Vor zehn Jahren ist das Kreuzfahrtschiff „Costa Concordia“ vor Giglio havariert. 32 Menschen verloren ihr Leben. Der Schatten der Tragödie liegt noch immer über der italienischen Insel.

Giglio - „Wir sind in jener Nacht in einem Albtraum aufgewacht, in einer Art Apokalypse“, erinnert sich Sergio Ortelli, der schon vor zehn Jahren Bürgermeister von Giglio war und es auch heute noch ist. Wenige Hundert Meter vor dem Hafeneingang lag unvermittelt ein Kreuzfahrtschiff riesigen Ausmaßes, das sich immer weiter zur Seite neigte.

 

Man hörte Schreie, Rettungsschiffe fuhren zwischen der Hafenmole und der „Costa Concordia“ hin und her, bis schließlich mehr als 4000 Passagiere und Besatzungsmitglieder auf der kleinen Insel an Land und in Sicherheit gebracht waren. 32 Menschen überlebten die Havarie nicht: Sie ertranken in ihren Kabinen oder beim verzweifelten Versuch, das nahe Ufer im eisigen Wasser schwimmend zu erreichen.

Größte und teuerste Bergungsaktion in der Geschichte der Seefahrt

Zweieinhalb Jahre lang lag die „Costa Concordia“ wie ein riesiger gestrandeter Wal vor dem Hafen, bis sie im Juli 2014 nach der größten und teuersten Bergungsaktion in der Geschichte der Seefahrt wieder aufgerichtet und nach Genua zur Verschrottung abgeschleppt wurde. „Mit dem Verschwinden des Wracks haben wir zu unserer Ruhe, zu unserem Frieden und zu unserer Lebensweise zurückgefunden“, sagt Ortelli.

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Äußerlich erinnere schon lange nichts mehr an die „Costa Concordia“: Das Meer sei sauber, die Installationen am Grund, die für die Bergung notwendig waren, seien wieder abmontiert. „Aber in unseren Herzen ist diese Tragödie natürlich lebendig geblieben. Das Andenken an die Toten soll uns helfen, ähnliche Fehler nie mehr wieder zu machen“, betont der Bürgermeister.

Ein unvorstellbares törichtes Manöver

Die Fehler bestanden in erster Linie im Totalversagen – vor allem auch in moralischer Hinsicht – von Kapitän Francesco Schettino. „Wir waren von dem, was Schettino gemacht hat, völlig erschüttert – und wir sind es bis heute“, sagt der ehemalige Seemann Giovanni Brizzi. Denn fast alle Inselbewohner lebten ja von und mit dem Meer: „Wir sind Fischer, Matrosen, Besatzung der Fährschiffe, Hafenarbeiter, Kapitäne“, sagte der 70-Jährige, der selber fünf Jahrzehnte zur See gefahren ist.

Eigentlich sei ein Manöver, wie es Schettino durchgeführt habe, „unvorstellbar für alle von uns“ gewesen: Mit einem 290 Meter langen und so schweren Schiff bis auf wenige Meter an eine Felsenküste heranzufahren sei „völlig absurd“ gewesen. Das Schiff war von dem Felsen auf der linken Seite auf einer Länge von 70 Metern aufgeschlitzt worden – ähnlich wie im Jahr 1912 die „Titanic“ vom Eisberg.

Das Schlimmste war das Verhalten von Kapitän Schettino

Es sei nur „der Gnade Gottes zu verdanken“, dass es nicht zu einer ähnlichen Tragödie gekommen sei: „Hätte der Wind die nach dem Zusammenstoß mit dem Felsen manövrierunfähige ‚Costa Concordia‘ statt in Richtung Insel ins Meer hinausgetrieben, dann wären wahrscheinlich Hunderte, wenn nicht Tausende Menschen ums Leben gekommen“, sagt Brizzi. „Weil das Schiff vor dem Hafeneingang im untiefen Wasser auf Grund gelaufen ist, legte es sich zwar zur Seite, aber es ging nicht unter. Für die Evakuierung der Passagiere und der Besatzung war das entscheidend.“

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Das Schlimmste für die Inselbewohner war nicht das halsbrecherische und verbotene Manöver des Kommandanten, sondern dessen Feigheit danach: Schettino hatte sich mit einem der ersten Rettungsschiffe in Sicherheit gebracht, statt auf dem Schiff zu bleiben und die Evakuierung der Passagiere und Besatzungsmitglieder zu organisieren. „Auf der Insel ging er als Erstes in ein Hotel, um zu fragen, ob es irgendwo weiße Socken zu kaufen gebe. Denn die Socken des Kapitäns waren bei seiner Flucht nass geworden“, sagt Brizzi.

Havarie wurde in Italien als nationale Schmach empfunden.

Er schämt sich noch heute für das unehrenhafte Verhalten seines Landsmanns Schettino. Dieser wurde unter anderem wegen fahrlässiger Tötung in 32 Fällen, fahrlässigen Schiffbruchs und Falschaussagen zu 16 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und sitzt diese im Rebibbia-Gefängnis in Rom ab. Der Schiffbruch der „Costa Concordia“ und das Verhalten Schettinos verstörten das ganze Land: Die Havarie wurde in Italien als nationale Schmach empfunden.

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Als Schettino sein Schiff auf die Klippe steuerte, befand sich Italien am Rand der Zahlungsunfähigkeit: Nur zwei Monate zuvor hatte Staatspräsident Giorgio Napolitano den diskreditierten Premier Silvio Berlusconi zum Rücktritt drängen und durch den ehemaligen EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti ersetzen müssen, um das Schlimmste abzuwenden.

„Kehren Sie zurück an Bord, Sie Scheißkerl!“

Das vor Giglio liegende Wrack war zur Metapher eines Landes geworden – und Schettino im Volksmund zum „Berlusconi der Sieben Weltmeere“. Das Pendant zu Staatspräsident Napolitano im Drama der Havarie war Gregorio de Falco, der zuständige Offizier der Küstenwache in Livorno. Er hatte Schettino in der Unglücksnacht über Funk eindringlich aufgefordert, aufs Schiff zurückzukehren und den Passagieren und der Besatzung beizustehen – mit dem denkwürdigen Satz: „Kehren Sie zurück an Bord, Sie Scheißkerl!“

Nun gedenkt die Insel Giglio am 13. Januar zum zehnten Mal der 32 Toten. Schettino selber hat in Interviews unlängst durchblicken lassen, dass er sich als Sündenbock sieht: „Man wollte einen Schuldigen finden, nicht die Wahrheit.“

Die Folgen der Havarie und die Bergung

Notstand
Die etwa 2200 Tonnen Treibstoff (Schweröl) und 180 Tonnen Schmierstoff an Bord stellten nach der Havarie eine erhebliche Gefährdung für die Umwelt dar. Daher rief die Regierung am 20. Januar 2012 für die Umgebung der Unglücksstelle den Notstand aus. Die Reederei betraute Experten des niederländischen Unternehmens Smit Internationale sowie den italienischen Bergungsspezialisten Neri Group mit dem Leeren der Treibstofftanks.

Wrack
Am 22. März 2012 gaben die Einsatzkräfte bekannt, dass die Abpumparbeiten fast beendet waren und sich nur mehr kleine Reste an Schweröl im Schiffswrack befanden. Das Schiff sollte nach der Bergung verschrottet werden. Die Bergung des Schiffs war die größte je vorgenommene Operation dieser Art.