In Stuttgart-Ost steht eine erhaltenswerte Wohnanlage aus den dreißiger Jahren. Trotzdem will sie der Besitzer abreißen lassen.

Stuttgart - Das Haus Wagenburgstraße 149-153 ist eines von der in Stuttgart langsam rar werdenden Sorte: ein so imposanter wie einfacher Baukörper, gegliedert und rhythmisiert durch seine regelmäßigen Fensterreihen mit Holzklappläden, kleine runde sowie langgezogene Übereck-Balkone an den Außenkanten. Erbaut wurde es zwischen 1928 und 1930 von dem Architekten Karl Beer im Auftrag des Bau- und Heimstättenvereins, und dort, wo es steht - an der Grenze zwischen Ostheim und Gablenberg - hat es trotz Kriegsversehrungen und vereinfachtem Wiederaufbau bis heute stadtbildprägende Qualitäten. Wie ein stolzes Flaggschiff überragt es die umliegenden Häuser und den vorbeirauschenden Verkehr von und in Richtung Gaisburg und Wangen - ein Wahrzeichen der einstigen "Hochburg des Arbeitersiedlungsbaus" im Stuttgarter Osten.

 

So steht es im "Architekturführer Stuttgart", der überdies hervorhebt, dass die "wenigen, effektvoll eingesetzten Details" der Wohnanlage "eine expressive Note" verleihen. Vom Charme des flachen, schwungvoll gerundeten Ladenanbaus auf der Westseite haben die Zeitläufte nicht viel übrig gelassen, aber unter den entstellenden Veränderungen erahnt man noch einen Ladentypus, wie man ihn von Ernst Mays Frankfurter Wohnsiedlungen der frühen Moderne her kennt. Über den Architekten des Stuttgarter Hauses, Karl Beer, der auch Fraktionsvorsitzender der SPD im Stuttgarter Gemeinderat war, vermerkt der "Architekturführer", dass er der Arbeiterbewegung nahestand und 1935 wegen seines politischen Engagements in die Schweiz emigrieren musste.

Es repräsentiert ein wichtiges Stück Geschichte des Stadtteils und der Stadt

Es gibt also viele Gründe, das Haus zu erhalten: Es ist ein markantes Bauwerk, es repräsentiert ein wichtiges Stück Geschichte des Stadtteils und der Stadt - und zwar nicht Herrschaftsgeschichte, sondern Geschichte "von unten" - und es steht für den "qualifizierten gebauten Alltag", wie der Stuttgarter Architekt Roland Ostertag die Gebäude genannt hat, an deren Fortbestand aus kultur-, zeit- und stadthistorischen Gründen größtes Interesse bestehen müsste. Der Bezirksbeirat Ost hat sich denn auch in diesem Sinne ausgesprochen.

Aber die Wagenburgstraße 149-153 ist kein Denkmal. Das schützt in BadenWürttemberg mit seinem ausgehöhlten Denkmalschutzgesetz zwar bekanntlich nicht vor Zerstörung, erleichtert diesen aber doch erheblich. Und so ist der traditionsreiche Bau- und Heimstättenverein Stuttgart, dem das Gebäude immer noch gehört, entschlossen, dieses Paradebeispiel genossenschaftlichen Wohnungsbaus abzureißen. Angeführt werden die üblichen Gründe: problematische Bausubstanz, schlechte Schall- und Wärmedämmung, technisch schwieriger Einbau von Aufzügen und so weiter. Allerdings ist dem Haus auch anzusehen, dass seit langem kaum noch in seine Unterhaltung investiert wurde. Mit Hinweis auf den schlechten Zustand lässt sich dann umso einfacher der Abriss rechtfertigen.

Ein andere Wohnkomplex wurde bereits vor Jahren saniert

An anderer Stelle, auf dem Weißenhof, hat die Genossenschaft einen Wohnkomplex des gleichen Architekten, den Friedrich-Ebert-Wohnhof von 1927 neben der Werkbundsiedlung, vor einigen Jahren vorbildlich saniert. Stattliche 7,2 Millionen Mark ist ihr das seinerzeit wert gewesen. Als "Aushängeschild unserer Genossenschaft" bezeichnete der damalige Vorstandsvorsitzende Jürgen Melzer die Anlage nach der Sanierung stolz. Vom Turm weht die Genossenschaftsflagge, und am Eingang hängt neben dem Wahlspruch "Fröhlich lebe, aufwärts strebe" wieder das Schild "Bau- und Heimstättenverein", das von den Nazis entfernt worden war.

Qualitativ steht das Haus in der Wagenburgstraße dem Friedrich-Ebert-Hof nicht nach. Dessen Instandsetzung zeigt, dass man mit versierten Architekten viel erreichen kann. Voraussetzung wäre indes die Einsicht, dass man sich mit dem einen sanierten Denkmal nicht aller weiteren Obliegenheiten entledigt hat, zu denen Eigentum verpflichtet.