Das Zahnradbahngespräch mit Prominenten aus dem Sport: auf dem Weg nach oben erzählen sie von ihren Karrierehöhepunkten, auf dem Weg nach unten von Tiefpunkten – diesmal: der Fußballprofi Zoltan Sebescen, der Zweiter wurde, sich aber als Sieger fühlt.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Ein Ex-Fußballer, der seit über zehn Jahren praktisch überhaupt keinen Sport mehr gemacht hat, kommt in der Regel anders daher: deutlich schwergewichtiger. Zoltan Sebescen, das muss bei der Begrüßung neidlos anerkannt werden, hat sich gut gehalten. „Um nicht aus dem Leim zu gehen, musste ich meine Essgewohnheiten schon stark verändern“, sagt der ehemalige Erstligaprofi des VfL Wolfsburg und von Bayer Leverkusen. Sein Heimverein sind aber die Stuttgarter Kickers. Und wie es sich für einen Degerlocher gehört, fährt er mit der Zacke am Marienplatz ein, wo das Zahnradbahngespräch traditionell beginnt – mit der Fahrt nach oben zu den Höhepunkten in der Karriere des mittlerweile 39-Jährigen.

 

Doch der eigentlich unkomplizierte Zoltan Sebescen macht es gleich kompliziert und sagt: „Die Höhepunkte hatten bei mir auch immer den einen oder anderen Haken.“ Aber wir sind ja flexibel. Deshalb wird das ungeschriebene Zahnradbahngesetz vom thematisch streng getrennten Auf und Ab diesmal einfach außer Kraft gesetzt. Diesen neuen Gesprächsmix lässt Zoltan Sebescen im Februar des Jahres 2000 beginnen – mit dem Testländerspiel gegen Holland, das auch heute noch mit seinem Namen in Verbindung gebracht wird. „Es war nun wirklich nicht meine beste Partie, klar, über meine Leistung lässt sich diskutieren“, sagt Sebescen. Aber eines wird auch schnell klar: schlecht reden lassen will er sich dieses Spiel auf gar keinen Fall. „Das wäre doch fatal“ sagt er. „Den Adler auf der Brust zu tragen – da ist ein Kindheitsraum in Erfüllung gegangen. Und das nach gerade einmal sieben Bundesligaspielen. Dazu wurde ich als erster Wolfsburger überhaupt in die Nationalmannschaft berufen und stand dann auch noch völlig überraschend in der Startelf.“ Noch überraschender wurde er dann vom damaligen Bundestrainer Erich Ribbeck als rechter Außenverteidiger aufgestellt, eine Position, die er noch nie zuvor gespielt hatte. Und dann auch noch gegen die Niederländer mit dem Wirbelsturm Zenden – van Nistelrooy – Kluivert. „Normalerweise wirst Du als Debütant irgendwann in der zweiten Halbzeit eingewechselt und spielst dann auf deiner angestammten Position. Aber natürlich habe ich mich nicht dagegen gewehrt, ich wäre auch ins Tor gegangen.“

Die Nationalmannschaft bleibt ein einmaliges Erlebnis

Nach 45 Minuten nimmt Ribbeck den gelernten Offensivmann vom Platz und zeigt auch danach kein Fingerspitzengefühl. „ Ich hätte mir schon gewünscht, dass der Trainer noch mit mir spricht und mich aufmuntert, aber da kam einfach gar nichts.“ Stattdessen wird der Debütant nach der deutschen 1:2-Niederlage im Bus von den Kollegen Oliver Bierhoff, Oliver Kahn und Lothar Matthäus wieder aufgebaut. Und so konnten ihm auch wenig schmeichelhafte Überschriften danach nichts mehr anhaben, was auch auf dem Platz schnell deutlich wurde. Nur kurze Zeit nach dem sehr speziellen Länderspieleinsatz gelingt Sebescen beim Wolfsburger 4:4 gegen den Hamburger SV unter seinem früheren Kickers-Coach Wolfgang Wolf ein Hattrick. Ein einmaliges Erlebnis, ebenso wie die Partie in der Nationalmannschaft.

Doch die bringt die Karriere von Zoltan Sebescen nicht ins Trudeln. Es folgt der Wechsel zu Bayer Leverkusen und ein schaurig-schönes Jahr 2002. Für Zoltan Sebescen ein „Sensationsjahr“, allerdings wieder ohne Happy End. Bayer Leverkusen steht in der Bundesliga drei Spieltage vor Schluss mit fünf Punkten Vorsprung an der Tabellenspitze, außerdem im DFB-Pokalfinale und im Endspiel der Champions League. „Und am Ende sind wir Bayer Vizekusen.“ In der Bundesliga wird Sebescens Team noch von Dortmund abgefangen, das DFB-Pokalfinale wird gegen Schalke verloren – und dann auch das Champions-League-Endspiel in Glasgow gegen Real Madrid mit 1:2. „Ich habe mir dieses Spiel sicher zehnmal angeschaut, wir waren in dieser Partie die bessere Mannschaft. Real hatte aber in Zinedine Zidane den besten Spieler zu bieten“, sagt Zoltan Sebescen über die Partie, in der er es mit Roberto Carlos als direkten Gegenspieler zu tun hatte.

Trotz dieser so knapp verpassten sportlichen Ziele – wie einer, der sich zu kurz gekommen fühlt, wirkt Zoltan Sebescen nun wirklich nicht. Und auch über das ebenso frühe wie unnötige Karriereende spricht er ganz ohne Verbitterung, nachdem der Wendepunkt in Degerloch erreicht und es bergab geht. Und in der Zacke geht es jetzt um die Zecke.

Ein Zeckenbiss ist der Anfang des Karriereendes

Nach sieben Knieoperationen steht für Zoltan Sebescen mit 29 Jahren 2005 fest: Und jetzt ist Schluss. Schluss mit der Quälerei in der Reha. Am Ende ist das Knie immer wieder gereizt und schmerzt bei der geringsten Belastung. Viel zu spät wurde die Ursache gefunden. Ein im Jahr 2002 unentdeckter Zeckenbiss, der eine Borreliose-Erkrankung zur Folge gehabt hat. „Wenn das sofort diagnostiziert worden wäre, hätte ich nach einer einmonatigen Antibiotika-Therapie völlig problemlos weiterspielen und mir viele Operationen sparen können.“

Für Zoltan Sebescen ist das aber kein Grund zu hadern, verpassten Möglichkeiten und einer Karriere hinterherzutrauern, die durchaus noch steiler hätte verlaufen können. „Sicher, es gab Enttäuschungen. Ich bin aber trotzdem sehr dankbar“, sagt er bei der Ankunft am Marienplatz. Und dann erzählt er bei einem Milchkaffee im Café Kaiserbau von seinen Anfängen bei den Kickers und seinen Eltern, die 1972 als Angehörige einer ungarischen Minderheit in der damals jugoslawischen und jetzt serbischen Vojvodina nach Deutschland und 1977 nach Stuttgart gekommen waren. Sie fanden eine Anstellung an der Privaten Merzschule, der Vater als Hausmeister. „So hatte ich das Privileg, hier mein Abitur zu machen“, sagt Zoltan Sebescen, der selbst Vater von zwei Söhnen ist.

Spielerberater und Co-Trainer einer F-Jugend

Nach seiner Fußballkarriere hat Zoltan Sebescen sein BWL-Studium wieder aufgenommen und den Sportfachwirt gemacht. Gelandet ist er dann wieder bei den Kickers – als Jugendkoordinator. Mittlerweile arbeitet er in der Spielerberatungsfirma des ehemaligen Kickers-Spielers Martin Wiesner, wo neben Fußballern zeitweise auch Stars der Volksmusik betreut wurden. „Die Wildecker Herzbuben, zum Beispiel“, sagt Sebescen. Was sein Gegenüber ziemlich lustig findet. Zoltan Sebescen eher nicht. Aber noch weniger, dass nach seinen vielen Knieoperationen gerade noch ab und zu einmal eine Runde Golf drin ist. „Und dann bin ich noch Co-Trainer der F-Jugend des KV Plieningen, dort spielt ein Sohn von mir und mein Schwiegervater ist im Vorstand“, erzählt Zoltan Sebescen.

Es ist Mittag geworden im Café Kaiserbau. Zeit für einen Blick in die Speisekarte? „Nein, ich muss mich doch beim Essen zurückhalten“, sagt er mit einem Zwinkern. Die Belohnung für die Zurückhaltung gibt es, als sich Zoltan Sebescen seinen Fahrschein für die Heimfahrt nach Degerloch aus dem Automaten lässt. Im Vorbeigehen will der Zugführer wissen: „Bei welchem Verein spielen Sie eigentlich gerade?“