Das Haus in der Leonberger Straße ist so gut wie fertig. Die ersten Bewohner leben schon dort.

Renningen - Fenster und Türen sind drin, die Bäder so gut wie fertig: Endspurt beim Bauherrn Atrio Leonberg für das Wohnhaus in der Leonberger Straße 59 in Renningen. Das helle, großzügige Haus mit acht barrierefreien Wohnungen für Menschen mit Behinderung, davon zwei rollstuhlgerecht, wird nach einer Bauzeit von rund eineinhalb Jahren im Dezember dieses Jahres bezugsfertig sein.

 

Einer der ersten Mieter ist Svenja Tischer. Sie steht im ersten Stock im Rohbau ihrer zukünftigen Wohnung und freut sich sichtlich auf ihr eigenes Reich: „Meine Eltern haben gesagt, Weihnachten feiern wir dieses Jahr bei dir!“ erzählt sie und lacht. Die fröhliche junge Frau arbeitet in der Leonberger Werkstatt und hat die Gelegenheit zu mehr Selbstständigkeit beim Schopf gepackt. „Wenn ich zuhause ausgezogen bin, machen meine Eltern aus meinem alten Zimmer ein Büro“, unterstreicht sie die Bedeutsamkeit ihres Entschlusses.

Inmitten der Gemeinde leben

Möglich gemacht hat den Umzug aus dem Elternhaus in die eigene Wohnung der diakonische Unternehmensverbund Atrio, der für die Interessen behinderter Menschen eintritt und ihnen die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen will. Sieben Wohnanlagen und Wohnhäuser sowie drei Werkstätten unterhält der Verein in Leonberg und den Teilorten, dazu eine Seniorenbetreuung, das Café B21 in der Hindenburgstraße, das Kreativwerk in Höfingen und die LEDA Leonberger Dienstleistungsagentur. In Ditzingen ist Atrio mit dem Wohnhaus Kastanienhof aktiv geworden, in Gerlingen mit dem betreuten Wohnen Mikado. In Weil der Stadt wird aktuell auf dem Linde-Areal ein inklusives Wohnhaus mit 30 Wohnungen gebaut. Das alles ist aus der 1968 gegründeten „Beschützenden Werkstatt Leonberg“ entstanden, die einst mit sieben Beschäftigten gestartet und seitdem kontinuierlich gewachsen ist.

„Der Trend beim Bau von Wohnungen für Menschen mit Behinderung geht zum Dezentralen“, erklärt Projektleiterin Jutta Baten. „Auch wir bauen verstärkt an verschiedenen Orten im Altkreis Leonberg. Damit wollen wir ermöglichen, dass die sozialen Bezüge unserer Klienten erhalten bleiben und sie so selbstständig wie möglich und inmitten der Gemeinde leben können.“

Das neue Haus in Renningen liegt zwar an der Hauptverkehrsstraße, aber dennoch in einem gewachsenen Wohngebiet. Rund 25 qm groß sind die Wohnungen, im Erdgeschoss ist ein Gemeinschaftsraum mit Blick in das kleine Gärtchen.

Projektkoordinatorin Christina Boesen hat vor dem Bau einen Informationsabend für die Nachbarschaft organisiert, um Barrieren abzubauen. „Viele Anwohner sind gekommen“, erzählt sie, „alle waren sehr aufgeschlossen, offen und hochinteressiert an diesem Wohnprojekt.“ Sie wollten wissen, wie der Bau ablaufe, wie das mit der Betreuung funktioniere und was sie von den neuen Nachbarn zu erwarten hätten. Fragen also, die sich jeder stellt, der neue Nachbarn bekommt.

Zur Selbstständigkeit der zukünftigen Hausbewohner gehört auch, dass sie für ihren Lebensunterhalt und die Miete sorgen können: „Atrio finanziert den Bau, refinanzieren müssen wir das durch die Mieten“, verdeutlicht Jutta Baten. 1,6 Mio. hat der Verein investiert, 240 000 Euro davon werden durch die „Aktion Mensch“ bezuschusst.

Unterstützung auf vielen Ebenen

Denjenigen, die trotz Vollzeit-Arbeitsplatz mit dem Mietpreis kämpfen müssen, hilft Projektkoordinatorin Christina Boesen bei den entsprechenden Anträgen, sodass mit Wohngeld oder Grundsicherung das selbstbestimmte Leben möglich wird. Dazu schließt jeder Mieter einen Assistenzvertrag mit qualifizierten Mitarbeitern von Atrio ab, damit die nötige Hilfe bei der Alltagsbewältigung gesichert ist. „Woran es hapert, ist ganz unterschiedlich“, weiß Christina Boesen. „Der eine braucht am Anfang Unterstützung beim Einkaufen, der andere im Haushalt oder beim Briefe lesen.“ Sie hilft auch dabei, Kontakte zu knüpfen, sich in das Gemeinwesen zu integrieren und eine funktionierende Hausgemeinschaft aufzubauen. Und bevor der Umzug ansteht, nehmen die künftigen Bewohner an einem längerfristigen Wohntraining teil, bei dem sie auf das selbstständige Wohnen vorbereitet werden.

Nicht jedem Klienten ist die Entscheidung für die eigenen vier Wände so leichtgefallen wie der selbstbewussten Svenja Tischer. „Es ist oft ein langer Prozess, bis dieser Schritt gewagt wird“, weiß Jutta Baten. Svenja Tischer ist bei aller Freude über den Schritt in die Selbstständigkeit klar, dass das „eine Riesenumstellung“ sein wird. „Aber so schön es ist, mit meinen Eltern zusammenzuleben, es ist Zeit, loszulassen.“ Svenja Tischer nimmt die Herausforderung mutig an.

Wofür steht Atrio?

Atrio Leonberg unterstützt Menschen mit Behinderung umfassend und individuell, im Arbeitsleben, im Förder- und Betreuungsbereich, im Wohnen und in der Freizeit. Der diakonische Unternehmensverbund setzt sich dafür ein, dass Menschen mit Behinderung selbstbestimmt leben und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Dafür gibt es Kooperationen mit anderen Trägern wie der Lebenshilfe, den Landratsämtern Böblingen und Ludwigsburg, der Haldenwang-Schule oder der GWW, dem Pendant von Atrio in Sindelfingen. Atrio ist eine regionale Einrichtung und im Altkreis Leonberg tätig.

Die Geschäftsführung und Verwaltung haben ihren Sitz in der Böblinger Straße 19/1. Zu Atrio gehören Atrio Leonberg, Werkstatt Leonberg, Werkstatt Höfingen, Werkstatt Pfad in Höfingen, Wohnanlage Ramtel, Wohnanlage Höfingen, Wohnanlage Bismarckstraße Leonberg, Wohnhaus Hindenburgstraße Leonberg, Wohnhaus Friedenstraße Leonberg, Gemeinschaftliches Wohnen Fichtestraße in Leonberg, Wohnhaus Kastanienhof Ditzingen, Betreutes Wohnen Mikado Gerlingen, Förder- und Betreuungsbereich Leonberg und Höfingen, Seniorenbetreuung Leonberg, Café B21, Kreativwerk Höfingen, LEDA Leonberger Dienstleistungsagentur.

Das Haus in Renningen mit acht Wohnungen soll im Dezember 2019 bezugsfertig sein. Das Bauprojekt auf dem Linde-Areal in Weil der Stadt hat im Frühjahr 2018 begonnen, die geplante Bauzeit beträgt zwei Jahre. Hier entstehen 30 Wohnungen für Menschen mit und ohne Behinderung.