Die evangelische Kirche in Stuttgart stemmt sich mit einer Strategie gegen die Austrittswellen: Stadtdekan Søren Schwesig will sich gezielt um die „jungen Erwachsenen“ kümmern. Zudem soll die Leonhardskirche die neue Anlaufstelle in der City werden.

Stuttgart - Wollte man die evangelische Kirche als Schiff auf hoher und rauer See betrachten, dann käme auf den Steuermann eine große Verantwortung zu. In diesem Fall hat Stadtdekan Søren Schwesig das Steuer in der Hand und versucht eine sichere und gute Passage in die Zukunft zu finden. Zusammen mit seinen Gremien hat er nun einen Kurs ausgegeben, der konzeptionell eine gewisse Neuausrichtung darstellt. Damit verbunden sind auch Eingriffe in die Gemäuer der Kirchen.

 

Die neue Zielgruppe

„Wir werden als evangelische Kirche noch stärker die Arbeit mit den jungen Erwachsenen in den Blick nehmen“, kündigt Schwesig an, „denn die parochialen Strukturen sind dazu oft nicht in der Lage, das zu leisten.“ Eine wichtige Rolle in diesem Konzept spielen Gospel im Osten (Friedenskirche) und Kesselkirche (Wizemann). Gerade die Kesselkirche, die aus dem Jesustreff hervorgegangen ist, spielt als so genannte Milieukirche dabei eine zentrale Rolle. Schon jetzt zieht dieses Format sonntags rund 400 Gottesdienstbesucher aus der Region an. Nicht zuletzt deshalb investiert der Kirchenkreis in die Martinskirche als künftige Heimat 6,2 Millionen Euro.

Das neue Herz

Im Zuge der Planungen zur Leonhardsvorstadt und dem geplanten Abriss des Züblin-Parkhauses, den Schwesig für unabdingbar hält, ist auch eine Neuausrichtung der Leonhardskirche geplant. Damit verbunden sind bauliche Veränderungen. Schwesig will das Profil der Kirche im Herzen der Stadt schärfen und eine klare Abgrenzung zu den beiden anderen Citykirchen: „Unsere drei Citykirchen sind ein Segen“, sagt er, „aber wofür stehen sie?“ Während bei der Hospitalkirche und dem angebundenen Hospitalhof jedem sofort der Bildungsauftrag in den Sinn komme, die Stiftskirche als Repräsentanz-Kirche wahrgenommen werde, fehle der Leonhardskirche die ganzjährige Kontur. Alleine die Daseinsfunktion als Vesperkirche oder diakonisches Zentrum sei zu wenig. Zumal Schwesig davon überzeugt ist, dass der diakonische Auftrag der Kirche dezentral geleistet werden müsse. Selbst in Bezug auf die Vesperkirche müsse kritisch gefragt werden: „Was für einen Raum brauchen die Leute?“ Kurzum: Da auch das Gemeindeleben aufgrund der Bevölkerungsdichte im Quartier nicht floriert, denkt Schwesig daran, die Leonhardskirche zu einer Veranstaltungskirche mit mannigfaltiger Nutzung zu machen. Bei seinen Ausführungen dazu kann leicht der Eindruck entstehen, die evangelische Kirche kopiere hier das Konzept der Marienkirche in der Tübinger Straße. Unter dem Begriff „St. Maria als“ versuchen die Katholiken die Spielräume der Kirche extrem zu erweitern.

Votum für eine Bischöfin

In Bezug auf den kommenden Ruhestand von Landesbischof Frank Otfried July am 24. Juli 2022 wünscht sich Schwesig bei dessen Nachfolger oder Nachfolgerin „jemanden, der unsere Kirche in vielerlei Hinsicht zusammenhält, aber gleichzeitig immer wieder neue Impulse setzt“. Und er wünscht sich eine Person, die in der Öffentlichkeit Akzente setzen könne. Und am besten wäre es, wenn eine Frau neue Bischöfin werden würde: „Das wäre ein gutes Signal für Württemberg. Eine Frau täte uns gut.“ Schwesig selbst hegt keine Ambitionen. Für ihn stehe seine Wiederwahl als Stadtdekan in zwei Jahren im Fokus.

Weihnachten aus Stuttgart

Etwas stolz ist Søren Schwesig darauf, dass der Heilig-Abend-Gottesdienst in diesem Jahr beim ZDF aus Stuttgart in die Republik gesendet wird. Am 24. Dezember wird Schwesig aus der Hospitalkirche zwischen von 19.15 bis 20.15 über die Geburt des Jesuskindes sprechen. Den Zuschlag hat der Stadtdekan angeblich wegen dessen medialer und ausdrucksstarken Fähigkeiten bekommen. Nicht zuletzt soll Schwesigs Kabarett-Erfahrung bei der Auswahl des ZDF eine Rolle gespielt haben.