Dem Rathaus zufolge muss sich die Stadt um besonders viele Menschen ohne Wohnung kümmern, viel mehr als etwa Esslingen. Nun strickt sie an einem Betreuungskonzept. Die Frage ist nur, ob ihre Zahlen stimmen.

Göppingen - Der Weg in die Obdachlosigkeit ist fast immer gleich: Mehr als die Hälfte der Betroffenen verliert die Wohnung wegen Mietschulden, sei es, weil sie arbeitslos geworden sind, sei es, dass Trennungen, Krankheit oder Drogen in die Schulden und am Ende zur Räumung geführt haben. Das ist im Kreis und der Stadt Göppingen nicht anders als im Rest des Landes. Geradezu geheimnisvoll erscheint hingegen die große Zahl von Obdachlosen, die in den vergangenen Jahren in der Stadt Hilfe gesucht haben. Dem Rathaus zufolge hat die Kommune zurzeit 172 Wohnungslose in städtischen Unterkünften untergebracht – wie viele in einer Kommune auf der Straße leben, ist im Allgemeinen nicht bekannt. Im fast doppelt so großen Esslingen zählt man der Stadt Göppingen zufolge nur 100 Wohnungslose, im etwa gleich großen Schwäbisch Gmünd 69.

 

Das ist deshalb auffällig, weil die Zahl der Obdachlosen kreisweit gesehen nicht aus dem Rahmen fällt. Vor drei Jahren zumindest waren im Kreis Göppingen einer Erhebung des baden-württembergischen Sozialministeriums zufolge 355 Menschen obdachlos gemeldet, je 1000 Einwohner ergibt das einen Wert von 1,4 – der niedrigste in allen fünf Kreisen der Region. Der Spitzenreiter war ausgerechnet der Kreis Esslingen mit einem Wert von 2,7. Dort waren es 1373 Menschen.

Bisher zu komfortable Unterkünfte?

Warum also werden ausgerechnet in der Stadt Göppingen so viele Obdachlose vorstellig, denen das Sozialamt eine Notunterkunft beschaffen muss? Der Leiter der zuständigen Ortspolizeibehörde Marcel Schwenkedel hat dafür eine so einfache wie überraschende Erklärung: Seiner Ansicht nach melden sich deshalb so viele Menschen in Göppingen obdachlos, weil sie das System der dezentralen Unterbringung in der Stadt attraktiv finden: Die Wohnungen seien mit durchschnittlich 29 Quadratmetern vergleichsweise geräumig.

Die Räume mietet das Rathaus von der städtischen Wohnbau an. Tatsächlich liegt etwa die Hälfte dezentral über die Kommune verstreut, meist handelt es sich um kleine Wohnungen. Die andere Hälfte freilich verteilt sich auf vier Standorte mit tristen Wohnblocks; im Höhenweg in Manzen, dem mit 60 Plätzen größten Block, soll es Insidern zufolge nicht mal Duschen geben.

Neues Konzept mit 89 Plätzen

Kommunen sind rechtlich dazu verpflichtet, Menschen unterzubringen, die sich dort obdachlos melden. Wo sie vorher gelebt haben, spielt keine Rolle. Um künftig weniger attraktiv für Auswärtige zu sein, überarbeitet die Stadt Göppingen nun ihr Unterbringungskonzept. Die Wohnbau hat dazu in der Brückenstraße, hinter dem Wasserwerk an der Ulmer Straße, eine zentrale Obdachlosenunterkunft für 89 Menschen gebaut, die im Frühjahr eröffnet wird. Die Bewohner sollen auf Wohngemeinschaften verteilt und von Sozialarbeitern, die das Landratsamt stellen soll, betreut werden. Inwieweit der Kreis mitzieht, ist allerdings noch offen, die Entscheidung im Kreistag steht noch aus.

„Durch die zentralere Unterbringung haben wir die Chance, intensiver mit den Menschen zusammenzuarbeiten“, erklärt die Sozialbürgermeisterin Almut Cobet eine weitere Überlegung, die hinter dem Konzept steckt. Das Ziel sei es, den Menschen zu helfen, wieder eine eigene – finanzierbare – Wohnung zu finden. Schließlich gebe es ja genug Wohnungslose, die nach wie vor einer Arbeit nachgingen.

Das Hauptproblem ist der Mangel an günstigen Wohnungen

Ob das neue Konzept tatsächlich hilft, die Wohnungslosen aus Göppingen zurück in die Kreiskommunen zu führen oder auf den Wohnungsmarkt zu bringen, ist offen. Wolfgang Baumung, der Leiter des Hauses Linde, das in Göppingen in freier Trägerschaft 40 Plätze für Obdachlose anbietet, begrüßt zwar, dass die Stadt sich mit dem Thema Obdachlosigkeit befasst und die Sozialarbeit in der zentralen Unterkunft ausweiten möchte. Allerdings ändere das nichts an der zentralen Ursache der Obdachlosigkeit: „Ohne genügend günstige Wohnungen kommen die Menschen nicht aus der Obdachlosigkeit heraus.“

Esslingen setzt auf Kooperation mit freien Trägern

Der Vergleich mit der Stadt Esslingen legt neben der in der Region allgegenwärtigen Wohnungsnot noch einen zweiten Erklärungsansatz für das Wohnungslosenproblem der Stadt Göppingen nahe: Womöglich hat sie auch zu wenig getan, um Partner zu finden, die ihr helfen, das Problem in den Griff zu bekommen. Esslingen nämlich hat mit der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart (Eva) und dem Verein Heimstatt zwei potente freie Träger vor Ort, die sich in der Wohnungslosenhilfe engagieren und mit denen die Stadt zum Nutzen für alle kooperiert. Kommune und Freie Träger teilen sich die Aufgaben: Esslingen übernimmt laut dem Leiter des kommunalen Sozialdiensts, Klaus Wolfer, die Unterbringung der Wohnsitzlosen, die aus der Stadt stammen. Die Eva kümmert sich um alle, die von außerhalb kommen. Gemeinsam haben die Beteiligten ein umfassendes Hilfsangebot geschaffen. In Göppingen hingegen würde etwa das Haus Linde gerne mehr machen – einen Tagestreff etwa –, hat aber nicht die Möglichkeiten.

Wolfer präsentiert auch etwas andere Zahlen als die Stadt Göppingen: Derzeit seien 136 Wohnungslose von der Stadt untergebracht, nicht 100, sagt er. Hinzu kommen noch 46 Menschen, die in Aufnahmehäusern der Eva leben, wie Iris Maier-Strecker von der Eva berichtet. Außerdem gebe es noch viele Wohnungslose, die in sogenannten Sozialpensionen untergebracht seien – wie viele genau, werde nicht erfasst. Letzten Endes kann es also auch sein, dass die Wohnungslosen in Esslingen einfach mehr und andere Anlaufstellen haben als in Göppingen.