Johannes Rydzek ist der erfolgreichtse deutsche Athlet bei der nordischen Ski-WM in Falun gewesen. Der Kombinierer aus Oberstdorf spricht im Zahnradgespräch aber auch einen Tiefpunkt bei Olympia in Sotschi.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - So ist noch niemand zum Zahnradbahngespräch gekommen: mit einem Leihfahrrad der Deutschen Bahn. Das hat sich Johannes Rydzek vor dem Büro seines Managers in der Stuttgarter Innenstadt geschnappt und ist damit zum Marienplatz gefahren. So wie der 23-Jährige angeradelt kommt, könnte er in jedem zweiten französischen Kinofilm mitspielen. In seinem blauen Sommersakko und dem gestreiften T-Shirt sieht er jedenfalls mehr nach Picknick in der Provence aus als nach Wintersportler aus Oberstdorf. „Die meisten Leute kennen mich nur mit Helm oder Mütze“, sagt der Allgäuer, der in Kempten Wirtschaftsingenieurwesen studiert und damit gleich das Los eines deutschen Saisonsportlers anspricht. Im Winter erwartet man Medaillen von ihnen, und schon im Frühjahr kann sich kaum noch jemand an die Erfolge erinnern, geschweige denn an das dazugehörige Gesicht. Von ganz wenigen Ausnahmen einmal abgesehen, wie den Skispringern Sven Hannawald und Martin Schmitt einst. Johannes Rydzek lächelt und sagt: „So ist das eben, damit habe ich kein Problem.“

 

Typisch Nordischer Kombinierer. Als solcher muss er sich ganz schnell den Gegebenheiten anpassen. Erst als Skispringer und kurze Zeit später im Skilanglauf. Dieser traditionsreiche Mix aus zwei ganz unterschiedlichen Sportarten gilt vielen Experten als Königsdisziplin des Wintersports – die entsprechende Aufmerksamkeit erhalten die Athleten aber allenfalls bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften. Womit wir bei den beiden zentralen Themen des Johannes Rydzek angekommen wären, um die es im Zahnradbahngespräch nun gleich gehen wird.

Die WM in Falun als Höhepunkt

Bitte einsteigen! Die Fahrt nach oben steht ganz im Zeichen der diesjährigen Ski-WM im schwedischen Falun, wo Johannes Rydzek mit zweimal Gold, einer Silber- und einer Bronzemedaille der erfolgreichste deutsche Teilnehmer war. Obwohl doch zuvor eigentlich Eric Frenzel die Rolle des Medaillenabräumers zugedacht worden war. Der Sieg im Einzel im Wettbewerb mit dem Springen von der kleineren Schanze ist für Johannes Rydzek der bisherige Höhepunkt in seiner Karriere. Der Rückblick hört sich im Originalton so an: „Ich habe mich vor dem Start sehr gut gefühlt, und dann kurz vor dem Wettbewerb habe ich diese besondere Atmosphäre aufgesogen. Das lässt sich schwer erklären, aber ich dachte mir: heute geht was.“ Doch zunächst geht gar nichts. Das Springen muss immer wieder wegen starken Windböen verschoben werden.

Auch das Zahnradbahngespräch kommt jetzt in Stocken, weil eine etwas aufdringliche Mitfahrerin zwei Reihen weiter vorne unbedingt wissen will, welcher Sportler hier interviewt wird. „Johannes Rydzek, den Namen kenn’ ich, aber erkannt hätt’ ich Sie jetzt spontan nicht“, sagt sie. Der Weltmeister lächelt freundlich, der Journalist eher gequält. Kann’s jetzt weitergehen? Ja, sagt die Dame, die noch erzählt, dass sie sich allerdings deutlich mehr für Boxen und Fußball interessiere.

Wo waren wir stehengeblieben? Genau, beim verzögerten Kombinations-Skispringen in Falun. Das beginnt dann mit dreieinhalbstündiger Verspätung. Eric Frenzel scheint als Führendem der Sieg im Langlauf nicht mehr zu nehmen zu sein.

Johannes Rydzek geht als Fünfter in die Loipe. Und er macht das Rennen seines Lebens, während Frenzel über die Zehn-Kilometer-Strecke die Kräfte verlassen. Am Ende kommt es zwischen Rydzek und dem Italiener Alessandro Pittin zum Zweikampf. „Als ich seine Attacke an der letzten Steigung abwehren konnte, wusste ich: das packst du jetzt.“ Auf der Zielgeraden läuft Johannes Rydzek dem Gegner davon. „Ich habe plötzlich alles wie in Zeitlupe erlebt, die letzten Meter, den Jubel, die Umarmungen mit meiner Freundin und den Eltern, die Interviews. Das sind unvergessliche Momente, Kindheitsträume, die wahr werden.“

Und bei der WM in Falun gehen im Februar noch mehr Wünsche in Erfüllung. Johannes Rydzek gewinnt mit dem deutschen Team Mannschaftsgold, dazu Silber im Teamsprint an der Seite von Eric Frenzel ebenso wie die Bronzemedaille im Einzelwettbewerb mit dem Springen von der Großschanze.

Olympia in Sotschi als Tiefpunkt

Johannes Rydzek ist ein Siegertyp, so lautet die Zwischenbilanz des Zahnradbahngesprächs am Wendepunkt in Degerloch. Auf der anschließenden Talfahrt wird dann aber deutlich, dass er auch die andere Seite des Sports intensiv kennengelernt hat. Es geht um die Winterspiele 2014 in Sotschi, die Rydzek in schlechter Erinnerung hat. Olympia in Russland hatte für ihn so gar nichts Magisches mehr im Vergleich zu Vancouver, wo er als 18-Jähriger seine ersten Spiele genoss und die Bronzemedaille im Teamwettbewerb gewann. „Kanada war ein tolles Erlebnis. Die Sportstätten wurden im Einklang mit der Natur gebaut, da steckte ein nachhaltiges Konzept dahinter“, erzählt er, „in Sotschi spielten solchen Überlegungen keine Rolle.“ Auch die politische Lage in Russland seien unbeschwerten Spielen im Weg gestanden, sagt Rydzek.

Seinen eigenen olympischen Tiefpunkt in Sotschi hatte er dann im Wettbewerb mit dem Springen von der Großchance. Das Unheil nimmt in der Loipe seinen Lauf. Drei Deutsche und zwei Norweger bilden die Spitzengruppe, die die Medaillen unter sich ausmacht. Erst greift Björn Kircheisen viel zu früh an, den Rest besorgt dann Fabian Rießle.

In der vorletzten Kurve schneidet der Freiburger Rydzek den Weg ab und bringt ihn zu Fall. Fabian Rießle selbst rettet sich als Dritter hinter Joergen Graabak und Magnus Moan ins Ziel und agiert dort erneut ungeschickt – indem er sich etwas zu enthusiastisch über die Bronzemedaille freut, während Johannes Rydzek tief enttäuscht als Achter ankommt. Was dem Oberstdorfer neben der verpassten Medaille zu schaffen macht: „Ich habe bei Fabian Rießle nie das Verständnis für meine Situation gespürt, er hat nicht mit mir über meinen Sturz gesprochen, an dem er ja beteiligt war.“

Silber mit der Mannschaft ist ein zu schwacher Trost, um die Enttäuschung zu verarbeiten. Mit der Hilfe eines Psychologen gelingt es Rydzek aber doch schnell, über den Tiefpunkt wegzukommen. Und wie steht es um das Verhältnis zum Teamkollegen Fabian Rießle? „Das ist okay, das Thema ist abgehakt“, sagt er, als die Zahnradbahn wieder am Marienplatz ankommt.

Bei der anschließenden Tasse Cappuccino im Café Kaiserbau erzählt Johannes Rydzek dann über den Druck, der von ihm abgefallen ist, seitdem er Weltmeister ist und von der motivierenden Wirkung dieses Titels. Er erzählt auch davon, dass auf ihn jetzt ganz genau geschaut wird.

Gleich nach der WM startet Rydzek im Weltcup in Lahti. Der junge Norweger Jarl Magnus Riiber fordert dort den Weltmeister heraus, indem er im Langlauf ständig die Spur wechselt, um den schnelleren Deutschen nicht an sich vorbeikommen zu lassen. Das Ganze endet in einem spektakulären Sturz. Im Ziel stellt der Oberstdorfer Riiber dann zur Rede – mit erhobenem Zeigefinger. Ein Foto, das in Norwegen für einiges Aufsehen sorgt, ebenso wie Rydzeks Entschuldigung und das Geschenk, das er Riiber später macht: den Goldanzug von Falun. „In Norwegen kennt man mich jetzt“, sagt Johannes Rydzek, bevor er lächelnd wieder davonradelt.