Der Waiblinger Friedrich Bächle hat – bevor er 1940 ein Opfer des NS-Regime wurde – in Zeichnungen historische Ortsansichten festgehalten. Sein Enkel Reinhard Hintz macht den Nachlass nun öffentlich.

Waiblingen - „Mir wird es kribbelig. Das ist Wahnsinn“, sagt Reinhard Hintz und betrachtet fasziniert das Bädertörle in Waiblingen, den Aufgang zum alten Wehrgang und das dahinter stehende Haus. Weshalb ihm der Anblick derart Gänsehaut macht? Genau hier ist stand vor rund 100 Jahren schon sein Großvater Friedrich Bächle und hielt das Ensemble auf einer Zeichnung fest. Unverwechselbar ist es zu erkennen, wenngleich die Fachwerkfassade des Hauses inzwischen mit Putz abgedeckt und nicht mehr zu sehen ist.

 

Es ist nicht die einzige historische Ortsansicht, die Friedrich Bächle auf diese Weise für die Nachwelt bewahrt hat. Von Waiblingen bannte er beispielsweise auch eine pittoreske Gebäudeansicht in der Hinteren Gasse mit Tintenstift auf Papier. Zudem war er in vielen weiteren Kommunen in der Region Stuttgart unterwegs, zeichnete und kolorierte die Bilder teilweise später nach. Es gibt Zeichnungen aus Esslingen, Stuttgart-Untertürkheim, sowie von einigen Kommunen im Landkreis Ludwigsburg, aber auch darüber hinaus aus der Region Heilbronn-Franken in Lauffen am Neckar und Schwäbisch Hall.

Den begabten Zeichner Friedrich Bächle ereilte 1940 ein grausames Schicksal

Mehr als 30 solcher historischer Ortsansichten habe sein Großvater hinterlassen, darunter auch ein Selbstbildnis, sagt Reinhard Hintz und schlägt die lederne Mappe auf, in der er die Bilder feinsäuberlich nach Ortschaften sortiert in Schutzfolien aufbewahrt. Auf den meisten ist auf der Rückseite notiert, wo sie entstanden sind. Bei einigen indes sind die Entstehungsorte unbekannt. Um sie herauszufinden stelle er Nachforschungen an, sagt Hintz, der hierbei neben seinen Recherchen in Stadtarchiven vor allem auch auf die Ortskunde von Mitbürgern hofft.

„Er hat die Bilder auf seinen Radtouren von Stuttgart aus gemacht“, berichtet Hintz über seinen kunstsinnigen Vorfahr, der von Beruf Prokurist und Auslandskorrespondent war und neben dem Zeichnen als weitere Hobbys gern las und zusammen mit Freunden Hauskonzerte gab. Den Erzählungen seines Enkels nach war Friedrich Bächle offenbar ein liebenswerter Mensch und er hätte wohl noch unzählige weitere solcher Bilder gefertigt: Doch ihn ereilte ein grausames Schicksal.

Die Urgroßmutter forscht nach – und wird bedroht

Friedrich Bächle, Jahrgang 1891, war für eine jüdische Firma in Stuttgart tätig. 1940 musste diese allerdings schließen, wodurch Friedrich Bächle arbeitslos wurde. „Danach war er am Boden zerstört und machte sich ‚Luft’ auf den Stuttgarter Ämtern“, erzählt sein Enkel. Doch kehrte der Vater von vier Kindern davon nicht mehr heim. „Meine Großmutter machte sich daher auf die Suche nach ihm und verschwand ebenfalls.“ Daraufhin habe die Urgroßmutter nach dem Verbleib der beiden auf den Ämtern geforscht. „Ihr wurde gesagt, sie möge angesichts ihres Alters still heimgehen, ansonsten ginge es ihr ebenso.“

Später erfuhr die Familie, dass Friedrich Bächle noch im selben Jahr in Sonnenstein bei Pierna starb und seine Frau in Grafeneck. Reinhard Hintz hat im evangelischen Familienregister Einträge gefunden, die das belegen. In beiden Orten hatte das NS-Regime damals Tötungsanstalten.

Die historischen Bilder aus Waiblingen gibt es jetzt auf Bestellung

Jahrzehnte lang bewahrte Reinhard Hintz’ Familie die Bilder wie ein Schatz auf. Doch nun will der gebürtige Stuttgarter, der inzwischen in Oberriexingen (Kreis Ludwigsburg) wohnt, den Nachlass seines Großvaters öffentlich machen, um Gutes zu bewirken. Dafür lässt er auf Bestellung die postkartengroßen Bilder auf 20 mal 30 Zentimeter von einem Fotomeister reproduzieren und rahmen.

Je zehn Euro der über seinen hierfür eigens gegründeten Kunsthandel verkauften Bilder möchte er an das Illinger Seniorenzentrum St. Clara spenden. Allerdings sollen künftig noch weitere karitative Einrichtungen in der Region bedacht werden, betont Hintz, der sich neben seiner Tätigkeit für eine Sicherheitsfirma ehrenamtlich im Oberriexinger Arbeitskreis Asyl sowie in der Sozialberatung Ludwigsburg engagiert.

„Die Spenden sollen Notlagen lindern“, sagt Hintz, der 1951 in Stuttgart geboren wurde und als Kind zusammen mit seinen Eltern die Wohnungsnot in der Nachkriegszeit zu spüren bekam. Außerdem plant Hintz, eine Stiftung zu gründen, um junge Leute zu unterstützen, die sich mit dem Thema Holocaust beschäftigen.