Zwar wird das Milliardenprojekt Stuttgart 21 noch mal ein wenig teurer und später fertig, doch der Nutzen kann immens sein, wie ein in die Zukunft gerichteter (Alb-)Traum unseres Lokalchefs zeigt.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Stuttgart - Bitte um Aufmerksamkeit für eine Nachricht von höchster Bedeutung: Heute ist ein Dokument aufgetaucht, bei dem es sich nach Meinung führender Zukunftsarchäologen um die versteinerten Reste jener Rede handelt, welche die Stuttgarter Oberbürgermeisterin Susanne Eisenmann zur Eröffnung des Tiefbahnhofs Stuttgart 21 gehalten haben wird. Wo die Zeitmaschine steht, welche die futurhistorische Ikone ausgespuckt hat, konnte bisher nicht geklärt werden. Ebenso unklar ist das Datum, an dem der Festakt stattgefunden haben wird. Überliefert sind aber wesentliche Inhalte der Rede:

 

„Lieber Herr Bundeskanzler Spahn, lieber Herr Ministerpräsident Palmer, liebes Verkehrsministerduo Vieregg und Rößler, liebe Frau Bahnchefin Merkel! Es ist mir eine Ehre, Sie drei Tage, bevor ich in den Ruhestand trete, im künftigen Bahn-, Wander- und Bergbaumuseum Stuttgart 21 begrüßen zu dürfen. Was hier in jahrzehntelanger Arbeit erschaffen wurde, ist so bedeutend wie Sie es sind, die zum Gelingen des Projektes beigetragen haben.

Treffen mit Kanzler Spahn, Bahnchefin Merkel und Ministerpräsident Palmer

Sie, lieber Herr Spahn, weil Sie es 2018 mit der selbstlosen Übernahme der Kanzlerschaft erst ermöglicht haben, dass Angela Merkel Bahn-Chefin werden konnte. Sie, lieber Herr Palmer, weil Sie Ihr Wissen aus der Geißler-Schlichtung mit ins Amt gebracht und trotzdem dafür gesorgt haben, dass die Der-Käs-isch-gessa-Maxime Ihres Vorgängers Kretschmann beibehalten wurde. Sie, liebe Verkehrsminister Vieregg und Rößler, weil Sie schon vor Jahrzehnten als Buchhalter der S-21-Gegner auf Heller und Pfennig errechnet haben, wie teuer die Nummer wirklich wird. Und schließlich Sie, liebe Frau Merkel, weil Sie stets in Treue fest zu Stuttgart 21 standen und bekannten: Wir schaffen das!

Ja, wir haben es geschafft. Schauen Sie nur nach oben auf den Manfred-Rommel-Platz: Rund um die Lichtaugen ist mitten in der Stadt der bedeutendste Landeplatz für Drohnentaxis entstanden. Auf den Straßen, die noch zu Zeiten meines Vorgängers Fritz Kuhn mit Diesel- und Benzinfahrzeugen verstopft waren, rollen längst autonom fahrende E-Autos. Dass die Atomkraftwerke seit 2022 vom Netz sind und wir all unseren Strom seither aus regenerativen Quellen beziehen, sei nur nebenbei erwähnt.

Quellender Anhydrit wird zur regenerativen Stromquelle

Wobei ich mit diesem Hinweis doch die Wende erwähnen möchte, die im Herbst 2017 ihren Anfang nahm. Als die Bahn damals zugab, dass Stuttgart 21 eine weitere Milliarde teurer und frühestens 2024 fertig werden würde, reifte in mir die Idee, eine neue Finanzierungsquelle für das Projekt aufzutun – und mit diesem Plan als unbelastete Kandidatin in den OB-Wahlkampf gegen Kuhn zu ziehen. Und es war ja auch ein genialer Zug von mir, die S-21-Baustelle zur weltweit größten Attraktion für Geisterbahnfahrer auszurufen. Mit einem Eintrittspreis von nur fünf Euro sahen die Touristen live, wie wir Tunnel gruben, Kelchstützen gossen und alte Häuser auf Stelzen stellten. Das Konzept kam so gut an, dass wir in Nullkommanix jene 7,6 Milliarden Euro beieinander hatten, die wir brauchten. Und als wir dann entdeckten, wie wir die Kraft des quellenden Anhydrits in elektrischen Strom umwandeln konnten, wurde S 21 auch noch zum Symbol der Energiewende in Deutschland.

Was aber geschieht nun mit diesem Bauwerk? In bester Stuttgarter Tradition wird es einer Zwischennutzung zugeführt: Wir lassen einige Wochen hier Züge fahren, wie es die Erfinder geplant hatten. Danach bauen wir es mitsamt all seinen verzweigten unterirdischen Pfaden zum größten wetterunabhängigen Bahn-, Wander- und Bergbaumuseum der Welt um. Der Eintritt kostet dann zehn Euro pro Person. Und wir werden reich. Stuttgart 21 sei Dank!“