Das Stadtoberhaupt unterstützt die Wohnungsunternehmen in ihrer Ablehnung von schärferen Auflagen bei Neubauten. Grüne, SPD und das Linksbündnis kritisieren ihn dafür.

Die öko-soziale Mehrheit im Stuttgarter Gemeinderat hat die Mitglieder im Bündnis für Wohnen mit einem Forderungskatalog zum verstärkten Neubau von geförderten Wohnungen so verschreckt, dass diese ankündigten, die laufenden Gespräche „bis auf Weiteres auszusetzen“. Die Arbeitsgemeinschaft (Arge) Stuttgarter Wohnungsunternehmen und der Verein IWS Immobilienwirtschaft Stuttgart erklärten, mit den genannten Bedingungen könnten angesichts der Kostenexplosion im Baugewerbe und der hohen Inflation „Neubauvorhaben wirtschaftlich nicht umgesetzt werden“. Die darauf erfolgte Ankündigung von OB Frank Nopper (CDU) mittels Pressemitteilung, einen „Brückenschlag“ zwischen Ratsmehrheit und Immobilienwirtschaft zu versuchen, indem er die Fraktionen überzeugen will, vom Vorhaben abzulassen, sehen diese kritisch.

 

Nopper will auf Wohnungswirtschaft zugehen

Der Brandbrief der Wohnungsunternehmen an den OB überraschte die Fraktionen, betrachten sie doch ihren Antrag nicht „als in Stein gemeißelt“, sondern als Diskussionsgrundlage mangels Alternative – auf die Beschlussvorlage der Verwaltung warte man seit einem halben Jahr vergeblich.

„Stuttgart braucht Wohnungen, und ohne Wohnungsbaugenossenschaften und ohne private Wohnungsbauunternehmen wird es die nicht geben“, sagte Martin Körner, der Chefstratege für Klimaschutz, Mobilität und Wohnen, am Mittwoch. Einen Tag später unterstrich das OB Nopper in seiner Mitteilung. Beide verwiesen auf die Kapazitätsgrenzen der städtischen Wohnungsbautochter SWSG, die für die Hälfte der geförderten Wohnungen in Stuttgart steht. „Bei den aktuellen Zinsen und den aktuellen Baupreisen“ sollte die Stadt eher einen Schritt auf die Wohnungsunternehmen zugehen, so Nopper – und nicht noch die Auflagen verschärfen. Sonst würden noch weniger Wohnungen mit fairen und bezahlbaren Mieten entstehen. Es drohe „Stillstand“.

Stadt hat noch keine Vorlage geliefert

Die kritisierte Fortschreibung des komplexen Stuttgarter Innenentwicklungsmodells (SIM) ist von der Stadt seit Herbst 2022 geplant. Zuletzt präsentierte Martin Körner ein wenig konkretes Eckpunktepapier, das weit hinter den damaligen Vorschlägen zurückbleibt. SIM regelt den Beitrag privater Bauträger an der Schaffung von geförderten Wohnungen, sofern dafür neues Baurecht geschaffen werden muss. Weil damit eine Erhöhung des Grundstückswerts einhergeht, fordert die Stadt ab einem gewissen Bauvolumen einen Anteil von 20 Prozent Sozialmietwohnungen, künftig sind 30 Prozent geplant. Außerdem müssen weiter je zehn Prozent der Einheiten für mittlere Einkommensbezieher oder für ein Eigentumsprogramm reserviert sein sowie zehn Prozent für ein Programm „Preisgedämpfter Mietwohnungsbau“. Die Hälfte kann frei vermietet werden. Ein Drittel der durch die Planänderung generierten Grundstückspreissteigerung verbleibt beim Bauträger, künftig soll es nur noch ein Viertel sein. Außerdem soll die Bindungsfrist geförderter Wohnungen von 30 auf 40 Jahre erhöht werden.

Brandbrief der Bündnispartner

Jürgen Oelschläger von der Arge hatte im Rathaus schon vor dem Brandbrief betont, dass eine Verschärfung von SIM „ein angestrebtes, gemeinsames Bündnis für Wohnen unmöglich“ mache. Der Antrag der Ratsmehrheit „konterkariert die bisher mit der Verwaltung geführten Gespräche“. Der Brief hat Wirkung gezeigt: Die angesprochenen Fraktionen stimmen zwar überein, dass die Quote an Sozialwohnungen erhöht werden müsse, über die anderen Punkte lasse man aber mit sich reden. Ihr Antrag sei nicht das Ende der Debatte, sondern der Anfang. Selbst das Linksbündnis, das Stadt und SWSG beim sozialen Wohnungsbau in der Pflicht sieht und wenig davon hält, privaten Unternehmen durch Subventionen zeitlich begrenzte Belegungsrechte abzukaufen, zeigt sich laut Stadträtin Johanna Tiarks gesprächsbereit.

SPD: In wessen Auftrag ist der OB unterwegs?

Noppers Ankündigung, der Gemeinderatsmehrheit die Verschärfung der Auflagen ausreden zu wollen, wird von der öko-sozialen Mehrheit nicht als „Brückenschlag“ verstanden. Der SPD stellt sich „einmal mehr die Frage, ob der OB hier eigentlich im Auftrag des Gemeinderats unterwegs ist oder im Auftrag der Immobilienwirtschaft“. Fraktionschef Stefan Conzelmann verweist zudem darauf, lediglich eine Vorlage gefordert zu haben, die sein Vorgänger im Amt – der heutige Chefstratege Körner – einst selbst gefordert habe. Und zwar, „weil allen Beteiligten klar ist, dass wir ohne eine Fortschreibung der SIM-Quote bei der Anzahl der bezahlbaren Wohnungen nicht ausreichend vorankommen“.

Petra Rühle (Grüne) sagt, wenn der OB Brücken schlagen wolle, sei es sinnvoll, mit dem Gemeinderat zu sprechen, „anstatt über Pressemitteilungen zu kommunizieren“. Offenbar habe er den Antrag nicht gelesen, komme doch darin die Ergebnisoffenheit zum Ausdruck. Die Gemengelage sei zudem komplex. Es brauche mehr als ein paar Eckpunkte, um darüber zu befinden. „OB Nopper baut Brücken ins Nirgendwo“, sagt Hannes Rockenbauch (Linksbündnis). Er vertraut den Bündnismitgliedern schon deshalb nicht, „weil kein Unternehmen außer der SWSG seine Zusagen eingehalten hat“.

Schwierige Zeiten für Bündnispartner

Bündnis für Wohnen
 Bereits 2016 hat Stuttgart mit dem Bündnis für Wohnen Eckpunkte zum Wohnungsbau vereinbart. Ziel sei es, bezahlbaren Wohnraum zu erhalten und zu schaffen, heißt es. Zum Bündnis gehören neben der städtischen Wohnungsbaufirma SWSG, Haus und Grund und Mieterverein die in dem Verein Immobilienwirtschaft Stuttgart (IWS) und der Arbeitsgemeinschaft (Arge) Stuttgarter Wohnungsunternehmen organisierten Betriebe.

Kritik
Laut Arge-Sprecher Jürgen Oelschläger können bei den aktuellen hohen Neubaukosten die Wohnungsgesellschaften in der Regel nur auf eigenen Grundstücken bauen, am ehesten noch in Form einer Nachverdichtung. Selbst dann müsse man aber die Vorgaben des Stuttgarter Innenentwicklungsmodells (SIM) berücksichtigen. Weil man für Sozialwohnungen eine günstige Miete garantieren muss, bleibe nichts anderes übrig, als für die frei finanzierten Wohnungen höhere Mieten zu verlangen. Das sei aber nicht darstellbar. Die Landesförderung von 4600 Euro pro Quadratmeter sei bei Entstehungskosten von mittlerweile 5000 Euro auch nicht ausreichend. Die Kombination aus Nachteilen und der Reduzierung von Subventionen habe den Neubau praktisch zum Erliegen gebracht. Hier müsse der Bund unbedingt nachsteuern.

SWSG
Die Stadt hat das Kapital der SWSG um 200 Millionen Euro aufgestockt. Damit sollen bis Ende 2027 rund 1890 Neubauwohnungen fertiggestellt, 1993 Einheiten modernisiert und bei 1861 die Wärmeversorgung erneuert werden.