Nach vielen Jahren ohne Förderung des Wohnungsbaus legen jetzt die meisten Städte neue Programme auf. Profitieren sollen vor allem junge Familien wie Claudia Marx mit Mann und Kind – und Menschen mit geringem Einkommen

Sindelfingen - Claudia Marx strahlt mit der Sonne um die Wette. Sie kann ihr Glück immer noch kaum fassen. Ohne großes Suchen hat sie für sich und ihre kleine Familie eine Wohnung gefunden. Drei Zimmer, Küche, Bad, Balkon – in schönster Lage mit Blick ins Grüne und der S-Bahn direkt vor der Haustüre. Und das alles noch bezahlbar. Nun kann Claudia Marx mit ihrem Mann und dem kleinen Sohn Samuel raus aus der engen Zwei-Zimmer-Wohnung, in der sie momentan lebt. Zufällig hatte sie das Angebot der Sindelfinger Wohnstätten entdeckt. 32 Wohnungen – vom Einzimmer-Appartement bis zur großzügigen Vier-Zimmer-Mietwohnung – sind im Maichinger Wohngebiet Grünäcker entstanden. 6,2 Millionen Euro investierten die Wohnstätten, eine Tochter der Stadt Sindelfingen, in das Projekt.

 

Die Wohnungen sind mit elf Euro Miete pro Quadratameter kein Schnäppchen – aber günstiger als vergleichbare Neubauwohnungen in der Umgebung. „Bezahlbarer Wohnraum“ lautet das Trendthema, das sich fast alle Kommunen im Land auf die Fahnen geschrieben haben. Auch in Sindelfingen, wo der Gemeinderat im vergangenen Jahr ein Zehn-Punkte-Programm zur Schaffung von Wohnraum verabschiedet hat.

14 000 Wohnungen müssen gebaut werden

Viele Jahre lang wurde – nicht nur im Kreis Böblingen – zuwenig gebaut. Die Folge: Vor allem junge Familien und Menschen mit niedrigem Einkommen finden kaum noch eine bezahlbare Unterkunft. Und dieses Problem werde sich noch verschärfen, wenn die Städte nicht schnell handelten, sagt Thomas Kiwitt, der Chefplaner des Regionalverbands Stuttgart. Denn die Bevölkerung in der Region werde wegen der prosperierenden Wirtschaft auch in den kommenden Jahren wachsen.

Die Firmen brauchen Arbeitskräfte, vor allem, da in den kommenden Jahren viele Fachkräfte in den Ruhestand gehen. Diese bleiben zumeist am bisherigen Wohnort. Die nachkommenden Angestellten benötigen zusätzliche Wohnungen. Die Berechnung von Kiwitt: Bis zum Jahr 2030 müssen im Kreis Böblingen 14 000 neue Wohnungen entstehen. Dafür werden etwa 440 Hektar Bauland gebraucht – das entspricht fünfeinhalb Mal der Fläche des Flugfelds.

Bereits vor zwei Jahren hatte der Landrat Roland Bernhard ein „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ geschmiedet. Das Ziel ist es laut Alfred Schmid, dem Sozialdezernenten des Kreises, „das Bewusstsein der Verantwortlichen für den sozialen Wohnungsbau zu schärfen“. Dieser sei in den vergangenen Jahrzehnten vernachlässigt worden. Schmid erinnert an die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als ganz schnell für viele Menschen, die ihre Wohnung verloren hatten, und Vertriebene Häuser gebaut werden mussten. „Damals war der Wohnungsbau eine öffentliche Aufgabe.“ Und der Kreis habe von der Zuwanderung stets profitiert. Teilnehmer am Runden Tisch des Bündnisses sind Vertreter der Kommunen aus dem Kreis sowie der Freien Wohlfahrtspflege, aber auch Experten von Baugesellschaften und Architekturbüros. Zweimal im Jahr tagt der Runde Tisch, er dient vor allem dem Austausch darüber , wie man das Thema Wohnraumförderung anpacken kann.

Noch ein Umzug im Rentenalter

„Es gibt mittlerweile einige gute Beispiele im Kreis“, lobt Schmid. So haben alle vier großen Kreisstädte sowie etliche andere Kommunen im Kreis mittlerweile Wohnbauförderprogramme beschlossen. Der Böblinger Gemeinderat etwa setzt auf Vorgaben für den sozialen Wohnungsbau. Bauträger, für die der Gemeinderat ein neues Baurecht schafft, müssen künftig in Böblingen 30 Prozent ihrer Wohnungen preisgünstig an Menschen mit geringem Einkommen vermieten. In Herrenberg setzt man neben der Ausweisung neuer Baugebiete vor allem auf die Innenentwicklung. 71 neue Wohnungen sollen in jedem Jahr entstehen. Besondere Programme gibt es an vielen Orten für ältere und behinderte Mieter. Barrierefreies Wohnen ist der Standard bei vielen Bauträgern.

Auch das Rentnerehepaar Steiner hat sich nun für einen Umzug in ein Wohnhaus mit Aufzug und barrierefreiem Bad entschieden. „Noch sind wir topfit“, sagt Helga Steiner. Doch man wolle gerüstet sein, wenn vielleicht in einigen Jahren das Treppensteigen schwer falle. Dafür ziehen die Steiners im Alter noch einmal um.

Ihre viel zu große Wohnung in Nufringen tauschen sie gegen eine barrierefreie im Sindelfinger Grünäcker – mit Aufzug und S-Bahn-Anschluss. Dort werden sie Nachbarn von Claudia Marx und dem kleinen Samuel. Auch das gehört zum Programm der Städte und Kommunen: Alte und Junge, Einheimische und Zuwanderer – alle sollen zusammen leben. Gettobildungen sind nicht erwünscht.