden, steht die erste Olympiasiegerin ihres Sports (2014 in Sotschi) und fünfmalige Weltmeisterin in der ersten Reihe. Auch beim nächsten Großereignis? Das Problem: Vor der Heim-WM, die am 24. Februar in Oberstdorf beginnt, muss Carina Vogt erst mal zurück in die Spur finden. Und das ist, weil nicht mehr viel Zeit bleibt, alles andere als einfach.

 

Es war im Juli 2019, als die deutsche Überfliegerin auf den harten Boden der Realität stürzte. Im Training in Stams zog sie sich einen Kreuzbandriss im rechten Knie zu. Operation, Reha, Aufbautraining – der Alltag ging an die Substanz. Erst recht, als die Rückschläge kamen: zuerst eine Knöchelverletzung im Sommer 2020 bei einem Spaziergang, dann im Herbst eine Entzündung im Knie, als eine Zyste platzte. Aufgeben? War trotzdem nie eine Option. „Die WM in Oberstdorf ist immer in meinem Kopf gewesen“, sagt Carina Vogt (28), „als Ziel, das ich unbedingt erreichen will.“ Aber auch den Weg zu Orten, die eine große Anziehungskraft ausüben, muss man Schritt für Schritt gehen. Mitte Dezember stand für Carina Vogt nach einem Jahr und neun Monaten erstmals wieder eine Trainingseinheit auf Schnee an, Tag für Tag wurde danach die Belastung gesteigert. Die Polizeiobermeisterin vom SC Degenfeld machte Fortschritte, größere sogar als erwartet. Der ursprüngliche Plan war, am ersten Februarwochenende im österreichischen Hinzenbach in den Weltcup zurückzukehren, doch letztlich ging alles schneller.

Der veränderte Plan geht auf

Vogt gab ihr Comeback bereits am Sonntag im slowenischen Ljubno, bei neun Grad und Regen, auf einer schwierigen Schanze, die sie nicht sonderlich mag. Trotzdem ging alles gut. Die erfolgreichste Skispringerin der Geschichte landete nach zwei soliden Versuchen (80,0 m/80,5 m) auf Rang 22, sammelte neun Weltcup-Punkte und sicherte sich dadurch für das nächste Wochenende in Titisee-Neustadt (Samstag ab 13.45 Uhr, Sonntag ab 13.15 Uhr) eine bessere, weil spätere Startposition. „Alles ist aufgegangen, das war sehr erfreulich“, sagt Bundestrainer Andreas Bauer, „es erleichtert mich ungemein, dass es uns nach den vielen Rückschlägen gelungen ist, Carina Vogt innerhalb von vier Wochen so weit gebracht zu haben, dass sie weltcuptauglich ist.“ Nun geht es um die nächsten Schritte.

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Die Athletin spricht davon, sich wieder im Weltcup etablieren zu wollen. Erst in Titisee-Neustadt, dann in Hinzenbach, Lillehammer/Norwegen und Rasnov/Rumänien. Der Bundestrainer, so viel ist sicher, denkt schon weiter – und intensiv an die WM.

Auch in Oberstdorf findet ein Teamwettbewerb statt, das deutsche Quartett holte bei den Titelkämpfen 2019 in Seefeld Gold, mit Carina Vogt. Ohne die Rückkehrerin gab es zuletzt in Ljubno einen Absturz auf Rang fünf. Bauer plagen Verletzungssorgen, außerdem verlor er im Sommer Svenja Würth, die frühere Top-Skispringerin (Weltmeisterin 2017 im Mixed-Team) wechselte zu den Kombiniererinnen. Im Umkehrschluss bedeutet das: Der Bundestrainer braucht Carina Vogt, die in Slowenien auf Anhieb drittbeste Deutsche war, um mit seinem WM-Vierer eine realistische Medaillenchance zu haben. „Wenn ich fit bin, kann ich der Mannschaft sicher helfen“, sagt Carina Vogt, die sich deshalb über die Norm, die sie offiziell erfüllen müsste, wenig Gedanken macht. Wie auch über das, was in Oberstdorf möglich wäre: „Wenn ich es wirklich zur WM schaffe, nach allem, was in den letzten zwei Jahren passiert ist, dann ist das für mich persönlich der größte Erfolg.“ Und der Rest eine schöne Zugabe.

Bei Andreas Wellinger läuft es weniger gut

Schließlich hätte auch alles anders kommen können. Ganz anders. Andreas Wellinger, mit einer Gold- und zwei Silbermedaillen der deutsche Überflieger der Olympischen Spiele 2018 im südkoreanischen Pyeongchang, erwischte es zwei Wochen nach Carina Vogt. Auch bei ihm riss nach einem Sturz im Training das Kreuzband, ebenfalls im rechten Knie. Auch er kämpfte sich zurück auf die Schanze. Doch Wellinger springt immer noch hinterher, die Weltmeisterschaft kommt für ihn zu früh. „Auch bei mir gibt es gute Tage und schlechte Tage, das wird auch noch eine Weile so bleiben. Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder an die Leistungen herankomme, die ich vor der Verletzung bringen konnte. Aber ich versuche es“, sagt Carina Vogt, die zugleich spürt, schon wieder einiges draufzuhaben: „Im Wettkampf muss ich erst wieder meinen Rhythmus finden, aber im Training geht es bereits ziemlich locker. Da waren ein paar weite Sprünge dabei.“

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Hört sich nicht so an, als sei nicht wieder eine Punktlandung möglich – diesmal bei der Heim-WM in Oberstdorf.