Der neue Bundestag ist noch größer als der alte. Das führt nicht nur zu Gedränge im Plenarsaal, sondern belastet seine Arbeitsfähigkeit.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Der neue Bundestag ist gewählt. Er wird noch einmal deutlich mehr Abgeordnete haben als der alte. Kann er funktionieren mit so vielen Parlamentariern? Kann er wirkungsvoll arbeiten in seiner neuen Größe?

 

Politiker verschiedener Parteien hatten vor dem Wahltag bekannt, dass sie sich Sorgen machen. „Sollten es mehr als 840 Abgeordnete werden, dann habe ich eine Woche lang schlaflose Nächte“, erklärte zum Beispiel Wolfgang Kubicki, bisher Bundestagsvizepräsident. Der FDP-Politiker ist Vorsitzender der Bau- und Raumkommission des Ältestenrats im Parlament und damit zuständig, dass genug Büros und Sitzungssäle zur Verfügung stehen.

Britta Haßelmann, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, sorgte sich besonders um die Arbeitsfähigkeit der Ausschüsse des Bundestags, in denen die Facharbeit gemacht wird: „Wir können in den Ausschüssen nicht lauter Miniparlamente schaffen.“

Künftig gibt es 735 Bundestagsabgeordnete

Das Wahlrecht mit Erststimmen und Direktmandaten, Zweitstimmen und Überhangmandaten ist inzwischen so kompliziert, dass der Bundeswahlleiter in der Wahlnacht sehr lange brauchte, um zu einem Auszählergebnis zu kommen. Dann stellte er fest: laut vorläufigem amtlichem Endergebnis werden künftig 735 Abgeordnete im Plenarsaal unter der Reichstagskuppel Platz finden müssen – noch einmal deutlich mehr als bisher 709. Damit wird die Soll-Größe des Bundestags extrem überschritten, sie liegt bei 598 Abgeordneten.

Die Folgen des Aufwuchses sind vielfältig. Mehr Abgeordnete bedeuten einen noch größeren Zuwachs an Mitarbeitern, denn jeder Parlamentarier hat Anspruch auf Sekretariatskräfte, Referenten und Wahlkreismitarbeiter. Diese Menschen brauchen Platz. Der Bundestag hat versucht, Vorsorge zu treffen. Gerade wird in der Nähe des Reichstags ein neues Bürogebäude in moderner Modulbauweise errichtet. Für veranschlagte 70 Millionen Euro entstehen 400 Büros, die zum Jahresende bezugsfertig sein sollen.

„Wenn wir das System nicht reformieren, dann frist es uns auf“

Keiner der Abgeordneten muss also auf der Straße stehen. Im Plenarsaal allerdings wird es nun deutlich enger. Genauso in den Sitzungsräumen der Ausschüsse. Die Gebäude in Berlin wurden geplant und gebaut zu einer Zeit, in der niemand mit einer solchen Aufblähung des parlamentarischen Betriebs gerechnet hat.

Das Mehr an Abgeordneten bedeutet nicht unbedingt ein Mehr an Arbeitsqualität und Durchschlagskraft. Im Gegenteil, die Abstimmungsprozesse werden noch schwieriger und länger dauern. Und das Ganze wird teurer. Ein Abgeordneter kostet die Steuerzahler rund 1,5 Millionen Euro. Eine Milliarde Euro wird heute insgesamt für die parlamentarische Arbeit aufgebracht. Diese Ausgaben könnten um einen dreistellige Millionenbetrag steigen.

Bereits jetzt hat Deutschland unter den Demokratien der Welt das größte Parlament – zahlenmäßig übertroffen nur noch vom chinesischen Volkskongress, der allerdings nicht frei bestimmt wird. „Wenn wir das System nicht reformieren, dann frist es uns auf“, warnt der FDP-Mann Wolfgang Kubicki.

Der neue Bundestag erbt eine große Reformaufgabe

Alle Versuche, das untaugliche Wahlrecht, das die Abgeordnetenzahl immer weiter wachsen lässt, zu reformieren, sind bisher gescheitert. Es gibt viele Vorschläge, was zu tun wäre, um einen XXL-Bundestag in Zukunft zu verhindern. Ein besonders knackiger Vorschlag lautet, die Zahl der Wahlkreise zu verringern. Aber dagegen gibt es erbitterten Widerstand – vor allem aus den Reihen von CDU und CSU.

So erbt der neue Bundestag diese große Reformaufgabe. Helfen soll ihm dabei eine bereits eingesetzte Kommission aus Abgeordneten und Fachleuten. Diese Kommission will ihre Vorschläge bis Mitte 2023 präsentieren. Doch selbst Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) ist pessimistisch. „Das Problem bleibt die Quadratur des Kreises, und das wird auch die neue Kommission nicht lösen können.“