Weil in Degerloch an der Straifstraße drei Wohnblocks durch neue ersetzt werden sollen, stehen dort etliche Wohnungen leer – dabei hat sich der Baustart auf 2025 verschoben. Andere wollen auf keinen Fall weg.

Mary Schwarz führt bereitwillig durch ihre Wohnung, zeigt stolz her, dass sie es sich schön gemacht hat. „Das ist eine gute Wohnung“, sagt die 77-Jährige mehrfach. Dass das Haus an der Degerlocher Straifstraße, in dem sie seit Jahrzehnten wohnt, abgerissen werden soll, will der Seniorin nicht in den Kopf. „Man muss nur sanieren, die Fassade und die Fenster“, sagt sie. Die Wohnungsbaugenossenschaft Flüwo hat jedoch andere Pläne. Sie will diesen und zwei weitere Blocks, die Nummern 11, 15 und 17, abreißen. Eine Sanierung der Häuser vom Ende der 1950er Jahre sei zu teuer. Stattdessen sollen auf dem Grundstück Neubauten mit 98 Appartements entstehen.

 

Bisher habe sie keine Alternative, sagt die 77-Jährige

Die jetzigen Mieter müssen die 76 Appartements daher räumen. Für sie soll die Sache möglichst sozialverträglich ablaufen, hat es von Anfang an geheißen. Ihnen würden finanzielle Umzugshilfen und alternative Unterkünfte aus dem eigenen Bestand angeboten. Auf eine Alternative wartet Mary Schwarz nach eigenen Angaben indes bis heute.

Sie wühlt in den Unterlagen, die sie angehäuft hat. Keine Wohnungen verfügbar, steht in Briefen. Ob sie überhaupt etwas Erschwingliches findet? Für ihre Drei-Raum-Wohnung zahlt die Seniorin 600 Euro warm. Das fresse einen Großteil der schmalen Rente auf. Ein paar Treppenstufen tiefer ist die Situation ähnlich. Dort lebt die vierköpfige Familie Dik. Angebotene Wohnungen seien teurer, kleiner oder an anderen Orten gewesen, sagt Mutter Olesya Dik. „Ich schaffe das nicht“, sagt sie über die hohen Stuttgarter Mieten. Und überhaupt: Die 40-Jährige arbeitet am Ort, die Kinder gehen hier zur Schule. Weg will die Familie daher nicht.

Baubeginn von 2023 auf 2025 verschoben

Andere sind bereits gegangen. Etliche Appartements in den drei Häusern stehen leer. Mary Schwarz spricht von einem Skandal. „So viele Leute suchen eine Wohnung, es sind so viele Flüchtlinge aus der Ukraine gekommen“, sagt sie. Zumal: Aus einem Schreiben des Baubürgermeisters Peter Pätzold, das Mary Schwarz in diesem Frühjahr erhalten hat, geht hervor, dass der ursprünglich für 2023 angestrebte Baubeginn auf 2025 verschoben wurde. Tatsächlich sucht die Stadt händeringend nach Unterkünften für Geflüchtete. Seit Kriegsbeginn in der Ukraine wurden 2500 Wohnraumplätze geschaffen, doch allein im September wird mit 1300 Neuankömmlingen gerechnet.

Nun tut sich aber etwas an der Straifstraße. „Die leer stehenden und belegbaren Wohnungen der Flüwo in der Straifstraße 11 bis 17 sind von uns zur Flüchtlingsunterbringung angemietet, Laufzeit bis 31. Oktober 2023“, teilt Jana Steinbeck, eine Verwaltungssprecherin, auf Anfrage unserer Zeitung mit. Es gehe um neun Wohnungen. „Aktuell werden in den Wohnungen noch brandschutz- und sicherheitsrelevante Mängel beseitigt“, die Belegung mit Geflüchteten sei zeitnah geplant.

Verzögerung wegen behördlicher Engpässe und Corona

Auch die Flüwo will freie Wohnungen nun doch weitervermieten. „Insgesamt sind derzeit acht Wohnungen unbewohnt, davon können drei nicht saniert werden“, teilt die Sprecherin Liridona Salma mit. Die fünf vermietbare Wohnungen würden derzeit wiederhergestellt. Die Nutzung sei bis Ende 2024 geplant, „und wir gehen davon aus, dass sich die Bewohner rechtskonform verhalten“. Zwei weitere Wohnungen seien dem Liegenschaftsamt auch noch zur Vermietung an Ukrainer angeboten worden.

Dass sich der Baubeginn an der Straifstraße um zwei Jahre verzögert, hat laut Liridona Salma mit behördlichen Engpässen und der Pandemie zu tun. „Aufgrund dieser Situation kam es zu massiven Verzögerungen und Schwierigkeiten bei der weiteren Planung und Durchführung dieses Projekts, die in dieser Form nicht vorhersehbar waren und immer noch andauern“, sagt sie. Die aktuellen Mieter würden weiter beim Auszug unterstützt. „Natürlich versuchen wir, unseren Bewohnern Wohnungen zu einem ähnlichen Preis anzubieten. Aber auch hier ist die Wohnsituation eines jeden Mieters individuell und muss differenziert betrachtet werden“, sagt Liridona Salma.

Für Mary Schwarz und ihre Nachbarin steht indes fest: Sie wollen bleiben und alle Hebel in Bewegung setzen. Sie haben mehrere Gemeinderatsfraktionen angeschrieben, aber bislang keine Antwort erhalten. Mary Schwarz will daher nun eine Stufe höher gehen. „Jetzt habe ich gedacht, dass wir mal den Kretschmann anschreiben.“