Der Historiker und Journalist Karlheinz Fuchs hat in den 1980er Jahren die aufsehenerregende Ausstellungsreihe „Stuttgart im Dritten Reich“ auf den Weg gebracht. Danach verlor sich das Interesse an der NS-Geschichte zunächst wieder.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Karlheinz Fuchs hatte sich das Erinnern zur Aufgabe gemacht. Jetzt ist die Zeit, an ihn, den Historiker und Journalisten zu erinnern. Vor wenigen Tagen ist er 78-jährig in Stuttgart verstorben.

 

Mit seinem Namen eng verknüpft ist das „Projekt Zeitgeschichte“. Im Mittelpunkt stand eine Ausstellungsreihe „Stuttgart im Dritten Reich“. Eine Pioniertat – auch im bundesdeutschen Maßstab. Sie markierte die bis dahin umfangreichste Auseinandersetzung der Stadt mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit. Bis dahin war sie vielfach vernachlässigt oder verharmlost worden oder Gegenstand von Legendenbildung. Das spiegelte sich auch in der Chronik der Stadt für die Jahre 1933 bis 1945; sie orientierte sich im Wesentlichen an der Berichterstattung der von den Nazis gleichgeschalteten lokalen Presse. Kritik an dieser Art der Aufarbeitung hatte unter anderem der parteilose Stadtrat und langjährige Bosch-Betriebsratsvorsitzende Eugen Eberle geübt. Später korrigierte die Stadt diesen Makel, indem sie Projekte zur Aufarbeitung der Nazizeit finanziell unterstützte.

4000 Objekte trugen Fuchs und seine Mitstreiter in Stuttgart zusammen

In diesem Kontext entstand die wegweisende Monografie „Stuttgart zur Zeit des Nationalsozialismus“ von Roland Müller, der von 1996 bis 2021 das Stadtarchiv leitete. Auch das erwähnte Ausstellungsprojekt „Stuttgart im Dritten Reich“ von Karlheinz Fuchs wurde möglich. Fuchs, der seinen in der sogenannten Ardennen-Offensive 1944 gefallenen Vater nie kennengelernt hat, wollte die NS-Zeit auf möglichst anschauliche Weise nachzeichnen und so die öffentliche Auseinandersetzung darüber in Gang bringen. Zu diesem Zweck trugen er und seine Mitarbeiter Bernd Burkhardt und Walter Nachtmann in Stuttgart Fotografien, Plakate, Flugblätter, Filme und Tondokumente zusammen. Am Ende stand die stolze Zahl von rund 4000 Objekten.

Die erste Ausstellung mit dem Titel „Prolog“ wurde 1982 im Tagblattturm eröffnet. Vier weitere folgten, für die sich insgesamt rund 75 000 Besucherinnen und Besucher interessierten. 1984, nach der fünften Ausstellung, war unvermittelt Schluss – offiziell, weil die Zeitverträge der wissenschaftlichen Mitarbeiter ausliefen. Fuchs vermutete jedoch „ideologische Gründe“. Er vermisste den Rückhalt im Gemeinderat. „Unser Ehrgeiz war groß, der Abgang und die Würdigung des Projekts in der Stadt waren im Großen und Ganzen armselig“, sagte er einmal.

„Leider wurde damals zu wenig unternommen, um den Bestand zu sichern“

Dieser „armselige Abgang“ der Ausstellungsreihe machte ihm und seinen Mitstreitern zu schaffen. Zumal sich auch die Hoffnung, die Ausstellungsstücke könnten dauerhaft in einer zeitgeschichtlichen Sammlung präsentiert werden, nicht erfüllte. Von den 4000 Objekten fanden nur wenige den Weg ins Stadtarchiv. Roland Müller kann ihre Zahl nicht beziffern. Einige transkribierte Interviews seien dabei gewesen, erinnert er sich und bestätigt ansonsten die Einschätzung von Bernd Burckhardt, der rückblickend sagt: „Leider wurde damals zu wenig getan, um den Bestand zu sichern.“ Das Meiste sei direkt an die privaten Leihgeber zurückgegeben worden. So ging vieles, was mühevoll zusammengetragen worden war, über die Jahre mutmaßlich verloren. Was blieb, waren die von Fuchs gestalteten preisgekrönten Ausstellungskataloge.

Erst mit der Stolperstein-Initiative erwachte das Interesse an der NS-Geschichte neu

Die von ihm angestrebte Kontinuität des Erinnerns in Stuttgart wurde erst mit dem 2018 eingeweihten Gedenk- und Erinnerungsort Hotel Silber Wirklichkeit. Eine späte Genugtuung. „Aber auch eine getrübte“, stellt Burkhardt heute fest, „denn in den 1980er Jahren haben noch etliche Zeitzeugen gelebt, die etwas über das Hotel Silber hätten berichten können“. Eine Zellentür der ehemaligen Gestapo-Zentrale war damals in der Ausstellungsreihe zu sehen; sie ging später an das Stadtmuseum über. Müller erinnert sich, dass schon damals, nach dem Auszug der Polizei aus dem Hotel Silber Anfang der 1980er Jahre, über einen Gedenkort diskutiert worden ist. Doch dann verlor sich das Interesse an der NS-Geschichte, auch wenn 1989 eine sechste Ausstellung unter neuer Leitung nachgeschoben wurde.

Warum das, was man heute Erinnerungskultur nennt, jäh abriss, ist eine offene Frage. „Möglicherweise hat man gedacht, jetzt wurde genügend getan, jetzt kann man es ruhen lassen“, sagt Müller. Tatsache ist: Erst mit der 1998 in Stuttgart gegründete Stolperstein-Initiative und anderen privaten Formen des Erinnerns erhielt das Thema in der Stadtgesellschaft wieder einen höheren Stellenwert.

Verstehen und sichtbar machen wollen, was geschehen ist

Der unermüdliche Erinnerungsarbeiter Fuchs, der über die Zensur im napoleonischen Württemberg promovierte, der als Feuilleton-Redakteur für die Stuttgarter Nachrichten arbeitete, ein ausgezeichneter Fotograf war, sich für den Denkmalschutz und die jüdischen Friedhöfe engagierte, hat in jedem Fall vielfältige Spuren hinterlassen. Als jemand, der verstehen und sichtbar machen wollte, was geschehen ist.