Gegen alle Widerstände: Die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg besteht seit 60 Jahren – und die Ermittler haben noch immer viel zu tun.

Ludwigsburg - Erst vergangene Woche hat die Abschiebung des früheren SS-Mannes Jakiw Palij nach Deutschland für Schlagzeilen gesorgt. Der 95-Jährige, der zuletzt in den USA lebte, soll Aufseher in einem polnischen Zwangsarbeitslager gewesen sein. Auch in diesem Fall liefen die Fäden der Ermittlungen in Ludwigsburg zusammen. Genauer: In der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen. In diesem Jahr besteht die Zentrale Stelle 60 Jahre. Aus diesem Anlass wird die Einrichtung der Staatsanwaltschaft am 9. September, dem Tag des offenen Denkmals, ihre Pforten öffnen.

 

Man könne die Bedeutung der Aktensammlung im ehemaligen Frauengefängnis an der Schorndorfer Straße gar nicht hoch genug schätzen, meint Ingrid Hönlinger, die stellvertretende Vorsitzende des Fördervereins Zentrale Stelle. „Diese Art der Verfolgung von Verbrechen durch eine Nachfolgeregierung ist weltweit einmalig.“

Jedoch hatte es auch in der Bundesrepublik gedauert, bis die Justiz mit der Aufarbeitung der Nazivergangenheit begann. Erst 13 Jahre nach Kriegsende wurden erste Verfahren in die Wege geleitet und die Zentrale Stelle eröffnet. Und es blieb ein steiniger Weg für die Ermittler, die oft als Nestbeschmutzer diffamiert wurden.

Geänderte Rechtsauffassung

Auch wenn immer wieder die Schließung der Zentralen Stelle gefordert wurde, weil die Zeit gegen die Ermittler arbeite: Es gibt sie noch immer, und ihr Leiter Jens Rommel macht auf der Basis der in Ludwigsburg gesammelten Akten pro Jahr bis zu 30 noch lebende mutmaßliche NS-Verbrecher ausfindig. „Mord verjährt nicht“, sagt der Staatsanwalt. Allerdings gilt das erst seit 1979. Zuvor hatte sich die Justiz darauf verständigt, dass Naziverbrechen nach 20 Jahren verjährt seien. Und bis 2011 mussten die Ankläger jedem mutmaßlichen Täter eine unmittelbare Tatbeteiligung nachweisen, weshalb viele erst gar nicht angeklagt werden konnten.

Diese Rechtsauffassung hat sich erst mit dem Urteil gegen John Demjanjuk verändert. Der Ukrainer wurde zu fünf Jahren Freiheitsstrafe wegen Beihilfe zum Mord an 28 060 Menschen verurteilt – obwohl ihm keine konkrete Tat nachgewiesen werden konnte. Dem Gericht genügte seine bloße Anwesenheit als Wachmann während der „Abfertigung“ von 16 Transporten im Todeslager Sobibor. Seither orientiert sich die Justiz daran und die Zentrale Stelle hat wieder die Chance, vorermittelte Fälle bis zu einer konkreten Anklage zu führen.

Vorbild für Internationalen Gerichtshof

Am vergangenen Mittwoch hat Justizminister Guido Wolf (CDU) erklärt, dass die Zentrale Stelle trotz des hohen Alters mutmaßlicher Täter weiterarbeiten solle. „Wir sind es den Opfern dieser entsetzlichen Verbrechen schuldig“, sagte Wolf. „Gerechtigkeit ist keine Frage der Fallzahlen.“ Im Grunde sei der Internationale Gerichtshof in Den Haag „die Internationalisierung dessen, was hier in Ludwigsburg aufgelegt ist“, sagt Hans Pöschko, der Vorsitzende des Fördervereins.

Am 9. September beginnt um 11 Uhr ein umfangreiches Programm – in der Zentralen Stelle, im Schorndorfer Torhaus, in dem die Dauerausstellung „Die Ermittler von Ludwigsburg“ zu sehen ist, und auf dem Platz davor. An diesem Tag gibt es unter anderem Führungen zur Zentralkartei und durch die Ausstellung. Auf der Gästeliste stehen Michael Hollmann, der Präsident des Bundesarchivs, Ministerialdirigent Peter Häberle aus dem Justizministerium und Barbara Traub von der Israelischen Religionsgemeinschaft Württemberg.