Gerlinde Maier-Lamparter begleitet Zeugen zu Gerichtsverhandlungen. Das mildert deren Sorge vor Vernehmungen – und die Angst vor Wiederbegegnungen mit Angeklagten.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Ludwigsburg - Der junge Mann, der vor dem Richter am Ludwigsburger Amtsgericht auf dem Zeugenstuhl sitzt, ist zwei Köpfe größer als Gerlinde Maier-Lamparter. Ein breites Kreuz hat er auch. Dennoch hat sich der 18-Jährige Beistand gewünscht für den Tag, wenn er vor Gericht über eine Schlägerei berichten soll. Er hatte einem Freund helfen wollen und war selbst ins Visier der Schläger geraten. Der Angeklagte, der ihn damals verletzte, sitzt jetzt keine zwei Meter rechts von ihm und fixiert ihn. Doch Gerlinde Maier-Lamparter verhindert, dass der durchdringende, herausfordernd wirkende Blick des Täters den Zeugen direkt trifft. Sie hat sich zwischen Anklagebank und Zeugenplatz gesetzt – als eine Art physisches Schutzschild.

 

TV-Gerichtsshows geben falsche Vorstellungen

Gerlinde Maier-Lamparter ist seit sechs Jahren als Zeugenbegleiterin im Einsatz. An das Ehrenamt geriet die 61-Jährige per Zufall: Dass es das überhaupt gibt, erfuhr sie bei einer Nachhaltigkeitsmesse. Dort geriet sie an den Info-Stand von Prävent Sozial: Die gemeinnützige GmbH für justiznahe soziale Dienste bildet die Zeugenbegleiter aus und koordiniert ihre Einsätze.

„Ich war selbst mal als Zeugin im Landgericht“, berichtet die Diplom-Betriebswirtin. „In die Verhandlung bin ich damals mit ziemlichem Tunnelblick reingegangen.“ Dass es in so einer Situation hilfreich sein kann, einen kundigen, Gelassenheit ausstrahlenden Begleiter an der Seite zu haben, konnte sie sich deshalb gut vorstellen. „Viele Leute“, ist ihre Erfahrung, „haben durch Gerichtsshows auch völlig falsche Vorstellungen von einem Verfahren.“

Ein Zeugenbegleiter ist ein guter Geist für Menschen, die zu einer Gerichtsverhandlung vorgeladen sind, um mit ihrer Aussage zur Aufklärung eines Sachverhaltes beizutragen. Viele, denen eine Zeugenladung ins Haus flattert, sehen dem Termin mit Unbehagen oder Angst entgegen. Vor allem, wenn sie sich eine bedrohliche oder sogar lebensgefährliche Situation neu vergegenwärtigen müssen.

Die Aussage vor Gericht kostet oft große Überwindung

„Die Zeugen müssen etwas, das sie als schlimm erlebt haben, vor fremden Menschen erzählen, vor Richter, Schöffen, Staatsanwalt, Zuschauern, der Presse. Und sie begegnen dem Angeklagten. Das kostet viel Überwindung“, sagt Gerlinde Maier-Lamparter. Zeugenbegleiter nehmen deshalb nicht nur während der Aussage neben ihren Schützlingen Platz. Sie helfen ihnen, sich auf eine Verhandlung einzustellen. Sie informieren die Zeugen über Pflichten und Abläufe, schauen mit ihnen – wenn gewünscht und machbar – vorab den leeren Gerichtssaal an oder holen sie für den Weg zum Gericht zuhause oder vom Zug ab.

Mal betreut Maier-Lamparter Kinder, während deren Eltern aussagen, mal sorgt sie für geschützte Warteräume – denn auch das Ausharren bis zur Aussage kann Zeugen stressen. Erst recht, wenn sie vor dem Saal auf andere Beteiligte der Tat treffen. „Wir versuchen dann, in der Zwischenzeit über angenehme Dinge zu reden“, berichtet die Köngenerin. Als Gesprächsthema tabu sind hingegen Inhalte der Aussage selbst. Haben Zeugen dazu Gesprächsbedarf, werden sie auf einen Anwalt verwiesen. Manchmal müssen Zeugen auch verdauen, dass ihre Aussage dann doch nicht gebraucht wird – weil etwa der Angeklagte ein Geständnis abgelegt hat.

Dankbarkeit erfährt sie manchmal ganz unmittelbar

Rund 160 Menschen stand Gerlinde Maier-Lamparter bisher zur Seite, an allen Amtsgerichten in der Region und am Stuttgarter Landgericht. Manche müssen mit den Folgen von Tötungs-, Sexual- oder Gewaltdelikten zurecht kommen, die existenzielle Krisen in ihrem Leben auslösten. Mitunter sind Zeugen dann wie vor den Kopf gestoßen, wenn es mangels ausreichend stichhaltiger Beweise einen Freispruch gibt. „Da hilft es, wenn Richter oder Staatsanwalt sagen, dass sie ihnen trotzdem glauben“, sagt Maier-Lamparter.

„Es ist etwas Besonderes und Berührendes, dass Menschen uns so nah an sich heranlassen“, sagt die psychosoziale Prozessbegleiterin Tina Neubauer. Sie zählt zu den Hauptamtlichen bei Prävent Sozial, welche Zeugenbegleiter vom Einführungskurs über Fallbesprechungen bis hin zu Fortbildungen engmaschig unterstützen. Knapp 20 Helfer umfasst das Zeugenbegleiter-Team, ein Dutzend Einspringer steht für Engpässe bereit. Manche haben Schöffenerfahrung, es sind aber auch Pädagogen, Polizisten oder angehende Juristen dabei, die über den Tellerrand schauen wollen.

Auch wenn sie als Zeugenbegleiterin oft mit den dunklen Seiten des Lebens konfrontiert wird, möchte Gerlinde Maier-Lamparter dieses Betätigungsfeld nicht missen. „Mir wird dabei immer wieder bewusst, wie froh ich sein kann, was mir und meiner Familie alles erspart geblieben ist“, sagt sie. Dankbarkeit erfährt sie auch selbst, manchmal ganz unmittelbar. Dem jungen Mann, den sie bei der Schlägerei-Verhandlung begleitet hat, fällt nach seiner Aussage ein solcher Stein vom Herzen, dass er die 61-Jährige spontan fest umarmt.

Freiwillig und kostenfrei

Zeugenbegleitung
Das Angebot ist freiwillig und kostenlos. Wünschen Zeugen gezielt männliche oder weibliche Zeugenbegleiter, versucht das Team, dem Anliegen nachzukommen.

Engagement
Die Zeugenbegleitung von Prävent Sozial sucht Frauen und Männer zwischen 22 und 75 Jahren, die zeitlich flexibel, neutral und möglichst pädagogisch oder juristisch vorgebildet sind.

Kontakt
Informationen online unter www.zeugeninfo.de. Wer einen Zeugenbegleiter braucht oder selbst einer werden möchte – Mail an kontakt@zeugeninfo.de oder anrufen: 07 11 / 58 53 39 50.