Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Heute erscheint es noch erstaunlicher, dass der Präsident sich mit dem ungewöhnlichen Vorgehen derart exponierte. Schon bevor er gegen den Anwalt zu Felde zog, wusste er von Vorwürfen gegen die Vorsitzende Richterin – aus dem eigenen Haus, von einem anderen Mitglied eben jener Zivilkammer. Schriftlich und mündlich hatte der Richter den Gerichtschef mehrfach darüber informiert, was beim Umgang mit dem vertrackten Fall so alles schief laufe. Seine Kritik, stark verkürzt: die Vorsitzende bringe das Verfahren – aus Unwillen oder Unvermögen – einfach nicht voran, immer wieder gebe es Verstöße und Versäumnisse zulasten des Klägers. Steinle bekümmerte offenbar vor allem das schlechte „Kammerklima“. Entschärft wurde es schließlich durch eine Umsetzung: Nach einer Elternpause landete der Richter - ein promovierter jüngerer Jurist, der einige Jahre im Bundesjustizministerium gearbeitet hatte – gegen seinen Willen bei einer anderen Kammer. Inzwischen ist er ans OLG abgeordnet.

 

Von den internen Querelen hätten die Prozessparteien und damit die Öffentlichkeit wohl nie erfahren, wäre der rebellische Richter dort nicht erneut mit dem alten Fall befasst worden. Er sollte über eine Beschwerde zum Streitwert mit entscheiden, sah sich dazu aber nicht imstande – wegen seiner früheren Rolle in dem Verfahren. Das hätte sich wohl relativ kurz begründen lassen. Der Richter nutzte die Selbstablehnung freilich, um seine Kritik von einst auf gut zwanzig Seiten aktenkundig zu machen. Schwarz auf weiß ist nun dokumentiert, was aus seiner Sicht in der Kammer alles schief lief: wie die Vorsitzende jahrelang „prozessleitende Maßnahmen” unterlassen, wie sie einen wichtigen Vermerk „weggeworfen”, wie sie ein Kurzgutachten zum Streit um den Oldtimer, einen Mercedes Flügeltürer, ignoriert habe - und wie sie mehrfach angekündigt habe, den Fall „mit durchgedrücktem Kreuz durchzuentscheiden”, also die Klage abzuweisen. Zwei ausführliche Gespräche mit dem Landgerichtschef Steinle zu alldem, so der Richter, seien „letztlich fruchtlos” geblieben.

Ein Richter attackiert die Vorsitzende Richterin

Für den Kläger war die Selbstanzeige natürlich eine Steilvorlage. Damit schienen all jene Vorwürfe bestätigt, gegen die sich Steinle so vehement gewehrt hatte. Umgehend stellte er erneut einen Antrag, die Vorsitzende Richterin abzulehnen. In ihrer Stellungnahme weist diese die referierten Kritikpunkte des Ex-Kammerkollegen meist pauschal zurück: „Die Behauptung … trifft nicht zu”, heißt es mehrfach lapidar. Über den Antrag ist noch nicht entschieden. Die darin enthaltenen strafrechtlichen Vorwürfe, unter anderem gegen den OLG-Chef wegen falscher Verdächtigung, werden vom Landgericht jedenfalls nicht an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Im Gespräch mit dem Richter, heißt es, habe Steinle seinerzeit „nichts erfahren, was Konsequenzen erfordert hätte”. Wie eine Vorsitzende Richterin ihre Verfahren führe, unterliege ohnehin der richterlichen Unabhängigkeit.

Dem Antrag des Richters, nicht erneut mit seinem alten Fall befasst zu werden, wurde inzwischen stattgegeben. Was ihn zu seiner Kollegenschelte bewogen hat, darüber gehen die Meinungen in der Justiz auseinander. Da habe einer persönliche Rechnungen beglichen, sagen die einen; andere bescheinigen ihm ein besonders „hohes richterliches Ethos”. Beliebt, heißt es unisono, habe er sich sicher nicht gemacht. So sieht das auch der Anwalt des Klägers in dem verfahrenen Verfahren. „Höchsten Respekt” verdiene der Richter für die Entscheidung, „Recht und Gesetz Geltung zu verschaffen” - auch wenn er nun wohl „(weiteren) Repressalien ausgesetzt sein wird“. Ein Anwalt, der früher einmal mit dem Fall befasst war, fand den Vorgang „nachgerade unglaublich”. Sein Kommentar: „Ich hätte derartige Umstände innerhalb eines deutschen Landgerichts nicht für möglich gehalten.” Der Rechtsstaat wisse hoffentlich, „wie er zu reagieren hat”.