Eine Studie des Instituts für Urbanistik thematisiert die Probleme der alteingessenen Bevölkerung durch die Aufwertung von Stadtquartieren auch in Stuttgart. SPD und SÖS/Linke-plus teilen die Vorschläge für eine sozial orientierte Grundstückspolitik.

Stuttgart - Die Stadt hat angekündigt, wegen der steigenden Immobilienpreise mehr Wohnungen für Einkommensschwächere zu bauen. Doch SPD und SÖS/Linke-plus im Rathaus ist das zu wenig. Sie fühlen sich auch im Gemeinderat mit ihrer Forderung nach einem stärkeren Einsatz der Stadt alleingelassen. Zuletzt wurde gegen ihren Willen genehmigt, dass die Kaltmiete bei Sozialwohnungen auf neun Euro pro Quadratmeter steigen kann.

 

Nun sehen sich SPD und SÖS/Linke-plus durch die neue Wohnungsbaubilanz (die StZ berichtete), aber auch durch eine Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik zur Gentrifizierung bestätigt. Sie stellt fest, dass Investoren in Stuttgart Gebäude in der Innenstadt kaufen und sanieren und die einkommensschwächeren Bewohner durch vermögendere Haushalte verdrängt werden. Zudem ziehen mehr Menschen wegen der Wohnungsnot in die Region als umgekehrt. Eine Stadt müsse aber für alle da sein, forderte der namhafte Zürcher Architekt und Stadtplaner Patrick Gmür im StZ-Interview. Man müsse darauf achten, dass der Mittelstand nicht verdrängt werde.

Die Augen vor der Gentrifizierung verschließen

Laut der 2014 bis 2016 erarbeiteten Studie ist der Begriff Gentrifizierung im Rathaus tabu, obwohl die Tendenzen eindeutig seien. Die meisten Interviewpartner aus Verwaltung und Wissenschaft seien sich zwar einig, dass eine Verdrängung stattfinde, allerdings wolle in Stuttgart niemand offen darüber reden.

Die Experten wundern sich: Einerseits habe die Stadt progressive Ansätze wie die Fokussierung auf die Innenentwicklung und die Unterstützung von gemeinschaftlichen Wohnformen. Aber sie nutze Instrumente wie Erhaltungs- und Milieusatzungen kaum. Auch die Sozialverträglichkeitsprüfung zur Abwägung in Bebauungsplanverfahren werde nur selten angewendet.

Die in der Studie genannten Handlungsempfehlungen wie eine Erhöhung der Stuttgarter Innenentwicklungsquote (SIM) (sie verpflichtet Bauträger, bei großen Projekten auch geförderte Wohnungen auszuweisen) und die Verlängerung von Belegungsrechten von 20 auf 40 bis 50 Jahre werden auch von SPD sowie SÖS/Linke-plus gefordert. Die beiden Fraktionen gehen aber davon aus, dass auch mit diesen Instrumenten der Bestand an Sozialwohnungen nicht signifikant steigen wird.

Mehr Druck auf Grundstücksbesitzer ausüben

Sie fordern deshalb, das kommunale Planungsrecht stärker als Druckmittel einzusetzen, etwa um bei großen frei werdenden Flächen (wie etwa dem EnBW-Grundstück in der Hackstraße) Wohnungsbau durchzusetzen. SPD und SÖS/Linke-plus unterstützen auch die in der Studie genannte „sozial orientierte Bodenordnung und Wohnungspolitik“. Darunter ist die „konsequente Erweiterung des Bestandes durch den kommunalen Erwerb von wichtigen Wohnungsportfolios“ zu verstehen. Tom Adler (Linke) will 150 Millionen Euro pro Jahr in den Kauf von Grundstücken investieren, die SPD binnen fünf Jahren 250 Millionen Euro. SPD-Fraktionschef Martin Körner fordert, den Wohnungsbestand der SWSG von 19 000 auf 30 000 zu erhöhen, SÖS/Linke-plus sogar eine Verdopplung des SWSG-Bestands und keine Mieterhöhungen. Wenn überhaupt Grundstücke zur Bebauung abgegeben würden, dann nur über Erbpachtverträge und nur an Baugenossenschaften.

Innenentwicklung vor Außenentwicklung

Das Wohnungsbaukonzept der Stadt sieht jährlich 1800 neue Einheiten vor. Flächen sind laut Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne) langfristig für insgesamt 24 000 Wohnungen bebaubar, ohne dass ökologisch und klimatisch wichtige Grün- und Freiflächen zubetoniert werden müssten. Im neuen Sachstandsbericht heißt es, das Soll bei Baugenehmigungen sei zuletzt „übererfüllt“ worden, allerdings nur, weil die Stadt rund 1500 Einheiten pro Jahr in Wohnheimen für Flüchtlinge geschaffen hatte.

Beim geförderten Wohnungsbau habe die Stadt die Ziele – 300 Sozialwohnungen: 100 für mittlere Einkommensbezieher, 100 Eigentumswohnungen und 100 im Familienbauprogramm – jedes Jahr verfehlt. Dabei gibt es nur noch rund 14 500 Sozialwohnungen – und es werden immer weniger. Pro Jahr fallen laut Verwaltung 360 wegen auslaufender Verträge aus der Sozialbindung. Sie werden danach auf anderer Rechtsgrundlage nach einem Mieterwechsel oft viel teurer vermietet. Der Trend ist eindeutig: 1992 gab es 22 000 Sozialwohnungen. 2024 werden es selbst unter Berücksichtigung von jährlich 600 neuen Wohnungen ein Drittel weniger sein. 2016 hat man statt 600 geförderter Wohnungen nur 130 gebaut. Die Zahl der Anträge auf Unterstützung belief sich nur auf 221, davon 107 für Sozialwohnungen.

Dieses Jahr werde es besser, wird den Stadträten an diesem Freitag im Wirtschaftsausschuss erklärt. 417 Sozialwohnungen würden gefördert, dazu 108 Einheiten für mittlere Einkommensbezieher und 24 Anträge beim preiswerten Wohneigentum. Die SPD findet die Bilanz von jährlich 55 statt 600 neuer geförderter Wohnungen seit OB Kuhns Amtsantritt 2013 enttäuschend. SPD-Chef Körner vermutet, die Rathausspitze rechne nicht mit einer deutlichen Verbesserung, weil nun nicht mehr eine Vierjahresprognose offeriert werde, die eine Bilanz von Kuhns Amtsperiode erlaube, sondern ein Ausblick auf 2024. „Bei einem solchen Zeitfenster kann der OB alles versprechen“, so Körner.