Nun geht’s wieder los: Neue Folgen von „Game Of Thrones“ fesseln Fans an Fernsehapparat oder Laptop. Das ist mehr als ein wenig Freizeitgestaltung.

Stuttgart - Wer alle Diktatoren, Putschisten, Warlords und Kleptokraten aus Vergangenheit und Gegenwart aufzählen müsste, dem ginge bald die Luft aus. Und vermutlich die Hirnzellenkapazität. Der Reichtum des globalen politischen Biotops an Ungeheuern übersteigt eindeutig unseren Willen zur Gedächtnispflege. Da darf es einen zunächst schon verwundern, dass in den nächsten Wochen viele Menschen ihr intensives Interesse einer Bagage fiktiver Menschenschinder, Weltbeglücker und Blutsäufer zuwenden werden, die noch obendrauf kommt auf den Katalog der realen furchtbaren Gestalten.

 

Weltweit startet diesen Montag die sehnlichst erwartete siebte Staffel der TV-Serie „Game of Thrones“, in Deutschland beim Bezahlsender Sky. Sie ist eine Saga des Schreckens, in der sich ein alternatives, komplex ausgemaltes Mittelalter mit einem Horrormärchen voll wandelnder Untoter, Verderben bringender Hexen und feuerspeiender Drachen mischt. Bieten uns die aktuellen Nachrichten also noch nicht genug Entsetzen? Brauchen wir in unersättlicher Gier nach Bösem Nachschlag aus dem Sudkessel der Fantasie?

Fiktive Schurken sind leichter zu ertragen

Wer die überall spürbare Begeisterung für „Game of Thrones“ so finster deutet, verwechselt vielleicht die Krankheit mit der Medizin. Herbe Fiktionen können uns helfen, mit der Wirklichkeit zurecht zu kommen. Wir können Muster und Typen des gesellschaftlichen Lebens studieren, ohne uns den Folgen ihres Tuns stellen zu müssen. Es trifft hier ja keine echten Menschen, sondern ausgedachte Figuren. Solche Serien sind Schmerztabletten, die den Ansturm der Realität erträglicher machen.

„Game of Thrones“ führt uns in eine archaische Welt. Die Konkurrenzserie „House of Cards“, ebenfalls allgemeines Kulturgut geworden, bietet keinen solch komfortablen Puffer der Jahrhunderte. Sie zeigt ein alternatives Washington unserer Tage, regiert nicht von Donald Trump, sondern von Frank Underwood, gespielt von Kevin Spacey. Aber die Aktualität von Setting und Themen raubt uns nie ganz den Trost, dass Underwood weder Menschen noch dem Planeten weh tut. Er schadet nur anderen Drehbucherfindungen.

Lullt uns das dann nicht in gefährliche Betäubung? Sehen wir bald nicht mehr die realen Elemente in der Fiktion, sondern wollen auch in der Realität bloß noch eine Fiktion erkennen? Schrumpfen dem Serienjunkie die Nachrichten nach einer Weile zur blasseren Unterhaltungsshow? Man kann diese Möglichkeit nicht für jeden Einzelfall von der Hand weisen.

Gute Serien liefern Bilder für alle

Doch ein ganz anderer, positiver Effekt der Serienkultur ist viel wahrscheinlicher. In einer Ära der bequemen Filterblasen und der Feedbackschleifen, die in den sozialen Netzwerken noch die verrücktesten Weltbilder bestärken, in einer Krisenzeit der Verständigung, in der Menschen über bestimmte politische Phänomene kaum noch reden können, weil es nicht einmal mehr die schmalste Faktenübereinkunft gibt, bieten TV-Serien gemeinsamen Gesprächsstoff. Sie liefern eine kollektive Erfahrungsgrundlage, einen noch halbwegs verbindlichen Bildervorrat. Im Reden über das, was in „Game of Thrones“ passiert, in „House of Cards“ oder in „Homeland“, erinnern wir uns an die Tugend, erst einmal dasselbe zu sehen und aufzunehmen, bevor wir uns dann in unterschiedlichen Interpretationen entzweien.

Damit stehen die Serien in der Tradition der großen Fiktionen, von Höhlenmalereien über Volksmärchen und Oper bis hin zum Hollywoodhit. Dass der gemeinsame Bildervorrat nun hauptsächlich aus den USA geliefert wird, dass er amerikanische Perspektiven und Konzepte verschlüsselt und verbreitet, zeigt, wie wichtig Weichenstellungen in der Medienpolitik und –förderung sind. Wer der Welt keine Serien liefern kann, vernachlässigt ein wichtiges Medium der Selbstdarstellung.