Das neue Wohnprojekt des Caritasverbandes an der Lindichstraße ist einzigartig in Stuttgart.

Stuttgart-Feuerbach - Können Menschen mit geistiger Behinderung ein Kind großziehen? Bis vor wenigen Jahren war das undenkbar. Der Nachwuchs kam in eine Pflegefamilie oder zu den Großeltern. Auch dem Ehepaar Kaminski ging es so. Doch sie zogen bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, um das Sorgerecht für ihr Kind zu bekommen. Mit Erfolg. „Alle Menschen haben das gleiche Recht auf Familiengründung“, betonte der Vorstand des Caritasverbandes für Stuttgart, Uwe Hardt. Am vergangenen Freitag war er in der Bürgeretage in Feuerbach zu Gast, um mit einigen Ehrengästen die Eröffnung des Hauses Peter-Eckle in der Lindichstraße zu feiern. „Das ist ein Angebot, das es in dieser Form in ganz Stuttgart bislang noch nicht gegeben hat“, sagte Hardt.

 

In den vergangenen Monaten ist in Feuerbach ein Gebäude mit 14 Wohneinheiten entstanden. Die Hälfte davon sind Einzelappartements, in denen Menschen mit einer geistigen Behinderung im Rahmen des ambulant betreuten Wohnens leben. Die sieben weiteren Wohnungen bieten Platz für alleinerziehende Mütter und Väter mit Behinderung, die mit ihren Kindern zusammenleben und am jeweiligen Bedarf orientiert Assistenzleistungen erhalten. So gibt es beispielsweise Hilfen bei der Haushaltsführung, Beratung und Begleitung im medizinischen Bereich oder in Erziehungsfragen. „An oberster Stelle steht das Wohl der Kinder“, betonte Hardt. Die begleitete Elternschaft soll sicherstellen, dass sich die Kinder altersgemäß entwickeln, eine adäquate Betreuung in Krankheits- und Krisenfällen haben und auch in geeigneter Weise Informationen über die Beeinträchtigung ihrer Eltern vermittelt bekommen.

Das Haus ist nach Peter Eckle benannt. Sein Elternhaus stand auf dem Grundstück

Drei Millionen Euro hat der Bau des Hauses gekostet. Den größten Teil der Summe haben die Caritas Stiftung Stuttgart und die Grötzinger-Stiftung gestemmt. 250 000 Euro steuerte die Aktion Mensch bei. Erst ermöglicht hat das Projekt allerdings Sabine Eckle, die der Caritas ihr Elternhaus zu einem sehr günstigen Preis verkauft hat – unter der Bedingung, dass dort ein Angebot für Menschen mit Behinderung verwirklicht wird. „Sie hätten mit diesem Grundstück richtig fette Kohle machen können“, betonte Bürgermeister Werner Wölfle. „Sie sind ein dankenswertes Beispiel dafür, dass es auch anders geht. Ich würde mir wünschen, dass es viele Nachahmer gibt.“

Sabine Eckle ist die Schwester von Peter Eckle, nach dem das neue Haus benannt ist. Er verstarb 2013. „Über 100 Jahre stand mein Elternhaus auf dem Grundstück“, sagte Eckle. Es hatte drei Wohnungen auf drei Geschossen. Sie stellte drei langjährige Bewohner kurz vor – die emanzipierte Vorstandssekretärin Frau Ganzhorn, den Inhaber eines Postkartenverlags Herr Schiller und ihren Bruder, den Automechaniker und Ingenieur für Verfahrenstechnik. „Es waren drei Wohnbeispiele aus unterschiedlichen Lebenswelten in einer Hausgemeinschaft“, sagte Eckle. „Diese unterschiedlichen Lebensformen haben meine Vorstellung von sozialem Leben geprägt: Vielfalt, Andersartigkeit, Individualität und sozialer Verantwortung.“ Ihr sei es wichtig, dass Menschen mit Handicap in der Mitte der Gesellschaft und nicht am Rand wohnen. „Sie sollen auch in einem normalen, gewachsenen Wohnumfeld leben können und die Chance haben, Nachbarn kennen zu lernen.“