Pflegebedürftige Menschen leben nicht nur im Heim, sondern wollen auch andere Wohnformen haben. Das Land kommt dem entgegen und öffnet das bisherige Heimgesetz für alternative Lebensformen. Die neuen Vorschriften finden aber nicht überall Gefallen.

Stuttgart - So kann’s gehen: Als „bundesweiten Vorreiter“ sieht die Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) mit ihrem neuen Wohn-, Teilhabe und Pflegegesetz den Südwesten. Grün-Rot setze „ein klares Zeichen für mehr Lebensqualität, mehr Selbstbestimmung und mehr Teilhabe“ für Menschen, die pflegebedürftig sind.

 

Ganz und gar nicht, sagen die Sozialpolitiker der CDU-Opposition, Wilfried Klenk und Helmut Rüeck. Das Gesetz bleibe „hinter den großen Ankündigungen und den damit verbundenen Erwartungen weit zurück“. Jochen Haußmann, er ist sozialpolitischer Sprecher der FDP im Landtag, meint gar, das „neue Heimrecht atmet den Geist von Misstrauen, Bevormundung und Kontrolle“. Etwas milder ist die Kritik aus der Grün-Rot ja eher zugeneigten Gewerkschaftsecke: DGB und Verdi vermissen klare Regeln für den Personaleinsatz. Auch Wohlfahrtsverbände und Anbieter von Pflegediensten haben bei der Entstehung des Gesetzes mit Kritik nicht gegeizt.

Und wer hat nun Recht? Ministerin Altpeter räumt ein, man wage ein Experiment und werde beobachten, wie sich die Dinge entwickeln. Möglicherweise werde man an der einen oder anderen Stelle Veränderungen vornehmen. Aber so sei das, wenn man einen Perspektivenwechsel vornimmt.

Aus der Heimperspektive

Das neue Gesetz soll das alte Heimrecht ablösen, das so alt aber noch gar nicht ist. 2006 gingen die Kompetenzen vom Bund auf die Länder über. Damals gab sich auch Baden-Württemberg ein Heimgesetz. Es regelt freilich Unterbringung, Pflegeansprüche oder Personalanforderungen für stationäre Einrichtungen, deshalb eben der Name Heimgesetz. Schon damals gab es Kritik, vor allem seitens der Grünen, dass in dem Regelwerk auf ambulante Pflegemodelle gar nicht eingegangen werde. Denen aber gehöre die Zukunft.

Grün-Rot versucht das nachzuholen. Das alte Heimgesetz kenne nur die Alternative „Pflegeheim“ oder „Häuslichkeit“. Jetzt, sagt Altpeter, werde „eine bisher nie da gewesene Vielfalt von Wohn- und Versorgungsformen zwischen der Pflege zu Hause und stationären Einrichtungen“ gefördert und ermöglicht. „Wir Grüne wollen es ermöglichen, dass sich diese neuen Wohnformen flächendeckend ausbreiten können“, sagt Bärbl Mielich, die in der Grünen-Fraktion das Thema Pflege betreut.

Langer Kampf

Grüne und SPD haben untereinander lange gerungen, wie ihre keineswegs deckungsgleichen Interessen vereinbar gemacht werden können. Die Grünen arbeiteten vor allem darauf hin, dass sich alternative Wohnangebote nachhaltig etablieren können. Die SPD-Ministerin will „auch bei Wohngemeinschaften den Qualitätsaspekt weit in den Vordergrund“ gestellt wissen. Abschreckendes Beispiel für sie ist Berlin, „wo es keine Qualitätskontrolle gibt“. Alte, hilflose, pflegebedürftige oder behinderte Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, „dürfen wir nicht dem freien Spiel der (Pflege-)Märkte überlassen“, sagt Altpeter. Da müsse die Heimaufsicht eingreifen können, „wenn etwa die Qualität der Pflege aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus vernachlässigt wird.“

Anders als bisher – und das ist gewissermaßen das Experimentelle – ist die Heimaufsicht nicht mehr starr ausgerichtet. Die bei den Landratsämtern angesiedelten Fachleute müssen je nach Wohnform flexibel agieren und den spezifischen Anforderungen gerecht werden. Sie tragen also die Hauptlast der Neuerung. Das sieht auch die Ministerin so: „Die Heimaufsicht wird sich umorientieren müssen.“

Es bleibt bei den strengen Vorschriften für stationäre Einrichtungen. Es bleibt auch dabei, dass das Leben zu Hause oder im Betreuten Wohnen die Heimaufsicht nichts angeht. Neue Formen wie die selbstverantwortete oder die ambulant betreute Wohngemeinschaft hingegen werden zu Fällen für die Kontrollbehörden – allerdings in abgestuften Formen. Die im Land bereits existierenden rund zehn ambulanten Wohnmodelle haben Bestandsschutz.

Maximal acht oder zwölf Bewohner

In einer selbstverantworteten Wohngemeinschaft sollen maximal zwölf Personen leben, die ihre Angelegenheiten eigenverantwortlich regeln, also etwa Art und Umfang ihrer Pflege und Unterstützungsleistungen frei wählen, ansonsten die Haushaltsführung selbstbestimmt gemeinschaftlich gestalten. Hier sei keine regelmäßige staatliche Aufsicht erforderlich. Die Wohnform muss der Heimaufsicht angezeigt werden. Leben auch demente Personen in der WG, muss nachgewiesen werden, dass Betreuer in die Alltagsgestaltung der WG eingebunden sind.

Eine ambulant betreute WG verantwortet ein Anbieter, zum Beispiel ein Wohlfahrtsverband, eine Kommune oder ein Verein. Dort dürfen acht Personen leben. Zudem muss eine Präsenzkraft anwesend sein. Diese WG wird nur in den ersten drei Jahren regelmäßig überprüft.