Die Entwicklung zeichnet sich schon länger ab, an den ersten beiden Spieltagen der neuen Saison setzt sie sich fort: Die Bundesliga steuert auf ein Zuschauer-Problem zu. Der VfB befindet sich dabei noch auf einer Insel der Glückseligen.

Sport: Gregor Preiß (gp)

Stuttgart - Der VfB Stuttgart lebt auf einer Insel der Glückseligen. Wussten Sie nicht? Stimmt aber. Zwar weist der Tabellenletzte der Fußball-Bundesliga sportlich im Moment einige Mängel auf. Ein Problem aber hat er gewiss nicht: Ein Zuschauerproblem. In der abgelaufenen Spielzeit erreichte der Zuschauerschnitt mit mehr als 56 000 ein Allzeit-Hoch, für die aktuelle Spielzeit wurden so viele Dauerkarten wie nie verkauft. Selbstredend war die Mercedes-Benz-Arena zum Heimspielauftakt gegen die Münchner Bayern pickepackevoll (und wäre es wohl auch gegen jeden anderen Gegner gewesen). Wie es scheint, könnten die Strategen vom Wasen statt elf Spieler auch das Fritzle zum Torwandschießen aufbieten – die Massen würden trotzdem strömen.

 

Heile Stuttgarter (Fan-)Welt. Andernorts stehen die Zeichen hingegen auf Abschwung. An den ersten beiden Spieltagen dieser Saison blieb in vielen Stadien eine beträchtliche Anzahl an Plätzen leer. In Mainz (gegen den VfB) betrug die Auslastung offiziell nur 84 Prozent, in Leipzig 82 Prozent. Die Arenen der beiden Aufsteiger Nürnberg und Düsseldorf mit ihren doch eigentlich euphorisierten Fans waren sogar zu nur jeweils 75 Prozent gefüllt. Die größten Lücken taten sich im 74 600 Zuschauer fassenden Berliner Olympiastadion auf, wo nur 54 000 Fans den Auftakt gegen den Club aus Nürnberg sehen wollten. Das waren immerhin 9000 mehr als im letztjährigen Schnitt der Herthaner. Was zeigt: Die Entwicklung ist nicht ganz neu.

Offizielle versus tatsächliche Auslastung

So vermelden zwar die Clubs unter dem Dach der Deutschen Fußball Liga (DFL) zum Zwecke der Eigenvermarktung in regelmäßigen Abständen neue Rekordwerte. Diese zielen aber lediglich auf die Zahl der verkauften Dauerkarten und die der absoluten Besucher (13,7 Millionen in der Saison 2017/18). Kennziffern, die immer auch von den aktuell im Oberhaus spielenden Teams und der Größe ihrer Stadien abhängen. So macht es einen Unterschied, ob der VfB und der HSV in der Bundesliga antreten oder Darmstadt und Ingolstadt. Die Aussagekraft solcher Zahlen ist also begrenzt.

Relevanter erscheint die Auslastungsquote. Und die geht seit der Spielzeit 2013/14 leicht, aber beständig zurück – von 93,1 auf 91,9 Prozent in der vergangenen Saison. In Wirklichkeit – das behauptet eine Studie des Center of Sports and Management (CSM) der Uni Düsseldorf – sind die Stadien der Bundesliga sogar noch deutlich weniger gut besucht, im Schnitt nämlich nur zu 82,3 Prozent.

Als Hauptgrund werden die vielen Dauerkartenschwänzer ausgemacht, die bei Wind und Wetter und Gegnern aus der Kategorie Hoffenheim oder Mainz gerne mal das heimische Sofa dem zugigen Stehblock vorziehen. So klafften zuletzt selbst bei den großen Quotenbringern aus Dortmund, Schalke und München einige Lücken auf den Tribünen. In die offizielle Zuschauerzahl fließen die so genannten „No Shows“ aber mit ein. Weil auch die Quote der ausverkauften Spiele 2017/18 so niedrig war wie zuletzt vor zehn Jahren und sich kein Ende der Entwicklung abzeichnet, müssten bei der DFL eigentlich die Alarmglocken schrillen.

Fußball muss sich dem Wettkampf um Aufmerksamkeit stellen

Zumindest nach außen hin verkaufen die Strategen aus Frankfurt die Bundesliga aber immer noch als „Premiumprodukt“. Die Fans und die stimmungsvollen Kurven gelten dabei als besonders imagefördernd. Tatsächlich ist die Atmosphäre bei den meisten Bundesligaspielen noch immer prächtig. Besser als das Niveau vieler Spiele, ließe sich hinzufügen. Würde einer der Verantwortlichen den sanften Rückkgang öffentlich beklagen, wäre das noch immer Jammern auf hohem Niveau. Zum Vergleich: In der italienischen Serie A lag der Schnitt vergangene Saison bei 25 000 (Bundesliga: 44 700).

Dennoch sollten die Bosse von Deutschlands liebstem Unterhaltungsbetrieb die Zeichen der Zeit nicht verkennen. Fehlende Stars, Langeweile an der Spitze und die immer weiter voranschreitende Kommerzialisierung (Montagsspiele) sind deutliche Indikatoren einer sich abzeichnenden Krise. „Dass Fußball im Konsumverhalten der Jüngeren wie selbstverständlich die Nummer eins ist, muss nicht zwangsläufig so bleiben“, warnt Sascha Schmidt vom CSM. „Es findet ein Wettkampf um Aufmerksamkeit statt, im Stadion oder zu Hause, wo ich mir bei Netflix oder Youtube etwas anschauen kann, was es vor zehn Jahren noch nicht gab. Diese Vorzeichen sollte man nicht zu spät erkennen.“

Hertha BSC hat schon reagiert. Seit dieser Saison haben Kinder unter 14 Jahren im Olympiastadion freien Eintritt. In Stuttgart (noch) unvorstellbar. Doch auch die Heimspiele des VfB werden nicht auf immer und ewig Selbstläufer sein.