Warum tobt die Fasnet ausgerechnet in Weil der Stadt? Eine Spurensuche an einem Samstagabend, zwischen Gott und Nikolaus, Zunft und Ball.

Weil der Stadt - Wer ganz genau hinschaut, sieht, dass er ein bisschen lächelt. Hoch oben, im großartigen Gewölbe der alten Stadtpfarrkirche, hat sich in einem Schlussstein ihr Baumeister verewigt. Wie er hieß, weiß man nicht – vielleicht Meister Friedrich. Sicher ist nur, dass er dieses mächtige Kirchengewölbe 1519 vollendet und damit einer ganz besonderen Stadt ein Denkmal verliehen hat.

 

Er hat recht mit seinem Lächeln. Wer so weit oben, Tag für Tag, das Geschehen in der Kirche beobachtet, der braucht Humor. Einmal im Jahr jedenfalls, denn dann sind die Narren auch in Weils Stadtkirche zu Gast. Zwischen dem spätgotischen Christophorus, an einen braunen, krummen Holzstamm gebeugt, und der Rosenkranzmadonna von 1600, mit ihrem ebenfalls etwas lächelnden Jesus-Kindlein, sitzen Schellenteufel, Steckentäler und Hexen in ihrem Häs, die Masken auf der Kirchenbank gebeugt. Die Pfarrers-Stola ist besonders bunt, die Ministranten-Gewänder wallend farbenfroh, die Narrenorgel kippend-schief. „Den Segen möchte ich Euch spenden / er soll alles zum Guten hin wenden“, sagt der Stadtpfarrer Anton Gruber in seinem Schlusssegen. Selbst im Hochgebet der Messe hatten sich zuvor einige reimende Verse versteckt. Die neun Herren der Gemeinde-Schola unterstrichen alles mit Psalter-Gesängen, kunstvoll vierstimmig intoniert. War der biblische König David, der Dichter der alttestamentarischen Psalmen, etwa der erste Narr?

Nicht ballermännisch-aufdringlich, nicht ekel-provozierend

Nein, nicht ballermännisch-aufdringlich, nicht ekel-provozierend verkotzt, nicht destruktiv, sondern im besten Sinne glückselig ist die Weiler Fasnet – darüber wachen Zunft und Mitglieder. Michel Borger, der oberste Narr, sagt darum auch: „Die Narrenmesse ist auch für mich persönlich ein ganz wichtiger Einstieg.“ Mag andernorts der Schlucke aus dem Flachmann der Stimmung nachhelfen, in Weil der Stadt ist es die Verortung im Geiste der Stadt, geistig, gesellig, historisch.

War es doch ein Pfarrer, der dem Brauchtum einen der allerersten Belege liefert. Im 16. Jahrhundert sei ihm das Fasnetsküchle zu teuer, klagte der Hochwürden. Noch älter, von 1548, ist der Beleg im Stadtarchiv, dass die städtische Obrigkeit ihre Gassen- und Turmwächter mit Wein und Brot belohnt habe – ein alter Fastnachts-Brauch, wie es damals schon hieß.

Nicht gegen, sondern mit der Obrigkeit feiern die Weiler auch 471 Jahre später noch. Jedenfalls mit jenen, die dafür delegiert wurden, zum Zunftball zu pilgern. Ein spitzbübig verschmitzter Bischof Nikolaus sitzt da, sein Knecht Rupprecht, allesamt begleitet von seraphengleichen, unschuldigen Engeln. „Musstest Du das Häs Dir kaufen / um für den Weihnachtsmarkt Werbung zu laufen“, klärt Zunftmeister Daniel I. Kadasch, an Bürgermeister Thilo Schreiber gerichtet, bei der Begrüßung die Festgemeinde auf. Kadasch selbst ist Winnetou, Hand in Hand mit Old-Borger-Hand zieht er ein, vor den Schoschonen in Merklingen fliehend. Klar, der Erbfeind aus dem pietistischen Nachbardorf gehört natürlich auch zur Fasnet. Die Weiler lieben die Merklinger aber immerhin so sehr, dass sie ihnen das ganze Titelblatt ihrer aktuellen Narrenzeitung widmen.

Gewollt ist hier nichts, gekonnt alles

In Gaststuben der Altstadt hat man früher gefeiert. Als dann in den 60er-Jahren die große Stadthalle fertig geworden ist, zog man mit dem Zunftball um, fast 700 Schunkelnde lassen jetzt dort die Balken beben und biegen. Die Gruppen stemmen das fein komponierte Programm, das (auch so ein Pluspunkt) im Gegensatz zu Konkurrenzveranstaltungen anderer Zünfte, nicht zu lange dauert und nicht mit elend langen Reden („Tärätätä“) durchzogen ist. Gewollt ist hier nichts, gekonnt alles, zum Beispiel der Bändertanz von Maike Schmitt und Kerstin Aldinger.

Aldinger war bisher fürs Programm der Fasnets-Bälle zuständig, in diesem Jahr nun hat Marielle Wiemer in dieser Funktion Premiere. Seit 2006 schon ist sie im Programmteam. „Ich war die, die am längsten, seit 2006, dabei war“, berichtet sie über ihre Auswahl. Dabei ist Wiemer selbst erst 31. In den Sommerferien hatte es das erste Treffen gegeben, seit Mitte November steht das Programm für den Zunftball – Vorbereitung ist alles. „Ich wusste, auf was ich mich einlasse“, berichtet sie und schmunzelt. Marielle Wiemer hat übrigens jetzt schon eine Kollegin, die ihr mal nachfolgen wird. Kein Zweifel – die Weiler Fasnet ist nicht vom Aussterben bedroht.

Das kann man auch beim Tanz beobachten, den all jene zu vollziehen haben, die in diesem Jahr neu in eine Gruppe der Zunft aufgenommen worden sind. Zur Musik von Bonanza tanzen da mehr als zwei Dutzend junge Menschen.

Das Publikum schaut dem gebannt zu – viele erinnern sich an diesen Traditionstanz. Sechs Jahre liegt er bei Sabrina Heusel zurück. „Nein, das war für mich damals kein Problem“, sagt sie, selbst vorher im AHA-Ballett gestählt. Jetzt ist sie mit Schwester Corinna, Mama Angelika und Papa Peter zum Zunftball gekommen. Auch den Eltern gefällt’s, die zwar aus Schafhausen sind, sich aber wunderbar wohl fühlen. Über die Kinder seien sie zur Fasnet gekommen, als etwa Sabrina eine Weiler Hexe wurde. Da soll nochmals einer behaupten, die Fasnet hätte keine integrierende Kraft.

Wer von außerhalb kommt, der staunt jedenfalls. Der Pfarrer Anton Gruber hat auch einen Gast mitgebracht, seinen Amtsbruder Klaus Rennemann aus Ergenzingen bei Rottenburg. Dort ist man auch katholisch, auch narrenverrückt, und dennoch gesteht Rennemann: „Ich bin sehr neidisch.“ Das Narrenmuseum habe er besucht, auch das Aha-Domizil im Spital. Und nein, so viele feste Orte und Unterschlüpfe biete Ergenzingen seinen Narren nicht.

Aber dafür gibt es ja Weil der Stadt, wo in der fünften Jahreszeit immer irgendein „Zum Städtele hinaus“ zu hören ist. Und Meister Friedrich singt jedes Mal mit.