In der Wüste Gobi erforschen Wissenschaftler das Leben der bedrohten wilden Trampeltiere, indem sie sie verkabeln - und schützen so den Lebensraum der Tiere.

Stuttgart - Ein Kamel fangen? Wer so ein Wüstentier schon mal im flotten Lauf gesehen hat, würde sich das nicht unbedingt zutrauen. Doch Chris Walzer vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien hat darin inzwischen Routine. Von einem Trampeltier, wie die zweihöckrigen asiatischen Kamele auch genannt werden, lässt er sich nichts mehr vormachen. Ein Auto und ein Betäubungsgewehr - mehr braucht er nicht, um es in einen kurzen Schlaf zu versetzen und ihm ein Halsband mit einem Sender umzulegen. Vier wilde Trampeltiere mit einer solchen Hightechausrüstung trotten seit Oktober durch das "Great Gobi A" Naturschutzgebiet in der Mongolei. Sie sollen neue Informationen über den noch weitgehend unerforschten Alltag ihrer vom Aussterben bedrohten Art liefern.

 

Chris Walzers vierbeinige Forschungsassistenten gehören zu den letzten Wildkamelen, die es in der alten Welt überhaupt noch gibt. Das einhöckrige Dromedar Camelus dromedarius ist zwar in vielen Regionen Afrikas und Asiens immer noch ein beliebtes Reit- und Lasttier, in freier Wildbahn aber ist es längst ausgestorben. Bleiben also nur noch die Trampeltiere. Von dieser Art mit dem wissenschaftlichen Namen Camelus ferus sollen noch etwa 600 Exemplare in den Wüsten Lop Nuur und Taklamakan in China leben, dazu kommen vielleicht 450 oder 500 Tiere im Great Gobi A Schutzgebiet. "Das sind allerdings nur sehr grobe Schätzungen", betont Chris Walzer. Denn die wenigen Wildkamele sind extrem schwierig zu zählen, weil sie sich auf riesige Gebiete verteilen. Allein das Great Gobi A Schutzgebiet ist mit 44.000 Quadratkilometern größer als die Schweiz. Wer da ein paar Trampeltiere sucht, wird nur mit viel Aufwand fündig.

Kamelsuche ist eine echte Geduldsprobe

Drei Wochen lang war Chris Walzer zusammen mit Kollegen aus Wien und der Mongolei auf Kamelsuche - eine echte Geduldsprobe. Die Geländewagen holperten querfeldein oder auf schlechten Pisten durch die steinige Wüstenlandschaft. 250 Kilometer in sieben Stunden. Und kein Kamel weit und breit. Immer wieder hielten die Expeditionsteilnehmer von der Kuppe eines Berges Ausschau. Nichts. Erst nach drei Tagen kam schließlich eine Gruppe Trampeltiere in Sicht.

Chris Walzer und seine Kollegin Gabrielle Stalder gehören zu den weltweit führenden Experten für den Fang und die Anästhesie von Wildtieren. Um das Betäubungsgewehr zum Einsatz bringen zu können, mussten die Trampeltier-Fänger zunächst bis auf etwa zehn Meter an die Tiere herankommen. Da ein galoppierendes Kamel vielleicht 35 Stundenkilometer erreicht und zudem meist stur geradeaus rennt, war das mit dem Auto kein Problem. Vom Beifahrersitz aus zielte Chris Walzer dann auf das Hinterteil des Tieres und sobald der Narkosepfeil mit dem starken Opiat sein Ziel gefunden hatte, brach der Fahrer die Verfolgung ab. Schließlich wollten die Forscher dem vierbeinigen Flüchtling keinen unnötigen Stress zumuten. "Man muss das Kamel dann aber gut im Auge behalten", sagt der Experte. "Denn trotz seiner Größe kann es sonst sein, dass man es nicht wiederfindet."

Ursprünge der Hauskamele

Etwa fünf Minuten nach einem gelungenen Schuss lag das Tier bewusstlos am Wüstenboden, und die Forscher konnten ihm sein Halsband umlegen. Zusätzlich nahmen sie ihm auch noch eine Blutprobe für einen Gesundheitscheck, eine Gewebeprobe und ein paar Haare für genetische Untersuchungen ab. Nach einer halben Stunde war alles vorbei, das Trampeltier wieder fit und auf Sendung. Vielleicht können die von ihm und seinen drei Kollegen ermittelten Daten helfen, einige streng gehütete Kamelgeheimnisse zu lüften.

Pamela Burger vom Institut für Populationsgenetik der Veterinärmedizinischen Universität Wien interessiert sich zum Beispiel für die Ursprünge der Hauskamele. Bis heute weiß niemand so genau, wo der Mensch vor Jahrtausenden die ersten Trampeltiere gezähmt hat. Infrage kommen sowohl Nordchina und die Mongolei als auch das Zweistromland im heutigen Iran. Von ihren Erbgutuntersuchungen versprechen sich die Forscher nun neue Hinweise. Schon jetzt zeichnet sich allerdings ab, dass die wilden Gobi-Trampeltiere wohl nicht die direkten Vorfahren der Hauskamele sind. Im Mosaik der Kamelgeschichte fehlen nach wie vor ein paar Steinchen.

Forscher hoffen, dass Sendekamele einen guten Job machen

Der Blick ins Erbgut ist aber auch aus Artenschutzsicht interessant. Denn er verrät, ob die Wildkamele unter sich bleiben oder sich auch mit ihren domestizierten Verwandten paaren. Gelegenheit dazu hätten sie durchaus. Schließlich stehen rings um das Schutzgebiet rund 10000 Hauskamele das ganze Jahr hindurch ohne strenge Aufsicht auf riesigen Weiden, manchmal werden sie auch unerlaubt in das Reservat hineingetrieben. Wenn sie sich bei solchen Gelegenheiten häufig auf eine Liaison mit freilebenden Partnern einlassen, könnte es eines Tages überhaupt keine reinrassigen Wild-Trampeltiere mehr geben. Bisher stehen die Zeichen in dieser Hinsicht allerdings eher auf Entwarnung. Den genetischen Analysen zufolge scheint es in der Mongolei bisher nur in Einzelfällen zu Kreuzungen zwischen Wild- und Hauskamelen zu kommen.

Mit Sorge sehen Chris Walzer und seine Kollegen allerdings eine andere Entwicklung. Das Interesse an Weideflächen in der Region nimmt ständig zu, und da es dort auch Gold und Kupfer zu finden gibt, entstehen auch immer mehr illegale Kleinminen. "Der Schutz dieses einzigartigen Lebensraums darf aber nicht aufgeweicht werden", fordert Chris Walzer. Denn in der extrem trockenen Gobi brauchen die Tiere riesige Flächen, um genügend Futter und Wasser zu finden und bei Dürre in günstigere Refugien ausweichen zu können. Wo ihre Lieblingsplätze liegen und auf welchen Routen sie von einem zum anderen wandern, weiß bisher niemand. Gerade das aber wäre wichtig, um diese Trampeltier-Dorados besser schützen zu können.

Also hoffen Chris Walzer und seine Kollegen, dass ihre vier Sendekamele einen guten Job machen. Eines davon hat die 6000 Euro teure Luxusversion des Überwachungssystems am Hals. Mithilfe des Satellitennavigationssystems GPS ermittelt dieses Gerät regelmäßig die Position seines Trägers und schickt die Informationen einmal pro Woche direkt auf die Rechner der Wiener Forscher. Die anderen drei Tiere sind mit preisgünstigeren Versionen der Spionagetechnik ausgerüstet. Ihre Daten werden von Empfangsgeräten ausgelesen und gespeichert, die an verschiedenen Wasserstellen im Schutzgebiet postiert sind. Wenn Chris Walzer und seine Kollegen im Mai in die Mongolei zurückkehren, werden sie diese Informationen abholen.

Verwandtschaft

Altweltkamele: Biologen unterscheiden zwei Gruppen von Kamelen. Zu den Altweltkamelen, die in Afrika und Asien zu Hause sind, gehören das einhöckrige Dromedar und das zweihöckrige Trampeltier. Größere Bestände verwilderter Dromedare gibt es inzwischen auch auf dem australischen Kontinent.

Neuweltkamele: Der Rest der heutigen Kamelverwandtschaft lebt in Südamerika. Das Guanaco weidet in den Grasländern der Anden und der Pampa, das Vicunja ist in den Hochanden bis in mehr als 5000 Meter Höhe zu Hause. Neben diesen beiden Wildkamelen gibt es noch das Lama und das Alpaka, die von den Menschen als Haustiere gehalten werden. Die Verwandtschaftsverhältnisse dieser Arten sind bis heute umstritten.