Für Vonau handelt es sich um ein staatlich organisiertes Verbrechen. „Im Nürnberger Prozess hat man zum ersten Mal zugrunde gelegt, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten gegen die Grundprinzipien des Menschenrechts verstoßen haben“, erklärt der Historiker. Man hat Urteile gefällt, bei denen sich die Richter nicht auf das geltende Recht des betroffenen Staates, Nazideutschland, beriefen. „Ich war davon ausgegangen“, sagt Vonau, „dass sich Deutschland dieser Regel untergeordnet hatte.“ Die Antwort des Auswärtigen Amtes auf eine Anfrage von Baudots deutschem Anwalt Andreas Scheulen weist in eine andere Richtung. Nach Monaten der Wartezeit hielt Renée Baudot schließlich einen Brief in Händen. Sie hatte wissen wollen, wie die deutsche Bundesregierung zum Thema Zwangsrekrutierung steht. Nun antwortete man ihr, die Genfer Menschenrechtskonvention gelte nicht rückwirkend für die NS-Zeit. Von einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit könne deshalb keine Rede sein.

 

Auf ein offizielles Bekenntnis aus Deutschland warten viele im Elsass bis heute vergeblich. Selbst in Frankreich sollte es Jahrzehnte dauern bis zu einem solchen Eingeständnis. „Man hat ihrem Gewissen und ihrer Identität als Franzosen Gewalt angetan; sie wurden zum Verrat gezwungen“, sagt Jean-Laurent Vonau. „Frankreich hat ihnen nicht geglaubt.“ Erst Nicolas Sarkozy spricht in seiner Zeit als Staatspräsident 2010 bei einem Besuch in Colmar aus, was sich die überlebenden Malgré-nous (auf Deutsch: Wider unseren Willen) und die Hinterbliebenen der Gefallenen wie Renée Baudot seit Kriegsende erhofft haben. „Man zog ihnen eine Uniform an, die nicht die des Landes war, dem ihr Herz gehörte und dem ihre Treue galt“, sagte Sarkozy anlässlich der Gedenkfeier zum Kriegsende 1945. Die Malgré-nous, so Sarkozy, seien keine Verräter gewesen, denn wer sich nicht fügte und desertierte, riskierte eine Verurteilung vor dem Militärgericht, Arbeitslager oder Tod, schwerste Repressalien für die Familien.

Bundespräsident Gauck nimmt 2013 die Franzosen in die Verantwortung

Die deutsche Bundesregierung hat ihre Haltung auch nach einer Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag vom Juli nicht revidiert. In seiner Antwort räumt das Auswärtige Amt zwar ein, dass es die Zwangsrekrutierung als solche für rechtswidrig halte, sieht jedoch keine Notwendigkeit für ein offizielles Bekenntnis.

Der Besuch 2013 des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck in Oradour-sur-Glane wird zitiert. In der Tat ist das Massaker von Oradour-sur-Glane, einem Dorf im zentralfranzösischen Limousin, untrennbar verbunden mit der Geschichte der elsässischen Malgré-nous. Am 10. Juni 1944 begingen dort Soldaten der SS-Panzerdivision „Das Reich“ einen Massenmord an 642 Zivilisten. Unter den beteiligten Soldaten waren auch 14 Elsässer.

Joachim Gauck sagte in seiner Rede damals, er sei sich der Debatte bewusst, die um die Frage der Zwangsrekrutierung von Elsässern in Frankreich kreise, die am Massaker von Oradour teilgenommen hätten. Er gab jedoch zu bedenken, Gerechtigkeit bei der Aufarbeitung von Kriegsverbrechen könne auch der Rechtsstaat nicht vollständig garantieren. Joachim Gauck sprach in seiner Rede damals von Schuld, von Verdrängung und Verharmlosung.

Für Vonau handelt es sich um ein staatlich organisiertes Verbrechen. „Im Nürnberger Prozess hat man zum ersten Mal zugrunde gelegt, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten gegen die Grundprinzipien des Menschenrechts verstoßen haben“, erklärt der Historiker. Man hat Urteile gefällt, bei denen sich die Richter nicht auf das geltende Recht des betroffenen Staates, Nazideutschland, beriefen. „Ich war davon ausgegangen“, sagt Vonau, „dass sich Deutschland dieser Regel untergeordnet hatte.“ Die Antwort des Auswärtigen Amtes auf eine Anfrage von Baudots deutschem Anwalt Andreas Scheulen weist in eine andere Richtung. Nach Monaten der Wartezeit hielt Renée Baudot schließlich einen Brief in Händen. Sie hatte wissen wollen, wie die deutsche Bundesregierung zum Thema Zwangsrekrutierung steht. Nun antwortete man ihr, die Genfer Menschenrechtskonvention gelte nicht rückwirkend für die NS-Zeit. Von einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit könne deshalb keine Rede sein.

Auf ein offizielles Bekenntnis aus Deutschland warten viele im Elsass bis heute vergeblich. Selbst in Frankreich sollte es Jahrzehnte dauern bis zu einem solchen Eingeständnis. „Man hat ihrem Gewissen und ihrer Identität als Franzosen Gewalt angetan; sie wurden zum Verrat gezwungen“, sagt Jean-Laurent Vonau. „Frankreich hat ihnen nicht geglaubt.“ Erst Nicolas Sarkozy spricht in seiner Zeit als Staatspräsident 2010 bei einem Besuch in Colmar aus, was sich die überlebenden Malgré-nous (auf Deutsch: Wider unseren Willen) und die Hinterbliebenen der Gefallenen wie Renée Baudot seit Kriegsende erhofft haben. „Man zog ihnen eine Uniform an, die nicht die des Landes war, dem ihr Herz gehörte und dem ihre Treue galt“, sagte Sarkozy anlässlich der Gedenkfeier zum Kriegsende 1945. Die Malgré-nous, so Sarkozy, seien keine Verräter gewesen, denn wer sich nicht fügte und desertierte, riskierte eine Verurteilung vor dem Militärgericht, Arbeitslager oder Tod, schwerste Repressalien für die Familien.

Bundespräsident Gauck nimmt 2013 die Franzosen in die Verantwortung

Die deutsche Bundesregierung hat ihre Haltung auch nach einer Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag vom Juli nicht revidiert. In seiner Antwort räumt das Auswärtige Amt zwar ein, dass es die Zwangsrekrutierung als solche für rechtswidrig halte, sieht jedoch keine Notwendigkeit für ein offizielles Bekenntnis.

Der Besuch 2013 des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck in Oradour-sur-Glane wird zitiert. In der Tat ist das Massaker von Oradour-sur-Glane, einem Dorf im zentralfranzösischen Limousin, untrennbar verbunden mit der Geschichte der elsässischen Malgré-nous. Am 10. Juni 1944 begingen dort Soldaten der SS-Panzerdivision „Das Reich“ einen Massenmord an 642 Zivilisten. Unter den beteiligten Soldaten waren auch 14 Elsässer.

Joachim Gauck sagte in seiner Rede damals, er sei sich der Debatte bewusst, die um die Frage der Zwangsrekrutierung von Elsässern in Frankreich kreise, die am Massaker von Oradour teilgenommen hätten. Er gab jedoch zu bedenken, Gerechtigkeit bei der Aufarbeitung von Kriegsverbrechen könne auch der Rechtsstaat nicht vollständig garantieren. Joachim Gauck sprach in seiner Rede damals von Schuld, von Verdrängung und Verharmlosung.

250 Millionen D-Mark als „abschließende Geste“

Bei den elsässischen Veteranenverbänden der Malgré-nous ist aus jener Rede aber vor allem im Gedächtnis geblieben, dass Gauck die Debatte über die Malgré-nous letztlich als französisches Thema bezeichnet hat. Für Jean-Laurent Vonau wie Renée Baudot handelt es sich um eine Geringschätzung der elsässischen Geschichte, weil er das von Deutschland begangene Unrecht in die Zuständigkeit Frankreichs verlagert. Befürchtet man im Auswärtigen Amt nun etwa neue Entschädigungsforderungen? Schließlich betrifft das Thema Zwangsrekrutierung im Nationalsozialismus mindestens 500 000 Männer aus den zwischen 1939 und 1945 besetzten Gebieten – neben Elsass-Lothringen auch Luxemburg, das belgische Eupen-Malmedy, das ehemalige Jugoslawien und Polen.

Mit der Einrichtung der in Deutschland kaum bekannten Stiftung Entente Franco-Allemande (deutsch-französische Verständigung) 1981 habe die Bundesrepublik in der Rechtsnachfolge des NS-Regimes, so die Auffassung des deutschen Historikers Norbert Haase, keinen angemessenen Ausdruck der Anerkennung dieses Unrechts gefunden. Für das heutige Auswärtige Amt stellt die Einzahlung von damals 250 Millionen D-Mark in besagte Stiftung zur Entschädigung ehemaliger Zwangsrekrutierter indes eine „abschließende Geste“ dar. „Ungeachtet dessen, ob sich aus heutiger Sicht ein Entschädigungsanspruch ableiten lässt“, kritisiert der Grünen-Politiker Volker Beck, „liegt es in der moralischen Verantwortung Deutschlands, den Zwangsrekrutierten eine besondere Anerkennung ihres Leidens zuzuerkennen.“

Gedenken am 75. Jahrestag der Zwangsrekrutierung

Renée Baudot wird nicht lockerlassen. „Kohl ist nach Verdun gegangen“, fährt sie energisch fort. „Aber es gibt noch mehr zu tun.“ Der Erlass, durch den die Zwangsrekrutierung überhaupt möglich wurde, jährt sich am 25. August 2017 zum 75. Mal. Renée Baudot gehört zu den Organisatoren eines Festaktes, der dem Anlass, wie sie sagt, würdig sein soll. Jene, die noch leben, seien hochbetagt. Etliche werden nur in einem Rollstuhl teilnehmen können. Eine Messe im Straßburger Münster soll es geben. „Wir erwarten ein Zeichen“, schließt Renée Baudot, „damit es weitergehen kann.“