In einem Interview hatte Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn den Verband Region Stuttgart und das Umland kritisiert, weil zu wenig Wohnungen in der Region gebaut würden. Die Angesprochenen wollen das nicht auf sich sitzen lassen.

Stuttgart - Die Resonanz war enorm. Mehr als 200 Teilnehmer haben am Wohnbau-Forum des Verbands Region Stuttgart teilgenommen – Bürgermeister, Amtsleiter, Stadtplaner und Architekten. Einer war auch immer dabei, obwohl er nicht anwesend war: Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne). Er hatte im Vorfeld im Interview mit der Stuttgarter Zeitung kritisiert, dass andere Städte in der Region zu wenig Wohnungen, vor allem zu wenig Sozialwohnungen bauen und die Aktivitäten des Regionalverbands, dessen stellvertretender Präsident Kuhn ist, mit den Worten charakterisiert: „Der Verband redet viel und macht viele Kongresse“.

 

Der Regionalverband kann nur planen

In der Tat kann der Verband nur planerisch tätig sein, also Flächen für Wohnungsbau ausweisen. Ob dort gebaut wird, liegt in der Entscheidungsmacht der Städte und Gemeinden. Mit mehreren Aktionen – darunter auch Tagungen – versucht der Verband, die Kommunen nicht nur für die Problematik zu sensibilisieren, sondern sie auch für verdichtetes Bauen, also den Geschosswohnungsbau, zu motivieren. „Darüber wird am Sonntag viel geredet, aber werktags werden dann doch wieder Einfamilienhäuser und Doppelhaushälften gebaut“, hatte Kuhn die Gemeinderäte und Oberbürgermeister der Umlandgemeinden kritisiert. Die müssten sich das Ziel setzen, den sozialen und bezahlbaren Mietwohnungsbau anzukurbeln.

„Ich halte gegenseitige Schuldzuweisungen von Oberbürgermeistern nicht für zielführend“, sagte dazu Regionalpräsident Thomas Bopp (CDU) auf dem Forum, „sinnvoller wäre es, einen Blick in den Regionalplan zu werfen und die Wohnbaupotenziale zu nutzen“. Dort seien beispielsweise die 41 Wohnungsbauschwerpunkte der Region an den Verkehrsachsen aufgeführt. Allerdings müsse auch berücksichtigt werden, dass zwei Drittel der Gemeinden in der Region, nämlich 129 von 179, weniger als zehntausend Einwohner haben. „Auch sie müssen wir für die eigentlich städtische Aufgabe gewinnen, verdichtet zu bauen“, sagte Bopp. Die Regionaldirektorin Nicola Schelling wies darauf hin, dass „die Bruttowohndichte die Stellschraube des Regionalplans“ sei. Die Vorgaben bewegen sich von 50 bis 90 Einwohner pro Hektar. Dabei räumte der regionale Planungsdirektor Thomas Kiwitt ein, dass „wir aus einer Phase kommen, in der wir von einer Stagnation der Bevölkerung ausgegangen sind.“ Nun müsse es aber darum gehen, dass „alle Gemeinden zumindest so viel bauen, dass die Kinder am Ort ihre Wohnung finden“, sagte er: „Ich fordere mehr Ehrlichkeit: Gar keine Flächen im Außenbereich auszuweisen und gleichzeitig ausreichend Wohnungen in einem Ballungsraum wie Stuttgart zur Verfügung zu stellen, ist unrealistisch“. Einfamilienhäuser seien aber nicht die Antwort auf die Wohnungsnot, meinte er: „Wir müssen im Geschosswohnungsbau Impulse setzen.“

Lage in Region ist unterschiedlich

Dabei ist die Lage in der Region nach Angaben von Ralph Henger vom Institut der Deutschen Wirtschaft durchaus unterschiedlich: Während es in Stuttgart und den Kreisen Esslingen und Ludwigsburg im Vergleich zur Nachfrage deutlich zu wenig Wohnungen gebe, sei die Situation in den Kreisen Böblingen, Göppingen und Rems-Murr eher ausgeglichen. Allerdings musste Henger einräumen, dass er nur kreisweite Zahlen habe, die Lage könne in den Kreisen von Stadt zu Stadt differieren. „Grundsätzlich gilt aber: In den Ballungszentren wird zu wenig, im ländlichen Raum zu viel gebaut“, sagte er.

Was ist zu tun? „Eine einzige Stadt wird das Wohnproblem der Region nicht lösen können“, sagt Wolfgang Faißt, Bürgermeister von Renningen, wo im Gebiet Schnallenäcker II in der Nähe der S-Bahnstation 440 Wohneinheiten entstehen – mit einer Dichte von 92 Einwohner pro Hektar. Auch Corinna Clemens, Baubürgermeisterin von Sindelfingen, und Torsten Hage, Bürgermeister von Oberboihingen, warnten davor, alles über einen Kamm zu scheren – zumal alle Kommunalvertreter die Schwierigkeiten beklagten, von privaten Eigentümern Grundstücke zu bekommen. „Wenn nicht gebaut wird, ist das kein böser Wille, sondern Ausdruck der Probleme vor Ort“, sagte Clemens. Gerade Umlegungsverfahren mit der Erbengeneration seien oft schwierig. Dann seien da noch die Bürgerinitiativen von Nachbarn, die sich gegen Neubebauung oder Nachverdichtung wehrten. „Wir haben eine akademisch gebildete Bürgerschaft, die mit Gemeinwohlargumenten knallhart ihre Eigeninteressen durchsetzt“, sagte dazu Esslingens OB Jürgen Zieger auf einer SPD-Konferenz, der zu Kuhns Kritik nur meint, dass Esslingen relativ zur Einwohnerzahl mehr neue Wohnungen baue als Stuttgart. Doch allerorten gebe es „keinen Konsens darüber, dass dichte Bebauung etwas positives sein könnte“, sagte Clemens. Das will auch eine Broschüre ändern, die der Regionalverband nun unter dem Titel „Vorbildlich Wohnen“ herausgebracht hat.

„Stigmatisierung des Flächenverbrauchs“

Weniger vorbildlich finden die Stadtoberhäupter aus dem Umland die Aussagen Kuhns, die auch deshalb überraschen, weil der Stuttgarter Oberbürgermeister vor drei Jahren noch vehement erklärt hatte, dass es nur in Verantwortung der einzelnen Kommunen liege, wie viele Sozialwohnungen sie bauten. Waiblingens Oberbürgermeister und Freie-Wähler-Regionalrat Andreas Hesky, der die „Stigmatisierung des Flächenverbrauchs fürs Wohnen" kritisierte, an der auch die Grünen beteiligt seien, schrieb dem Kollegen aus der Landeshauptstadt jedenfalls ins Stammbuch: „Ihre Attacke erinnert an alte Denkmuster aus der Steinzeit des regionalen Miteinanders, die da heißen: Man erinnert sich ans Umland, wenn man es braucht.“ Wie in Stuttgart würden aber auch in der Region kostengünstige Wohnungen gebaut. Auch Haus & Grund aus Stuttgart hält Kuhn vor, die OB-Kollegen als Sonntagsredner zu bezeichnen. So ließen sich Umlandgemeinden nicht zu mehr Wohnungsbau bewegen.

Bopp sieht allen Debatten zum Trotz bereits einen Silberstreif am Horizont. „Das Bewusstsein, dass auch kleine Städte Geschosswohnungsbau betreiben, wächst", sagte er: „Auch Reden und Kongresse können also weiterhelfen.“