Die Woodstock-Ikone Graham Nash kommt im Sommer – hoffentlich – nach Stuttgart. Aber noch beschäftigen ihn Themen wie Corona und Donald Trump.

Stuttgart - Er spielte in Woodstock und schrieb mit Steven Stills, David Crosby und Neil Young einige der schönsten Folksongs unserer Zeit: Graham Nash ist mit seinen 78 Jahren noch längst nicht am Ende. Im Juli soll er in Stuttgart spielen. Und hofft, dass dieser Auftritt auch stattfinden kann.

 

Es ist Liebe auf den ersten Blick. Oder Ton. Schon als der Engländer Graham Nash mit den Amerikanern David Crosby und Steven Stills das erste Mal gemeinsam „You don‘t have to cry“ singt, hält der ganze Raum den Atem an. Das Jahr, da sind sich alle einig, ist 1968. Der Ort hingegen ist nicht ganz so klar: Nash und Crosby wetten Stein und Bein, dieses schicksalhafte Zusammentreffen fand in Joni Mitchells Haus im Folk-Mekka Laurel Canyon in Los Angeles statt. Stills schwört, es war bei Cass Elliot von The Mamas And The Papas.

Dann eben Solokünstler

Wo es auch war: Es ist die Geburtsstunde einer der ersten Supergroups unserer Zeit, Crosby, Stills & Nash. Supergroup, so nennt man es damals natürlich noch nicht, wenn einige prominente Musiker gemeinsame Sache machen. Es bedeutet aber dasselbe: David Crosby feiert zuvor mit den Byrds Welterfolge, wird aber 1967 wegen Unstimmigkeiten rausgeschmissen, Nash verlässt kurze Zeit nach diesem schicksalhaften Aufeinandertreffen seine Band The Hollies, die in England sogar noch vor den Beatles die Ära der Popstars einläutete. Und Steven Stills, der spielte bei Buffalo Springfield und holte nach deren Ende einige Zeit lang auch Neil Young mit an Bord.

Nash siedelt nach Los Angeles über, und gemeinsam spielt und singt man einige der schönsten Folk-Rock-Songs aller Zeiten. „Wooden Ships“ oder „Teach your Children“ zum Beispiel. Bis in die späten Siebziger besteht die Band in mehr oder minder fixer Konstellation, so recht kann sich der ewige Eigenbrötler Young nie entscheiden, ob er nun in einer Band sein möchte oder nicht. Graham Nash ist mehr als genervt davon, versucht sich seit den frühen Siebzigern immer wieder als Solokünstler und zieht auch mal allein mit David Crosby los.

Viele Paar Schuhe

Heute ist Nash 78 und unterscheidet nicht mehr zwischen den einzelnen Konstellationen der Vergangenheit. „Mittlerweile ist das alles einfach nur Musik für mich“, sagt er, als wir ihn in seiner Lieblingsstadt New York erreichen. „Ich trenne da nicht mehr großartig. Ich weiß natürlich, dass Crosby, Stills & Nash eine andere Band sind als Crosby, Stills, Nash & Young, die wiederum sehr anders klingen als Crosby & Nash. Und nur Graham Nash, das ist wieder ein anderes Paar Schuhe, aber letzten Endes ging es mir immer um dasselbe: um gute Songs.“

Die hat er zuhauf geschrieben. Allein oder im Verbund. Vor allem natürlich mit diesen unvergleichlichen Harmonien, die ihm nur an der Seite von Stills und Nash zu gelingen schienen. „Wir waren zugegebenermaßen sehr unterschiedliche Musiker, die alle das Beste aus ihrem Leben machen wollten“, schlägt er nach den Zerwürfnissen der letzten Jahrzehnte versöhnliche Töne an. „Es war nicht immer leicht, diese unterschiedlichen Meinungen unter einen Hut zu bekommen, das will ich gar nicht abstreiten.“

Woodstock? War da was?

Oft wurde Nash als der Kitt wahrgenommen, der die fragilen Musikeregos im Zaum zu halten wusste. Ein Missverständnis, wie er sagt: „Mir ging es in erster Linie darum, den Job zu erledigen. Ein Album aufzunehmen oder eine Tournee zu spielen, diese Dinge eben. Und wenn wir so etwas schon auf uns nahmen, dann wollte ich sicherstellen, dass wir es so gut machen, wie es uns nur möglich ist. Und das geht nicht, wenn man sich die ganze Zeit zankt. Dafür war mir die Musik immer schon viel zu kostbar.“

Sie bestimmt schließlich sein ganzes Leben: Fast sechzig Jahre macht Graham Nash jetzt schon Musik. Im Jahr 1962 treten die Hollies mit den Beatles im Cavern Club auf, sieben Jahre später spielt er mit Crosby, Stills und Young bei Woodstock. Wirklich erinnern kann er sich nicht daran, sagt er. Zu viel Gras, zu viel Koks. Die Hippie-Bewegung, die hat ihn auch abseits der Rauschmittelchen maßgeblich verändert. „Diese Zeit machte mir eines deutlich: Es gab da draußen viel mehr Menschen, die so dachten wie ich. Ich stellte fest, dass es Millionen Gleichgesinnte gab, was ich zuvor niemals für möglich gehalten hätte. Das gab mir das unbezahlbare Gefühl von Zugehörigkeit und Bestimmung.“

Schafft es Sanders? Schafft es Biden?

Politisch aktiv ist er bis heute. 2016 unterstützte er Bernie Sanders bei der US-Präsidentschaftswahl. Heute sagt er: „Unser größtes Problem ist gerade, dass wir jemanden finden müssen, der tatsächlich in der Lage ist, Donald Trump zu schlagen! Und tragischerweise bin ich mir weder bei Bernie Sanders noch bei Joe Biden sicher, dass sie das auch schaffen können. Die Vorstellung, dass er wiedergewählt werden könnte, jagt mir große Angst ein.“ Allein die Vorstellung, dass Trump ein erklärter Fan von Crosby, Stills & Nash ist, reicht, um Nash die Stimmung zu verhageln. „Oh, erinnern Sie mich doch bitte nicht daran“, stöhnt er. „Bei unserem letzten Auftritt im Madison Square Garden in New York saß Donald Trump nur wenige Sitzreihen von uns entfernt!“ Ob es noch mal zu Auftritten mit seinen ehemaligen Weggefährten kommt, ist unklar. Dafür befindet sich Nash unter dem Namen „An Evening of Songs and Stories“ aktuell auf Solotournee – eigentlich.

Und ewig lockt ihn die Staatsgalerie

Wie alle Künstler muss auch er sich dem Coronavirus geschlagen geben. „Die Corona-Krise ist ein gewaltiger Einschnitt in unserer Geschichte“, sagt er ernst. „Ich bin überzeugt davon, dass die Regierung der Vereinigten Staaten viel zu lange verharmlost hat, was da gerade auf der Welt vor sich geht. Sie hat ganz bewusst Lügen gestreut und uns im Unklaren gelassen, welche gewaltigen Auswirkungen dieses Virus auf unser aller Leben haben wird.“ Unglücklicherweise, fügt er an, sei Donald Trump auch noch „ein Meister darin, Lügen zu verbreiten. Er erzählt bewusst nicht die Wahrheit, um die Bevölkerung ruhigzustellen. Doch so langsam hat man auch hier gemerkt, dass es viel ernster ist, als man lange annahm.“

Noch vergehen einige Monate, bis Nash seine Solotournee auch nach Deutschland führt. Bleiben wir also vorsichtig optimistisch, dass sein Konzert am 17. Juli 2020 im Theaterhaus stattfinden wird. Darüber wundern, weshalb er sich ausgerechnet Stuttgart als einziges Deutschlandkonzert ausgesucht hat, darf man sich aber natürlich schon heute. „Ich habe mein Herz schon vor langer Zeit an die Staatsgalerie verloren“, sagt er. „Ich könnte mich immer stundenlang in ihr verlieren. Immer, wenn ich auch nur in der Nähe bin, muss ich einen Besuch einplanen.“