2010 ist Samuel Koch bei „Wetten, dass..?“ schwer verunglückt. Jetzt kann man ihn im Drama „Draußen in meinem Kopf“ im ZDF in einer Hauptrolle sehen: als Mensch in einer Extremsituation.

Stuttgart - Der rätselhafte Titel des Spielfilms „Draußen in meinem Kopf“ lässt sich einfach erklären: Sven muss nicht vor die Tür gehen, denn das Draußen ist komplett in seinem Kopf. Aber selbst wenn er wollte: Sven könnte gar nicht; er hat Muskeldystrophie. Sein Aktionsradius endet unterhalb des Kopfs, er muss gefüttert und gewaschen werden.

 

Nur mit den Augen spielen

Zwei Szenen verdeutlichen, welche nervigen Folgen die Bewegungslosigkeit sonst noch hat: Wenn eine Fliege auf seiner Hand landet, kann Sven nicht mehr tun als zu versuchen, sie wegzupusten; und wenn eine CD hängen bleibt, was umgehend zur akustischen Folter wird, muss er warten, bis jemand die Kakofonie mitbekommt und beendet.

Ansonsten hat Sven nicht viel zu tun; er schlägt die Zeit tot, indem er in der Luft tanzendem Staub zuschaut. Für einen Darsteller ist das eine enorme Herausforderung; er kann im Grunde nur mit seinen Augen spielen.

Samuel Koch wurde auf tragische Weise quasi über Nacht berühmt, als er mit Anfang zwanzig im Dezember 2010 in der ZDF-Show „Wetten, dass . .?“ derart schwer verunglückte, dass er seither querschnittsgelähmt ist. Sein Schauspielstudium setzte er dennoch fort.

Unerfahren und unbedarft

Vier Jahre nach dem Unfall konnten sich die Kinobesucher dank seiner Gastrolle in „Honig im Kopf“ davon überzeugen, wie gut er sein Metier schon jung beherrscht; seit 2018 ist er festes Ensemblemitglied am Nationaltheater Mannheim. Sein Talent ist die Basis dafür, dass „Draußen in meinem Kopf“ funktioniert, denn mit Ausnahme der Schlussszene trägt sich die Handlung ausschließlich in Svens Zimmer zu.

Der Film beginnt mit der Einführung des Abiturienten Christoph, der in dem Pflegeheim sein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert; Nils Hohenhövel spielt wie Koch seine erste Hauptrolle. Christoph ist vor allem eine Un-Figur: unerfahren, unschuldig, unbedarft. Hohenhövel verkörpert den jungen Mann über weite Strecken als verschrecktes Reh, zumal der ebenso intelligente wie gelangweilte Sven, der seine Todessehnsucht zuweilen mit sinistrem Sarkasmus tarnt, ein böses Spiel mit dem FSJler treibt. Dass sich die hübsche Pflegerin Louisa (Eva Nürnberg), die er heimlich anhimmelt, zu Christoph hingezogen fühlt, macht die Sache nicht einfacher.

Komisches und Böses

Dank der Großherzigkeit des jungen Mannes übersteht die Beziehung jedoch selbst einige niederträchtige Provokationen und nimmt schließlich eine Tiefe an, die in einen zutiefst humanistischen Akt der Selbstverleugnung mündet.

Auch wenn sich Christoph als gelehriger Schüler erweist und einem salbadernden Pfarrer einen bösen Streich spielt, so erübrigen sich trotz gelegentlicher komischer Momente etwaige Vergleiche mit der französischen Erfolgskomödie „Ziemlich beste Freunde“ (2011). Wenn überhaupt, dann trifft das Spielfilmdebüt von Eibe Maleen Krebs eher den Tonfall von Dietrich Brüggemanns Drama „Renn, wenn du kannst“ (2010).

In Svens Haut

Weil Krebs und ihr Co-Autor Andreas Keck für das Drehbuch eine Art Tagebuchdramaturgie gewählt haben, vermittelt „Draußen in meinem Kopf“ recht gut, wie es sich vermutlich anfühlt, in Svens Haut zu stecken. Der Film erzählt zwar vor allem von der Abwechslung, blendet aber auch die Eintönigkeit nicht aus.

Wie bei den meisten anderen Beiträgen der „Shooting Stars“-Reihe mit neueren Kinofilmen, die im Kino leider kaum jemand gesehen hat, stellt sich daher die Frage, warum das ZDF diese Kinokoproduktion der Redaktion Das kleine Fernsehspiel nicht um 20.15 Uhr zeigt; von einer gewissen moralischen Verpflichtung gegenüber Koch ganz zu schweigen. Beim Max-Ophüls-Preis hat der Film 2018 den Preis der deutsch-französischen Jugendjury bekommen.

Ausstrahlung: ZDF, 24. Juli 2019, 23.15 Uhr