Beinahe wäre er ein Jazzer geworden, beinahe ein Psychedelic-Rocker. Aber dann entdeckte Kenny Rogers seine Country-Wurzeln wieder und beeinflusste damit viele andere. Wir zeichnen seinen Erfolgsweg in sechs Liedern nach.

Stuttgart - Wie einer, der gerade die Heugabel weggelegt hat, um vor der nächsten Runde Stallarbeit mal eben ein Lied zu singen, hat Kenny Rogers in keiner Sekunde seiner langen Karriere gewirkt. Der jetzt im Alter von 81 Jahren verstorbene Sänger war in Europa bekannt, in den USA aber ein Superstar: eben weil er als junger Popmusiker in die Countryszene driftete und maßgeblich mit daran beteiligt war, Country zu verändern – weg von der Feier der Hillbilly-Romantik von vorgestern, hin zum bodenständigen, aber immer auf Ballhöhe der gesellschaftlichen Realitäten befindlichen Erwachsenenpop. Für alle, die das nicht so verfolgt haben (was wohl für viele Europäer zutreffen dürften) oder die schlicht ein paar Jahrzehnte zu jung sind, präsentieren wir hier mal ein paar Wegmarken von Kenny Rogers Karriere.

 

„Ruby (Don’t take your Love to Town)“

Im Sommer 1969 ist der 30-jährige Rogers schon mehr als ein Jahrzehnt musikalisch aktiv – in Rockabilly-Bands, in Jazzbands, in Popbands, oft als Bassist, seit einiger Zeit aber als Bandleader und Sänger: Kenny Rogers and the First Editions. Ihr Mix aus Country und Pop lässt sich gut an, und nun landen sie einen Monsterhit. Keinen, der gleich irre Verkaufszahlen erreicht, aber einen, der Langzeitwirkung entfaltet: „Ruby (Don’t Take your Love to Town“) das Lied vom kriegsversehrten, impotenten Vietnamveteranen, der seine Frau anfleht, nicht schon wieder loszuziehen, um mit fremden Männern zu schlafen, bricht einer Nation Hörer um Hörer das Herz. Der Song löst bei konservativen Amerikaner wahrscheinlich mehr Zweifel am Vietnam-Engagement aus als alle Anti-Kriegs-Demos zusammen.

„Something’s burning“

Mit „Ruby“ haben Kenny Rodgers and the First Edition Leute erreicht, die sich als Aussteiger begreifen und ganz anderen Klängen lauschen. Rogers gefällt das, die Country-Einflüsse schwinden zugunsten von ein paar Psychedelic-Rock-Anleihen, und eigentlich wird das keine schlechte Zeitgeist-Musik: „Something’s burning“ ist ein schöner Beleg dafür. Aber nach diesem Hit kommt nichts mehr, die Band wird von anderen weggedrückt, die entschieden Anti-Establishment sind. Ein paar Jahre später ist die Band aufgelöst und Rogers hoch verschuldet.

„Lucille“

Als Rogers einen neuen Solovertrag beim Label Universal Music landet, weiß er genau, dass das seine letzte Chance ist. Alle progressiven Schlenker lässt er jetzt weg, er konzentriert sich auf den Kern von Country, simple Geschichten, wie sie jeder kennt und erlebt, mit einem fatalistischen Dreh, einem kleinen Widerhaken, einer schmutzigen Glasscherbe mitten im Gefühlsbad. „Lucille“ wird ein Riesenhit – das sarkastische Goodbye eines Farmers an die Frau, die ihn mitten in der Erntezeit sitzen lässt. Ja, es gibt da ein Muster: Rogers singt oft von Männern, die von Frauen schlecht behandelt werden. Ausgerechnet Frauen lieben ihn dafür und Männer klopfen ihm auf die Schulter.

„The Gambler“

„Lucille“ wird ein Riesenhit auch im Popbereich, und Rodgers weiß, dass er eine Goldader schürft: Country, e der nicht nach Stall riecht, aber durchaus nach Kneipe, Lebensweisheiten vom Land, die auch in der Stadt Gültigkeit haben. Nun folgt Hit auf Hit, „The Gambler“ ist 1978 einer der größten. Rogers tritt als männliches Sexsymbol auf, als Mix aus kernigem Naturbursche und geföhntem Country-Club-Gigolo, das Rüschenhemd bis zu den Zehen aufgeknöpft. Wer will, kann sich zum Beleg auf Youtube ja mal Rogers’ Auftritt mit „The Gambler“ in der Johnny-Carson-Show herauskramen. Dies hier ist aber das schönere Video zum Song.

„What are we doing in Love“

Mit der Sängerin Dottie West findet Rogers 1977 eine ideale Duo-Partnerin. Wie er kann sie zwischen urbaner Smoothness bis hin zum Blue-Eyed-Soul und der 3-Akkorde-und-die-Wahrheit-Ruppigkeit des Country wechseln. Zur Attraktivität dieser Musik scheint beizutragen, dass die Künstler oft so konsequent von der Bahn geraten wie die Figuren ihrer Lieder. West schafft es nach der Zusammenarbeit mit Rogers, sich finanziell völlig zu ruinieren. Vor ihrem frühen Tod 1991 erlebt sie noch die Zwangsversteigerung all ihrer Habe.

„The Heart of the Matter“

1985 ist Rogers längst das Vorbild für viele andere Musiker, die irgendwo zwischen ernstem Songwriting und fluffigem Schlager ihren eigenen Weg suchen. Strenge Kategorien und musikalische Grenzzäune hat er hinter sich gelassen, sein Album „The Heart of the Matter“ wird vom legendären Beatles-Produzenten George Martin produziert. 1985 ist auch das Jahr, in dem Megastars aller Genres zum Benefizsong „We are the World“ zusammenkommen, dessen Erlöse eine Hungerkrise in Afrika lösen sollen. Rogers ist nicht einfach mit von der Partie, die Aufnahme findet in seinem eigenen Lion Share Recording Studio statt, einem der besten in Los Angeles. An dem Ort wurde schon zuvor amerikanische Musikgeschichte geschrieben, es war das Studio von ABC. Für Rogers ist das der passende Ort – einer, an dem schon viel ganz unterschiedliche Musik gemacht wurde.