Beim größten Gruppen-Outing, das es je hierzulande gab, sind drei Stuttgarter dabei: Der freie Schauspieler Benjamin Hille sowie Martin Bruchmann und Robert Rožić vom Staatstheater erklären, warum #actout ihnen wichtig ist.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Es musste sein. Endlich! Martin Bruchmann, der Vielbegabte vom Schauspiel Stuttgart, der Theater spielt, Filme dreht und singt, dachte, „auf der sicheren Seite“ zu sein, wenn er sich „nichts anmerken“ lässt, seine Homosexualität also versteckt. „Aber man vergisst, dass man sich damit unbemerkt selbst zensiert“, sagt der 31-Jährige unserer Zeitung. Ausgerechnet in der Kunst gehe so ein Zustand gar nicht.

 

Deshalb macht der gebürtige Leipziger bei der Kampagne #actout mit, beim größten Gruppen-Outing, das es je in Deutschland gab. Die „existenzielle Angst, nicht mehr besetzt zu werden oder eben doch nicht die heterosexuellen Hauptrollen zu bekommen, die es ja bis jetzt größtenteils nur gab“, habe ihn viel zu lange blockiert. Dies müsse endlich aufhören. „Wir können mit dem Manifest etwas anstoßen, wovon man in ein paar Jahren bestenfalls gar nicht mehr spricht“, erklärt Bruchmann. Mit der gemeinsamen Initiative der 185 Schauspielenden, die im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ Gesicht zeigen, könne man „Vorbild sein, Mut machen und vor allem frei arbeiten“.

Sexualität beruflich nicht verstecken müssen

Schon früh wusste Benjamin Hille, wo’s langgeht bei ihm. In der Familie hat sich der Schauspieler, Regisseur und House-DJ, der seit 2010 freischaffend in Stuttgart lebt, mit 15 Jahren geoutet. Beruflich, sagt er heute mit 44 Jahren, habe er seine Sexualität nicht verstecken müssen. Vielleicht habe er das Glück gehabt, mit Regisseuren zusammenzuarbeiten, die ihn „nicht für zu schwul“ hielten, um heterosexuelle Rollen zu spielen.

„Love Letters“, so heißt seine jüngste Inszenierung als Regisseur, die es coronabedingt nur zur Generalprobe geschafft hat und deren Premiere nun für den 21. Mai in den Stuttgarter Schauspielbühnen geplant ist. In dem Stück geht es um Briefe, die „eine unerfüllte Liebe“ herzergreifend erklären. Liebe, die nicht erfüllt wird, die man nicht offen ausleben darf, kann einen Menschen schwer belasten. Ein Hoch auf die Liebe, welcher Ausprägung auch immer, stimmen Schauspielstars wie Newcomer an, die sich als schwul, lesbisch, bisexuell oder trans im „SZ-Magazin“ outen. Die Initiative schlägt hohe Wellen, worüber sich Hille freut, der noch nie zuvor in seinem künstlerischen Leben eine so große Resonanz auf eine Aktion erlebt hat. „So viele Likes gab’s in den sozialen Medien für mich noch nie“, sagt er.

Den Jüngeren Mut machen

Schon vor Weihnachten war Hille angesprochen worden, ob er bei #actout mitmacht. „Ich hab nicht lang überlegen müssen“, sagt er, „vor allem, um den Jüngeren Mut zu machen.“ Noch immer kennt er Kollegen, die ihr Schwulsein verstecken, aus Angst, weniger Rollen angeboten zu bekommen. Darunter seien Stars des deutschen Kinos, die ihr Privatleben aus der Öffentlichkeit nicht ohne Grund heraushielten. Alle 185 hatten zugesichert, die Aktion über Wochen geheim zu halten. Erst mit dem Erscheinen des „SZ-Magazins“ ist’s offiziell geworden.

„Das Leben ist zu kurz für düstere Versteckspiele“

Der in der Schweiz geborene Robert Rožic, der seit der Spielzeit 2018/2019 ein Festengagement am Schauspiel hat, ist der dritte Stuttgarter, der Gesicht zeigt beim Manifest. „Bis zu #actout war ich mir der Dimension dieser Problematik gar nicht so richtig bewusst, da mich meine Sexualität in meinem Beruf bisher glücklicherweise kaum eingeschränkt hat“, sagt er und erklärt warum: „Weil ich meine Sexualität versteckt habe. Weil ich mir stets die größte Mühe gab, das klassische Bild eines Mannes in einer heteropatriarchalen Welt zu erfüllen. Gang, Sprache, Gestik, Kleidung – alles den männlichen Vorbildern angepasst, um bloß nicht aufzufallen.“ Genau darum gehe es ihm bei dieser gemeinsamen Aktion: „Das Leben ist zu kurz und eindeutig zu bunt für düstere Versteckspiele. Steh zu dir und deinen Gefühlen! Alles andere ist Zeitverschwendung!“

Schwuler Regisseur lobt den SWR

Martin Bruchmann freut sich ebenfalls über die vielen positiven Reaktionen aus der Branche und weit darüber hinaus. „Kein wirklich schönes Arbeiten“ sei es gewesen, wenn man „eine Schere im Kopf“ hat. Er habe sich immer „selbst beobachten“ müssen, um sich „nicht zu enttarnen“. Doch dies sei nun endlich Vergangenheit.

Benjamin Hille war diese Woche als Sprecher bei einem thematisch passenden Hörspiel beim SWR gebucht. Unter der Regie des schwulen Regisseurs Noam Brusilovsly wirkt der Stuttgarter mit beim Stück „Testo Junkie“ des Philosophen Paul B. Preciado. „Der israelische Theater- und Hörspielregisseur Noam Brusilovsly ist solidarisch mit #actout in Deutschland“, sagt Hille, „und erfreut, dass der Sender SWR sehr offen für queere Themen und Menschen ist.“ Viele der 185 sich Outenden seien schon beim SWR beschäftigt gewesen, so Hille.