Der Münchner Konzern will führender Zulieferer für die Industrie 4.0 sein und lässt sich das einiges kosten. Für eine Softwarefirma bietet Siemens knapp 4,2 Milliarden Euro.

München - Siemens schlägt zu. Für umgerechnet knapp 4,2 Milliarden Euro in bar will der Münchner Technologieriese den US-Softwarehersteller Mentor Graphics erwerben, um bis 2020 zum global führenden Ausrüster einer digitalisierten Industrie 4.0 aufzusteigen – so die eigene Zielvorgabe. „Mentor passt perfekt, um unsere Position in der digitalen Führerschaft auszubauen und das Tempo in der Industrie vorzugeben“, sagte Konzernchef Joe Kaeser nach der Unterzeichnung einer entsprechenden Vereinbarung beider Firmen. Mit der Mentor-Software lassen sich von Chips über integrierte Schaltungen bis zu Kfz-Elektronik viele Bauteile und elektrische Komponenten am Computer entwerfen, testen und im Betrieb simulieren. Das kann innovative Entwicklungen enorm beschleunigen und verbilligen.

 

Für Siemens ist es nicht der erste Zukauf eines Spezialisten von Industriesoftware. Erst vor wenigen Monaten hatten die Münchner für knapp eine Milliarde Euro die US-Firmen CD-adapco und bereits 2007 für 3,5 Milliarden Dollar UGS übernommen. Die 1981 gegründete Mentor mit Sitz in Wilsonville im US-Bundesstaat Oregon ist die bisher größte von etwa einem Dutzend Übernahmen dieser Art durch Siemens. „Mentor komplettiert unser starkes Angebot bei Mechanik und Software mit dem Design, Test und der Simulation von elektrischen und elektronischen Systemen“, erklärte Siemens-Vorstand Klaus Helmrich den Mehrwert des neuerlichen Erwerbs.

Die Software erfasst den gesamten Zyklus eines Produkts

Mentor-Software verknüpfe Elektronik und Mechanik in Industrieprodukten virtuell und das über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg, betonte Siemens-Softwarechef Chuck Grindstaff. Der Neuerwerb beschäftigt 5700 Software-Spezialisten und hat im Ende Januar beendeten Geschäftsjahr 2015/16 rund 1,18 Milliarden Dollar Umsatz (1,08 Milliarden Euro) erreicht. Im Jahr zuvor waren es 1,24 Milliarden Dollar (1,14 Milliarden Euro). Die Umsatzmarge ist dabei von 15 auf zwölf Prozent gesunken, was über dem Schnitt der Siemens-Industriegeschäfte von 10,8 Prozent liegt. Wichtigste Konkurrenten von Mentor sind die ebenfalls aus den USA stammenden Unternehmen Synopsys und Cadence. Das Echo von Bankanalysten auf den Siemens-Zukauf ist überwiegend positiv. Mit 37,25 Dollar (34,30 Euro) je Aktie bietet Siemens einen Aufschlag von gut einem Fünftel auf den jüngsten Aktienkurs des US-Softwarehauses.

Rund 100 Millionen Euro an Kostenersparnis

Die Bayern planen durch dessen Eingliederung in die Siemens-Division Digitale Fabrik rund 100 Millionen Euro an Kostenersparnis binnen vier Jahren. Ein Jahr früher soll Mentor zum Konzerngewinn beitragen. Mit Produkten der Digitalen Fabrik hat Siemens im abgelaufenen Geschäftsjahr 2015/16 (zum 30. September) gut zehn von konzernweit insgesamt rund 80 Milliarden Euro Umsatz gemacht. Allein auf Geschäfte mit Industriesoftware und digitalen Dienstleistungen entfielen 4,3 Milliarden Euro, was zwölf Prozent Wachstum entspricht. Digitale Geschäfte wachsen damit mehr als doppelt so schnell wie traditionelle Siemens-Geschäfte und die Münchner übertreffen auch das Branchenwachstum für Industriesoftware von zuletzt gut sieben Prozent deutlich. „Siemens wandelt sich Schritt für Schritt zu einem digitalen Unternehmen“, erklärt Kaeser seine Strategie, die Schlüsselbranchen verknüpft. So nutzen 29 der 30 global führenden Automobilhersteller in ihren Fabriken heute Siemens-Industriesoftware. Mentor-Simulationssoftware lässt sich speziell auch beim Systemdesign selbstfahrender Autos der nahen Zukunft aber auch anderen smarten Digitalprodukten einsetzen. Siemens glaubt, sich damit gegenüber Konkurrenten wie dem US-Erzrivalen General Electric einen wichtigen technischen Vorsprung zu schaffen.