Das Auto ist kein Statussymbol mehr, es zählt die Mobilität. Das ist nur eine Erkenntnis von vielen aus dem ersten Tag des Kongresses „Stadt der Zukunft – Zukunft der Stadt“ der Stuttgarter Zeitung.

Stuttgart - Die Antworten auf die Fragen nach der Zukunft der Städte fallen heute anders aus als noch vor einigen Jahren.“ Mit diesen Worten eröffnete Joachim Dorfs, Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, den zweiten Fachkongress der Zeitung, auf dem weltweit führende Architekten, Stadtplaner und Politiker zwei Tage lang über das Thema Stadtentwicklung diskutieren. Als erste Rednerin skizzierte die Bundesumweltministerin Barbara Hendricks ihre Vision einer Stadtentwicklung, die unter anderem eine Abkehr von der autogerechten Stadt bedeuten wird.

 

„Wir erleben heute eine Renaissance der Stadt, während wir es vor Jahren noch mit Stadtflucht zu tun hatten“, sagte Hendricks, die in Berlin auch für Städtebau verantwortlich ist. Den Geist von Stadt und Urbanität definierte Hendricks mit Offenheit und Liberalität. „Der Schaden für Dresden durch die Pegida-Demonstrationen ist enorm“, sagte sie. Diese Bewegung stehe allem entgegen, was eine Stadt ausmache. „Eine Metropole darf sich nicht gegen Neues und Fremdes abschotten, sonst wird sie zur Provinz.“

Hendricks: Wohnraum nicht nur nach Rendite vermieten

Angesichts dessen sei es wichtig, die soziale Mischung von Quartieren zu erhalten. Doch in attraktiven Städten steigen Mieten und Immobilienpreise, wodurch Menschen aus ihren angestammten Wohngebieten verdrängt werden. „Wohnraum darf nicht allein unter dem Gesichtspunkt maximaler Rendite vermietet werden“, sagte die Ministerin.

Zur Planung von städtischen Räumen erklärte Hendricks: „Wir brauchen keine autogerechte Stadt mehr, wir brauchen eine menschengerechte Stadt.“ Das Auto habe seine Rolle eines Statussymbols inzwischen verloren, zudem würden vier von fünf Menschen eine Abkehr vom Auto befürworten. Es werde zwar weiterhin seinen Platz in der Stadt haben, sagte Hendricks und fügte hinzu: „Es darf aber künftig nicht mehr sein, dass ein Großteil des öffentlichen Raums exklusiv für den Individualverkehr reserviert ist.“ Der Verzicht auf einen eigenen Mittelklassewagen entspreche rechnerisch etwa den Kosten für eine größere Wohnung mit zwei Kinderzimmern, rechnete die Bundesministerin vor.

Bezahlbarer Wohnraum und Mobilität

Elisabeth Merk, die Stadtbaurätin der Stadt München, bekräftigte in ihrem Vortrag den Einfluss der Kommunalpolitik: „Bei uns kommen alle Probleme gesammelt an.“ Die wichtigsten Themen sind aus Merks Sicht bezahlbarer Wohnraum und Mobilität. Die Aufgabe der Politik sieht die Stadtbaurätin im weitesten Sinne auf dem großen Feld der Daseinsvorsorge. „Die sozialen Aspekte spielen eine ganz wichtige Rolle“, so Merk. Die Münchener Politik arbeitet derzeit mit ihrem fünften wohnpolitischen Programm, was jeweils für einen Zeitraum von fünf Jahren gilt. „In diesem Zeitraum nimmt die Stadt Eigenmittel von mehr als 800 Millionen Euro in die Hand“, sagte Merk. Ein Großteil dieses Geldes fließt in den geförderten Wohnungsbau. „Das ist so wichtig, weil in München 60 Prozent der Einwohner für diese Förderung in Frage kommen.“ Schon Menschen mit hochwertigen und gut bezahlten Berufen müssen demnach aktuell mehr als zwei Drittel ihres Einkommens für das Wohnen ausgeben. Seit Jahrzehnten werden in München bei Neubauvorhaben mindestens 30 Prozent der Fläche für den geförderte Wohnungsbau genutzt. „Viele Städte wie etwa Stuttgart orientieren sich inzwischen daran und gehen einen ähnlichen Weg“, so Merk.

Neue technische Möglichkeiten

Eine der größten Herausforderungen für die großen Städte sei der gegenwärtige Zustrom von Flüchtlingen aus den Krisengebieten der Welt. „In München kommen etwa 200 Menschen pro Tag an“, sagte Merk. Insgesamt rechne man mit bis zu 12 000 Menschen, von denen zwei Drittel wahrscheinlich in der Stadt bleiben wollen. „Das setzt dem Wohnungsproblem der Stadt noch eins drauf.“

Mit Blick auf neue technische Möglichkeiten warb Elisabeth Merk für einen pragmatischen Umgang mit Altem und Neuem. „Wir haben wie Sie in Stuttgart Paternoster in öffentlichen Gebäuden“, sagte sie. Man sei in den vergangenen Wochen mit einer Flut an Bürokratie überwältigt worden, da es plötzlich offenbar zu gefährlich erscheint, diese seit mehr als 100 Jahren gebräuchlichen, offenen Aufzüge zu benutzen. „Diese Beispiel ist für mich sinnbildlich dafür, dass man nicht alles über Bord werfen darf, was lange Jahre gut funktioniert hat.“