Warum braucht die Partei einen Kanzlerkandidaten, wenn dieser keine Chance hat? Mit dieser Frage empört der schleswig-holsteinische Regierungschef Albig die SPD. Dabei sagt er nur, was viele denken. Gabriels Stern sinkt weiter.

Berlin - Die CDU bedankt sich artig und macht für die Genossen damit alles nur noch schlimmer. Es wäre ja nicht weiter erwähnenswert, wenn zuvor ein CDU-Ministerpräsident in einem dieser meist elend langweiligen Sommerinterviews die Leistung von Kanzlerin Angela Merkel gepriesen und den Sozialdemokraten mangels Erfolgsaussicht empfohlen hätte, bei der nächsten Wahl nur noch auf Platz und nicht mehr auf Sieg zu spielen. Aber weil dieser Landeschef Torsten Albig heißt und auf dem Ticket der SPD unterwegs ist, wird der an ihn gerichtete Dank der CDU für die Genossen, die mit ihrem Vorsitzenden Sigmar Gabriel eh schon schwere Zeiten erleben, zur Höchststrafe.

 

Albig hatte in einem NDR-Interview erklärt, es sei schwer, gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu gewinnen. Sie sei eine gute Kanzlerin und mache das „ganz ausgezeichnet“. Deshalb wäre es auch nicht verwerflich, wenn die SPD bei der nächsten Wahl anstreben würde, lediglich Juniorpartner der Union zu bleiben. Man könne dann auch darüber nachdenken, ob man die Kanzlerkandidatur einfach sein lässt und nur noch einen Spitzenkandidaten ins Rennen schickt: „Ob da die Bezeichnung Kanzlerkandidat noch richtig ist, das werden wir sehen“, sagte der Ministerpräsident Schleswig-Holsteins.

„Wissen wir. Aber danke!“, twittern daraufhin die CDU-Strategen, die ihr Glück vermutlich kaum fassen können, aus dem Konrad-Adenauer-Haus in die Welt hinaus. Und Generalsekretär Peter Taube warnt mit beißendem Spott, die „SPD soll sich keinen falschen Hoffnungen hingeben. Wenn Angela Merkel wieder antritt, dann für die CDU und nicht für die SPD“. Die SPD, in den Augen der Konkurrenz nur noch eine Lachnummer. Tiefer kann die Partei kaum noch fallen.

Selbst in der an Absurditäten reichen Geschichte der SPD ist das neu, dass da einer aus dem eigenen Stall die Selbstaufgabe empfiehlt, noch bevor das Rennen begonnen hat. Augenhöhe mit der Union, damit verbunden der Anspruch aufs Kanzleramt, das gehört trotz aller Regierungsskepsis zur Erbmasse der Partei. In der SPD löst das Interview deshalb Entsetzen und Fassungslosigkeit aus. Zwar unterstreichen unter anderem Generalsekretärin Yasmin Fahimi und die Landeschefin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, den Anspruch der SPD aufs Kanzleramt. Aber das eigentlich Schlimme ist, dass Albig ausspricht, was viele insgeheim denken: dass die SPD gegen Merkel keine Chance hat, schon gar nicht mit einem Kanzlerkandidaten, der Sigmar Gabriel heißt.

Keiner springt Gabriel zur Seite

So eisig und einsam war es selten an der Spitze dieser Partei. Mal abgesehen von Martin Schulz hat Gabriel in der Parteiführung keine Verbündeten mehr, heißt es. Folglich wirft sich für Gabriel auch keiner mehr in die Bresche, wenn der Parteichef angegriffen wird; er ist politisches Freiwild geworden, schutzlos all seinen Gegnern ausgeliefert. Aber dennoch wird er antreten müssen. Denn trotz allem muss er nicht um seinen Führungsanspruch kämpfen. Keiner will gegen Merkel den Kürzeren ziehen und die SPD in eine weitere historische Niederlage führen. Hätte die SPD eine Chance, wäre Gabriel längst fällig, sagt ein hochrangiges SPD-Mitglied. Aber so lässt man den Kapitän am Steuer, obwohl viele fürchten, dass er das Schiff endgültig auf Grund setzt. Albig hat der Partei deshalb lediglich den Spiegel vorgehalten und einige blicken jetzt widerwillig in ihre eigenen feigen Gesichter.

Die Reihe der Fehler, die man Gabriel ankreidet, wird lang und länger. Begonnen hatte die Misere im Januar mit seiner Teilnahme an einer Diskussionsrunde mit Pegida-Anhängern. Im Februar folgte eine von vielen als desaströs beschriebene Klausurtagung in Nauen, auf der Gabriel mürrisch, fast schon depressiv wirkend, der aufkommenden Kritik begegnete. Der SPD-Chef erwischte seine Partei abermals auf dem falschen Fuß, als er überraschend die Vorratsdatenspeicherung durchsetzte und damit Justizminister Heiko Maas blamierte, der diese hatte verhindern wollen. Auch ein Positionspapier, mit dem Gabriel aus dem 25-Prozent-Tal aufbrechen und die politische Mitte ansteuern will, kam gar nicht gut an. Wirtschaftsfreundliche Akzente und ein SPD-untypischer optimistischer Blick aufs Land finden sich darin, was prompt auf den Widerstand der Parteilinken stieß, die Gabriel seit seinem Einsatz für das TTIP-Freihandelsabkommen mit den USA neoliberaler Umtriebe verdächtigen.

Mister Zickzack

Aber am meisten frustrierte und empörte die Partei Gabriels Kurs in der Griechenland-Krise. Der Parteichef sah sich vor den entscheidenden Verhandlungen kommunikativ in der Falle. Es rächte sich, dass er nicht nach dem Finanz-, sondern nach dem Wirtschaftsministerium gegriffen hatte, denn Gehör fanden lange Zeit nur Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble. Bis Gabriel beschloss, sich früher, lauter und vor allem kerniger als die beiden zu Wort zu melden. Gabriel wurde fortan tatsächlich wahr genommen – mehr als es vielen Parteimitgliedern lieb war. Härter als Merkel und Schäuble attackierte er die griechische Regierung, ein Grexit war für ihn zwischenzeitlich hinnehmbar, viele in der SPD warfen ihm Populismus vor. Dann widersprach er sich auch noch mehrmals, ließ keinen klaren Kurs erkennen, so als wollte er einen in der Partei seit Anfang Juli kursierenden gabrielkritischen Text mit dem Titel „Zickzack no more“ bestätigen.

Ein Mitglied der SPD-Führung, von Gabriel ebenso enttäuscht wie die anderen, hatte angesichts der um sich greifenden Lähmung Mitte der Woche in einem vertraulichen Gespräch die Hoffnung geäußert, die Ruhe des Sommers möge die Wogen glätten und all den Verzagten Zuversicht schenken. Dann kam Albig,