Die schwäbische Motorsportlegende Hans Herrmann spricht im Zahnradbahngespräch über die Höhe- und Tiefpunkte in seinem bewegten Leben – über sportliche Erfolge, schlimme Unfälle und über eine brutale Entführung.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Das Haus von Hans Herrmann ist fest in den Händen von Maria und Magdalena. Unzählige Marienbilder und -Statuen schmücken den Eingangsbereich. „Dafür ist meine Frau Magdalena zuständig“, sagt Hans Herrmann, „die Sachen sollten helfen, dass mir nichts passiert.“ Eine Villa in Maichingen symbolisiert so die Sorge um die Gesundheit eines Autorennfahrers. Aber auch die Dankbarkeit darüber, dass er nicht wie so viele seiner Kollegen und Freunde ihre Motorsportbegeisterung mit dem Leben bezahlen musste. „Ich habe überlebt“, so heißt dann auch der Titel eines Buches des mittlerweile 87 Jahre alten Hans Herrmann, der in den 50er und 60er Jahren ein deutscher Sportstar war. Einer, der in der Formel 1 unter dem berühmten Mercedes-Rennleiter Alfred Neubauer und neben den Fahrerlegenden Juan Manuel Fangio, Stirling Moss und Karl Kling die Silberpfeiltradition nach dem Krieg wiederbelebt hat. Später hat Herrmann dann auch noch Porsche in Le Mans zu Ruhm verholfen.

 

„Von mir aus kann’s losgehen“, sagt ein gut gelaunter und fitter Hans Herrmann. Wenn nur die Hüfte nicht wäre und eine Operation vor Kurzem. Das ist auch der Grund, warum das Zahnradbahngespräch mit einem gewissen Vorlauf beginnt. „Wenn’s nichts ausmacht“, so hat Hans Herrmann das Angebot angenommen, ihn zuhause abzuholen, um dann gemeinsam den Marienplatz anzusteuern.

Auf der Fahrt von Maichingen nach Stuttgart begegnet Herrmann seiner eigenen Geschichte. Schließlich führt der direkte Weg über die ehemalige Solitude-Rennstrecke. „500 000 Zuschauer haben uns hier früher zugejubelt“, sagt er. Mit dem Mercedes-Rennsportwagen 300 SL stellte er hier im Jahr 1953 in 4,52 Minuten einen Rundenrekord auf. Aber dann kommt ein Parkplatz und Hans Herrmann eine ganz andere Erinnerung. An diesem unscheinbaren Ort hatte sein Lebensweg eine dramatische Abbiegung genommen. Es war an einem Wintertag 1991, als sich Hans Herrmann diese Frage stellte: Endet mein Leben jetzt im Kofferraum, nachdem ich dem Tod am Steuer immer wieder knapp entgangen bin? Der Rennfahrer, der nach seiner Karriere eine Firma für Autozubehör gegründet hatte, war das Opfer einer brutalen Entführung geworden. „Darüber erzähle ich Ihnen in der Zacke“, sagt Herrmann, „wenn es bergab geht.“

Zunächst geht es in der Zahnradbahn aber nach oben und um die Höhepunkte. Hans Herrmann erzählt von seiner Kindheit, von seiner Mutter, die ihn allein und mit viel Liebe in Stuttgart groß gezogen habe. „Hier einfach die Hauptstätter Straße runter, bei der Leonhardskirche haben wir gewohnt“, sagt er und zeigt Richtung Stadtmitte. In der Bäckerei seiner Mutter machte er eine Ausbildung zum Konditor, was ihn aber nicht davor schützte, im Frühjahr 1945 mit 17 noch eingezogen zu werden. Er wurde der Waffen-SS überstellt, ihm gelang auf der Zugfahrt Richtung Osten an die Front mit drei Freunden aber die Flucht, und so kehrten sie mit Kriegsende unbeschadet nach Stuttgart zurück.

Hans im Glück

Danach machte er sich schnell daran, seinen Kindheitstraum von der Rennfahrerkarriere wahr werden zu lassen. 1952 gewinnt Hans Herrmann im privaten Porsche ein Rundstreckenrennen auf dem Nürburgring, wurde Werksfahrer der Zuffenhäuser und feierte Siege beim italienischen Langstreckenklassiker Mille Miglia. Hier erhielt er auch seinen Beinamen „Hans im Glück“, als er 1954 vor einem Bahnübergang nicht mehr bremsen konnte und mit seinem Beifahrer Hans Linge geduckt unter der Schranke durchfuhr und sie es gerade noch vor dem Schnellzug nach Roma auf die andere Seite schafften.

1954 qualifizierte er sich in einem Ausscheidungswettbewerb für das Formel-1-Team von Mercedes und bildete mit den Stars Fangio und Kling ein Dreierteam. „Ein absoluter Höhepunkt“, sagt Hans Hermann, der in diesem Jahr die schnellste Runde beim Großen Preis von Frankreich in Reims fuhr und Dritter beim Schweiz-Grand-Prix wurde. Nebenbei ging er für Porsche als Sportwagen- und Langstreckenfahrer an den Start. „So konnte es passieren, dass ich am Samstag im Porsche und sonntags im Mercedes Rennen fuhr“, sagt der Mann, der seit 2014 auch Markenbotschafter für beide Hersteller ist.

Ein Sieg in einem Formel-1-Rennen ist Hans Herrmann nicht vergönnt. Als er gerade auf Le Mans und das 24-Stunden-Rennen zu sprechen kommt, sieht er zwischen den Zackehaltestellen Pfaffenweg und Wielandshöhe das Straßenschild „Fritz-Münch-Staffel“ und sagt „Fritz Münch, der Schneidermeister mit dem Motto: fünf Anzüge, und der sechste ist umsonst. Mensch, der hat mich eingekleidet.“ Von der Fritz-Münch-Staffel zurück nach Le Mans, wo auf Hans Herrmann ein später Höhepunkt wartet. Im Porsche 917 holt er zusammen mit dem Engländer Richard Attwood den lang ersehnten ersten Gesamtsieg für Porsche im Langstrecken-Mekka. „Ich hatte damals meiner Frau vor der Abreise nach Frankreich versprochen, dass ich meine Karriere beenden werde, sollte ich gewinnen. Mit mir allein hatte ich aber schon lange zuvor ausgemacht, dass dies auf jeden Fall mein letztes Rennen sein wird“, erinnert sich Hans Herrmann an den perfekten Schlusspunkt mit 42 Jahren.

Der schlimme Unfall in Monte Carlo

Seine Karriere schien eigentlich schon viele Jahre zuvor beendet zu sein. Hans Herrmann kommt nun auf die Tiefpunkte zu sprechen. Einen kann er ganz genau verorten. Monte Carlo, 21. Mai 1955. Beim Abschlusstraining, das heutzutage Qualifying heißt, ist Herrmann mit seinem Mercedes auf einer ganz schnellen Runde. „Die wollte ich unbedingt durchziehen, weil nirgends ein guter Startplatz so wichtig ist wie auf diesem Stadtkurs. Beim Anbremsen zog der Wagen allerdings leicht nach rechts“, erzählt er. Irgendwann zog er dann extrem nach rechts. Auf der ungesicherten Strecke schanzte er mit 200 Stundenkilometern über das Trottoir und prallte in eine Mauer beim Hôtel de Paris. „Ich hatte Glück, dass mir nicht der Kopf abgerissen wurde und dass der Wagen nicht Feuer fing.“ Es folgte ein fünfmonatiger Krankenhausaufenthalt. Herrmann hatte sich Kreuzbein, Steißbein und zwei Rückenwirbel gebrochen. Dennoch wollte er in die Formel 1 zurück und fuhr später für Maserati, Cooper und BRM. 1959 überlebte er wie durch ein Wunder einen schweren Unfall auf der Berliner Avus fast unverletzt, als er bei Tempo 280 in die Strohballen fuhr und dabei aus dem Auto geschleudert wurde.

„Moment mal, diesen Unfall habe ich auf Video“, sagt Hans Herrmann und holt sein Smartphone aus der Hosentasche. Und wie er den Schwarzfilm abspielt, sagt er: „Ich weiß noch, wie ich Angst hatte, dass mir der Wagen ins Kreuz knallt.“ Wie kann man nach solchen Erlebnissen immer wieder in ein Rennauto steigen? „Man darf sich nicht mit dem Tod beschäftigen“, sagt Hans Herrmann, „auch wenn ständig einer von uns gestorben ist.“ 60 Formel-1-Kollegen von ihm sind während seiner Motorsportkarriere zwischen 1953 und 1970 bei Unfällen ums Leben gekommen, darunter Freunde wie Wolfgang Graf Berghe von Trips und Gerhard Mitter. „Du hast dir dann immer wieder gesagt: aber dich erwischt es nicht.“

In der Gewalt von Entführern

Und ausgerechnet für ihn geht es nach der Karriere plötzlich noch einmal um Leben und Tod. Es ist der 13. Dezember 1991, als Hans Herrmann von einer Mercedes-Weihnachtsfeier heimkommt. Dort wird er von drei maskierten Männern überwältigt, die zuvor ins Haus eingedrungen waren, den Hund mit einem Pistolenknauf niedergeschlagen und seine Frau gefesselt hatten. Der Hund wird so schwer verletzt, dass er kurze Zeit später eingeschläfert werden muss. Nach einer Nacht in der Gewalt der Schwerverbrecher wird Hans Herrmanns Frau angewiesen, eine Million Mark zu beschaffen, anderenfalls, so die Geiselnehmer, würde sie ihren Mann nicht wiedersehen. Während Magdalena Herrmann 300 000 Mark auftreiben kann, wird Hans Herrmann im Kofferraum seines eigenen Wagens gepfercht und auf einen Parkplatz gebracht. Nachdem das Geld in den Besitz der Entführer gekommen ist, geben sie den Standort des Wagens bekannt und fordern die Ehefrau nun auf, die Polizei zu alarmieren. Hans Herrmann lebt. Von den Entführern fehlt bis heute jede Spur. Obwohl sie Spuren hinterlassen haben, im Haus, aber vor allem in den Seelen der Herrmanns. „Meine Frau leidet bis heute unter den Ereignissen“, sagt Hans Herrmann, dem möglicherweise die Grenzerfahrungen im Rennsport dabei geholfen haben, das Erlebte einigermaßen zu verarbeiten.

„Jetzt trinken wir aber noch einen Kaffee“, sagt er bei der Rückkehr an den Marienplatz. Er erzählt im Café Kaiserbau stolz von seinen beiden Söhnen, von denen einer als erfolgreicher Musikproduzent in Los Angeles arbeitet, von der Schwiegertochter, die aus Shanghai stammt, und vom fünfjährigen Enkel Lino, der gerade bei den Großeltern zu Besuch ist: „Unser schwäbisches Chinesle“, sagt Hans Herrmann.

Und dann geht’s auch schon wieder zurück nach Maichingen – über die alte Solitude-Rennstrecke. „An diesem Wochenende bin ich hier übrigens im Einsatz“, erzählt er und dass er beim Solitude Revival, dem Rennsportfestival für Oldtimer, mit dem alten Le-Mans-Porsche seine Runden dreht. „Ich freu’ mich drauf“, sagt er noch zum Abschied.