Bahnfahren soll attraktiver werden. Auftakt soll dabei die ICE-Strecke Hamburg-Berlin sein, wo der ICE in Zukunft alle halbe Stunde fahren soll.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Am Anfang steht ein überraschendes Bekenntnis von Andreas Scheuer: „Ich fahre gerne Bahn, wo immer es möglich ist.“ Der Bundesverkehrsminister ist bisher eher als eifriger Kämpfer für die Interessen der Autoindustrie bekannt. Daher sorgt seine Aussage gleich mal für erstes Getuschel im großen Saal seines Berliner Dienstsitzes, wo sich die Mitglieder des „Zukunftsbündnisses Schiene“ der Bundesregierung zur öffentlichen Vorstellung erster Ergebnisse versammelt haben.

 

Scheuer wird zum Bahn-Fan

Der CSU-Minister gerät bei seiner Rede geradezu ins Schwärmen: Bahnfahren sei „die entspannteste Form der Fortbewegung“ und aktiver Klimaschutz. Eine Zugfahrt belaste die Umwelt sechsmal weniger mit Treibhausgasen als ein Flug, ein Güterzug stoße fünfmal weniger Schadstoffe pro Tonne und Kilometer aus als ein Lkw. Deshalb werde die Regierungskoalition „alles daransetzen, dass mehr Fahrgäste und Güter auf die Schiene kommen“. Dafür soll das Zukunftsbündnis sorgen – sechs Arbeitsgruppen von Experten aus Politik, Wirtschaft und Verbänden sollen dabei seit vorigem Herbst den Masterplan für eine bessere Bahn entwickeln. Das werde noch ein langer und schwieriger Weg, räumt auch Staatssekretär Enak Ferlemann ein. Der Bahnbeauftragte der Regierung will als Vorsitzender des Lenkungskreises erreichen, dass der Schienenpakt mit der Branche bis zum Jahr 2022 fest vereinbart wird.

Fünf Ziele sind laut dem ersten Zwischenbericht der Ferlemann-Kommission gesetzt. Die Bahn soll pünktlicher, zuverlässiger, flexibler, leiser und innovativer werden. Zentrale Maßnahme: der Deutschland-Takt, der bis 2030 schrittweise umgesetzt werden soll. Damit sollen Züge „öfter, schneller und überall“ fahren, auf wichtigen Strecken wenigstens jede halbe oder volle Stunde. Fern- und Regionalverkehr sollen zudem viel besser verknüpft, langes Warten auf Anschlüsse minimiert werden.

Schweiz als Vorbild

Die Schweiz hat den Taktverkehr seit Jahrzehnten mit großem Erfolg umgesetzt. Dort fahren viel mehr Menschen mit der Bahn und lassen das Auto stehen. Dafür wurde die Infrastruktur gezielt so ausgebaut, dass die lange im Voraus festgelegten Fahrpläne zuverlässig eingehalten werden können. In Deutschland dagegen läuft es bisher meist umgekehrt: Erst werden teure ICE-Strecken und unwirtschaftliche Prestigeprojekte wie Stuttgart 21 gebaut. Dann stellt man fest, dass der Nutzen fürs gesamte System eher überschaubar ist, weil nach der ICE-Fahrt der Anschlusszug erst 40 Minuten später fährt oder Kapazitäten wie beim künftigen Stuttgarter Tiefbahnhof reduziert werden, was den künftigen Taktverkehr erschweren oder sogar unmöglich machen wird.

Nun hat die deutsche Verkehrspolitik sehr spät von der Schweiz gelernt. Die ersten Zielfahrpläne 2030 sind im Entwurf erstellt, die den Fern-, Regional- und Güterverkehr leistungsfähiger machen und die Prioritäten beim Infrastrukturausbau bestimmen sollen. Das Problem ist: Viele Hauptstrecken und die Bahnnetze großer Städte sind schon jetzt total überlastet, der Ausbau wird lange dauern und hohe Milliardensummen kosten.

Dennoch verlangt Scheuer schnelle Erfolge und will, dass der D-Takt in den ersten Regionen schon 2021 startet und dann etappenweise bundesweit ausgebaut wird: „Die Bahnkunden sollen rasch erfahren, dass es mehr Verbindungen, kürzere Fahrzeiten und bessere Anschlüsse gibt.“ Bis zum Herbst soll daher die Deutsche Bahn AG „einen klaren Zeitplan vorlegen, der zeigt, ab wann welche Strecken im D-Takt befahren werden können“. Und der Staatskonzern soll klären, „wie der optimale Netzfahrplan aussieht und welche Infrastruktur wir dafür anpassen müssen“.

ICE Hamburg-Berlin im S-Bahn-Takt

Bahn-Chef Richard Lutz kündigte schon mal einen besseren Taktverkehr zwischen den beiden größten deutschen Städten an. Ab Ende 2021 soll der ICE zwischen Berlin und Hamburg im S-Bahn-Takt fahren – jede halbe Stunde. Mit einer vierten Linie soll die Kapazität um ein Fünftel erhöht werden. Derzeit fahren jeden Tag im Schnitt 17 000 Fahrgäste mit den bisher 24 ICE zwischen beiden Metropolen, künftig kommen sechs weitere dazu. Seit 2014 wuchs die Zahl der Reisenden von 4,5 auf 6,1 Millionen allein auf dieser Strecke. Das zeigt für Lutz das Potenzial, das der umweltschonende Schienenverkehr hat, um die Klimaschutzziele zu erreichen und zum Verkehrsmittel des 21. Jahrhunderts zu werden. Die vielen guten Absichten, die man schon oft gehört habe, müssten nun erst mal durch konkrete Finanzzusagen im Bundeshaushalt untermauert werden, betont Dirk Flege von der Allianz pro Schiene. Nötig seien der Ausbau der Infrastruktur, des Güterverkehrs auf der Schiene und die Entlastung bei Steuern und Abgaben. „Dieser Dreiklang“, so Flege, „würde die Schiene zukunftsfest machen“.

Die Nacht der langen Messer

Zunächst allerdings steht ein Hauen und Stechen um die besten Trassen im überlasteten Schienennetz bevor. Denn bei den Zielfahrplänen 2030 rangeln nun Dutzende Anbieter von Fern-, Regional- und Güterverkehr um passende und ausreichende Slots für ihre Züge. Das werde in diesem Herbst im Bündnis noch zu „einer Nacht der langen Messer“ führen, räumt Ferlemann ein. So muss sich die DB AG allein für ihre neue ICE-Linie Berlin–Hamburg mit gleich vier Bundesländern und deren Verkehrsgesellschaften abstimmen. Als Platzhirsch und Ex-Monopolist ist die bundeseigene DB AG, die auch das staatliche Schienennetz verwaltet, bei der D-Takt-Planung in einer günstigen Startposition, was ihre privaten, kommunalen und ausländischen Wettbewerber teils recht kritisch sehen.