Die Schirn Kunsthalle Frankfurt zeigt die radikale Kunst von Yoko Ono – zu ihrem achtzigsten Geburtstag. Da gibt es Kunst zum Schleuderpreis und intime Einblicke in das Leben der Witwe, die einst John Lennon geliebt hat.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Frankfurt - Immer wieder hört man einen dumpfen Schlag. Schwungvoll marschieren Besucher in die Drehtür – und donnern gegen das Glas. Denn die Drehtür, die in Yoko Onos Ausstellung in der Frankfurter Schirn führen soll, entpuppt sich als Sackgasse – und spuckt die Passanten beim Einstieg wieder aus. Zurück auf null. Und die erste Lektion dieser Ausstellung ist bereits gelernt: Augen auf beim Museumsbesuch. „En Trance“, wie sich die Installation doppeldeutig nennt, also in Trance, findet man den Zugang zur Kunst sicher nicht.

 

Ob wach oder in Trance – in den kommenden Wochen werden Tausende in die Schirn Kunsthalle Frankfurt pilgern, denn dem Leiter Max Hollein ist wieder ein großer Coup gelungen, um den ihn viele Kollegen beneiden werden: Am Montag wird Yoko Ono achtzig Jahre alt – und die Schirn ist die erste Station einer umfassenden Werkschau der meistgehassten Frau der Welt. Bevor sie John Lennon kennenlernte, war Yoko Ono bereits eine erfolgreiche Künstlerin, radikal und der Avantgarde um Jahre voraus. Sie filmte nackte Hinterteile oder umwickelte Musiker während eines Konzertes mit Mullbinde – als ironischen Kommentar auf die Kultfigur John Cage.

Eigentlich ein absurdes Unterfangen

Die Schirn dokumentiert in „Half-A-Wind Show“ nun die wichtigsten Aktionen Yoko Onos und hat einige ihrer Installationen nachgebaut, auch wenn das eigentlich ein absurdes Unterfangen ist. Denn Yoko Ono, eine Mitakteurin der Fluxus-Bewegung, wollte den traditionellen Kunstbegriff dekonstruieren. Als sie 1961 ihre erste Einzelausstellung in der AG Gallery von George Maciunas und Almus Salcius in New York hatte, legte sie löchrige Stoffe auf den Boden, auf die die Besucher Wasser tropfen lassen sollten. Solch ein alter Fetzen liegt nun auch in der Schirn auf dem Boden mit der expliziten Aufforderung „bitte berühren“. Denn diese Kunst ist zur Interaktion gedacht.

Der Rundgang durch den historischen Teil der Ausstellung ist überraschend frisch und lebendig. Denn der Fluxus-Gedanke hat nichts von seiner Radikalität eingebüßt – gerade heute, da Künstler gern wieder zu Genies, ja Göttern stilisiert werden und Preise in Millionenhöhe erzielen. Wie angenehm frech wirkt dagegen immer noch eine Aktion wie „Museum of Modern (F)Art“, bei der Yoko Ono 1971 in einer Zeitschrift ihre Ausstellung im MoMA ankündigte – die es allerdings nicht gab. In der Schirn ist sogar Kunst zum Schleuderpreis erhältlich: Für fünfzig Cent kann man aus Kaugummiautomaten „Air Capsules by Yoko Ono“ herauslassen – Plastikkapseln mit quasi heißer Luft in Zimmertemperatur.

Das Interesse wächst

1966 mussten die Besucher ihrer Ausstellung auf eine Leiter steigen, um einen Text an der Decke lesen zu können. In Frankfurt ist die Leiter nun zum unberührbaren Kunstwerk mutiert. Das ist das Dilemma dieser Kunstrichtung, dass ihre Überreste zu musealen Artefakten erstarrt sind, so, wie heute auch niemand mehr einen Nagel in das „Painting to hammer a nail“-Bild schlagen darf, auch wenn ein Hammer griffbereit hängt.

In den vergangenen Jahren ist das Interesse an Yoko Onos künstlerischem Werk wieder stärker geworden, sie wurde 2009 sogar mit dem Goldenen Löwen auf der Kunstbiennale in Venedig ausgezeichnet. Trotzdem darf in einer Retrospektive natürlich nicht der Mann fehlen, mit dem ihr Name untrennbar verbunden ist: John Lennon. In der Schirn wacht er im Hintergrund und lächelt milde. In dem „Film No. 5 (Smile)“ hat Yoko Ono 49:20 Minuten lang die Kamera auf ihn gehalten – und ganz langsam, wie in Zeitlupe, zeichnet sich auf Lennons jugendlichem Gesicht ein Lächeln ab.

Immer wieder taucht Lennon auf – mal en passant als Co-Regisseur einer Videoarbeit, aber vor allem in einer Musikkoje, in der die gemeinsamen Plattencover stehen und Videos der „Plastic Ono Band“ von Ono und Lennon gezeigt werden, die Yoko Ono vor vier Jahren reanimiert hat. Aber letztlich bleibt John Lennon eine Randfigur und macht die Ausstellung noch einmal deutlich, dass Yoko Ono immer schon eine eigenständige Künstlerpersönlichkeit war. Sie war die Tochter eines Tokioter Bankiers und mit der japanischen Kaiserfamilie auf Du und Du. Sie war auch die erste Frau in Japan, die Philosophie studierte. Aber auch wenn Yoko Ono in der Kunst- und Neuen-Musik-Szene eine wichtige Rolle spielte, blieb diese radikale und feministische Künstlerin im Westen eben doch eine Außenseiterin. Dass man sie für das Ende der Beatles verantwortlich machte, hatte auch viel mit Chauvinismus und Rassismus zu tun.

Sie fühlt sich kein bisschen alt

Wie Yoko Ono nun in der Schirn steht, dieses zarte Persönchen, mag man so gar nicht die „Drachen-Lady“ und „böse Hexe im Beatles-Märchen“ sehen, als die sie so oft beschimpft wurde. Sie trägt immer noch diesen albernen Hut und die große Sonnenbrille, aber Yoko Ono wirkt für ihre achtzig Jahre nicht nur ungeheuer jugendlich, sondern auch so, als wäre sie mit sich ganz im Reinen. Sie fühle sich nicht alt, sagt sie, „denn ich habe das Gefühl, noch nicht genug getan zu haben“. Sie hat noch viel vor, weil sie überzeugt ist, dass „wir alle gemeinsam eine wunderbare Welt schaffen können“.

Manches, was Yoko Ono sagt, klingt simpel. Die schlichte Poesie ihrer Botschaften schrammt manchmal auch nur haarscharf an Kitsch und Pathos vorbei. So schreibt sie in der Ausstellung, sie habe in den sechziger Jahren stets einen Glasschlüssel bei sich gehabt, „um den Himmel zu öffnen“. Vielleicht müsste man den Spieß umdrehen: Nicht Yoko Ono hat die Beatles zerstört, sondern durch die Bekanntschaft mit John Lennon ging eine große künstlerische Karriere zu Ende. Denn Yoko Ono hat nie mehr die Qualität und ungeheure Radikalität erreicht, die ihre Arbeiten in den sechziger Jahren besaßen.

Wie ein persönliches Tagebuch

So stößt man im zweiten Teil der Ausstellung auf manche Neuauflage alter Konzepte – und sollen nun die Besucher in schwarze Säcke klettern wie einst Yoko Ono mit ihrem ersten Mann. „We are all water“ nennt sich eine Ahnengalerie von 2006, für die sie Medizinflaschen mit Wasser gefüllt und mit Namen versehen hat: Albert Camus und Maria Callas, Beuys und Warhol – sie alle haben wohl auch nur mit Wasser gekocht. Bei der Installation „Balance Piece“ (1996/2010) scheinen Küchenutensilien und Möbel wie von einem Magneten angezogen zu werden und hängen schräg an der Wand. Doch die Arbeit ist so plump und schlampig gefertigt, dass sich die Vision magnetischer Kräfte nicht einstellen mag.

Anrührend und wie ein persönliches Tagebuch liest sich dagegen „Vertical Memory“ von 1997. Yoko Ono hat Fotos von Vater, Mann und Sohn ineinander montiert und mit Erinnerungen versehen – an den distanzierten Vater, an die Kriegsjahre, als sie um Essen betteln musste, oder auch an einen Arzt, der sie als Kind aufforderte, die Augen zu schließen – um sie zu küssen.