In Stuttgarts Wäldern wimmelt es von Fahrradfahrern. Die Kesselstadt ist ein wahres Mountainbike-Paradies. Doch die Zweimeterregel bremst die Euphorie. Stadt und Biker spielen ein Katz-und-Maus-Spiel – ohne Gewinner.

Digital Desk: Beate Grünewald (bpu)

Stuttgart - Stuttgart hat den Stempel, eine Autostadt zu sein. Was viele offenbar nicht wissen: Stuttgart ist auch eine Fahrradstadt. Genauer gesagt eine Mountainbike-Stadt. Deshalb findet man die Radler auch nicht auf der Straße, sondern bevorzugt im Wald. Insgesamt 5000 Hektar Waldfläche gibt es hier. Das ist etwa 80 Mal die Fläche vom gesamten Schlossgarten – ein wahres Paradies für Mountainbiker also.

 

Viele Waldflächen sind so nah am Stadtzentrum, dass sie in wenigen Minuten mit dem Fahrrad zu erreichen sind. Die ungewöhnliche Topografie Stuttgarts mit den abschüssigen und teils steilen Hängen, sie ist ein Abenteuerspielplatz für Mountainbiker.

Keiner hält sich an die Zweimeterregel

Wäre da nicht die Zweimeterregel: Als einziges Bundesland Deutschlands hat Baden-Württemberg im Waldgesetz vorgeschrieben, dass Fahrradfahrer im Wald nur solche Wege befahren dürfen, die mindestens zwei Meter breit sind. Für Mountainbiker ein echtes Problem, denn gerade die schmalen Pfade machen den Reiz des Sports aus.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich praktisch keiner an dieses Verbot hält. In Stuttgarts Wäldern wimmelt es von Mountainbikern. Die Biker nennen ihre Strecken „Trails“. Und Stuttgart ist voll von Trails. Das Forstamt hat sie zählen lassen und kam auf weit über 100. Sie tragen abenteuerliche Namen wie „Arizona Trail“ oder „Downhill Hölle“– Wegweiser und Hinweisschilder suchen Interessierte aber vergeblich. Um die guten Trails zu finden, muss man die richtigen Leute kennen.

Zum Beispiel diejenigen, die die Trails bauen. Einer der bekanntesten Trailbauer in Stuttgart ist Johannes Breuer* (Name von der Redaktion geändert). Von Freunden wird er gewarnt, mit der Presse zu sprechen. „Das bringt doch nichts“, glauben viele aus der Szene. „Wir werden nur missverstanden“. Doch sein Optimismus und der Glaube, etwas Gutes zu tun, treiben ihn an.

„Wenn wir Trails bauen, stehen die Leute Schlange“

Mit jahrelanger Erfahrung baut Breuer auf ausgesuchten Waldwegen spannende Kurven, kleine Sprünge und viele Bodenwellen. „Wenn wir im Wald neue Trails bauen, stehen die Leute Schlange“, erzählt er begeistert. In der Szene bekommt er viel Zuspruch für sein Engagement. Hier wird die Arbeit, die darin steckt, gesehen und honoriert. Ihm sei sogar schon Geld angeboten worden, berichtet er. „Die Leute kennen solche professionellen Strecken andernorts nur aus Bikeparks – und die kosten was“, sagt er.

Mit dem Klapp-Spaten im Rucksack und ganz viel Handarbeit stopft Breuer gefährliche Löcher und bessert brüchige Kurven aus. Das miese Image der Mountainbiker als Naturzerstörer und Gefährder anderer Waldbesucher gehört aus seiner Sicht dringend aufpoliert.

Seiner Meinung nach sei Mountainbiken längst kein Nischensport mehr und hätte großes Potenzial als Naturerlebnis von der Stadt beworben zu werden. „Wir vergeben eine Riesenchance“, sagt Breuer. Man könne geführte Mountainbike-Touren durch Stuttgarts Wälder anbieten, Kinder von ihren Smartphones weglocken und gemeinsam an der Erhaltung der Strecken arbeiten.

Wenn es um Lösungen und Ideen geht, sprudelt es nur so aus ihm heraus. Mit einer Legalisierung bestimmter Trails könnten diese besser beworben und auch gepflegt werden. Auch Patenschaften oder gezielte Aufträge an Vereine könnten eine Lösung sein. „Unser Angebot kostet die Stadt nichts, sie muss unsere Arbeit nur erlauben.“

Keiner fühlt sich für das Thema zuständig

„So einfach ist das nicht“, weiß Hagen Dilling, Leiter des Garten-, Friedhofs- und Forstamts in Stuttgart. „Der Wald gehört ja jemandem“, sagt er. Denn was beim Spazierengehen, Wandern, Reiten oder eben beim Radfahren nicht wahrgenommen wird, ist die Tatsache, dass man durch Wälder verschiedener Besitzer fährt. Nur die Hälfte der Waldflächen auf der Gemarkung Stuttgart gehören der Stadt selbst, ein großer weiterer Teil dem Land Baden-Württemberg. Hinzu kommen viele kleinere Waldstücke, die in Privatbesitz sind.

„Illegale Trails können nicht einfach von der Stadt genehmigt werden“, erklärt Dilling. Für die Genehmigung müsse ein Weg erst einmal als Weg definiert werden. Denn die bei Mountainbikern beliebten „Trails“ gibt es offiziell gar nicht. Deshalb können sie auch nicht so einfach legalisiert werden. Obendrein hätten auch das Sportamt und das Umweltamt noch ein Wörtchen mitzureden, sagt Dilling.

Auf Nachfrage unserer Zeitung will sich beim Sportamt keiner zu den verbotenen Trails äußern. „Die Zuständigkeit für das Mountainbiken in den Stuttgarter Wäldern liegt nicht bei uns“, sagt Amtsleiter Günther Kuhnigk, und verweist auf das Forstamt. Dabei obliegt die Förderung von Sport und Freizeitbeschäftigungen sehr wohl dem Sportamt. Die Bürokratie dahinter können Außenstehende nur erahnen.

Brisanz durch die Haftungsfrage bei einem Unfall

Vorerst bleiben die selbst gebauten Trails deshalb auf behördlicher Ebene schlicht Sachbeschädigung und damit eine Ordnungswidrigkeit. Die Frage nach der Haftung verleiht dem Thema eine zusätzliche Brisanz. Denn wenn auf den illegalen Trails etwas passiert, kann der Eigentümer des Waldes theoretisch zur Rechenschaft gezogen werden.

Im Waldgesetz ist geregelt, dass jeder Mensch den Wald zunächst einmal auf eigene Gefahr betreten darf. Für waldtypische Gefahren wie beispielsweise herabfallende Äste, kann der Waldbesitzer nicht haftbar gemacht werden. „Bei künstlich angelegten Sprungschanzen und anderen Hindernissen, die dazu bestimmt sind, sie mit dem Mountainbike zu überwinden, handelt es sich in keinem Fall um typische Gefahren“, erklärt Christian Bereska, Rechtsanwalt und Mitglied des Zivilrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins.

Wenn der Waldbesitzer gefährlich veränderte Stellen „kennt und duldet“ und es zu einem Unfall durch einen arglosen Radfahrer kommt, kann der Eigentümer Schwierigkeiten bekommen. Doch das sei laut Bereska eine Ausnahmesituation und da komme es „sehr auf den konkreten Einzelfall an“. Denn der Verletzte müsste erst einmal nachweisen, dass der Waldbesitzer Kenntnis davon hatte.

Katz-und-Maus-Spiel zwischen Bikern und Forstamt

Doch genau diese Haftungsfrage ist der Grund, warum in Stuttgart jährlich so genannte „Abbauaktionen“ vom Forstamt stattfinden. Dann werden im großen Stil von Mountainbikern angelegte Wege zurückgebaut. Daraus hat sich mittlerweile ein kurioses Katz-und-Maus-Spiel entwickelt. Denn die Mountainbiker wollen sich ihr Hobby nicht verbieten lassen und bauen kurz darauf wieder neue Trails.

In der Öffentlichkeit traut sich kaum einer mehr etwas zu sagen. Zu groß ist die Angst, die Gegenseite zu provozieren und den Konflikt weiter zu verschärfen. „Wir sitzen auf einem Ast, und wissen nicht, ob wir daran sägen oder ob wir dabei sind, uns den Platz zu legitimieren“, formuliert es ein Mountainbiker.

So entstehen hinter vorgehaltener Hand heimlich kleine Deals zwischen Förstern, Grundbesitzern und Mountainbikern. Manche Trails werden stumm geduldet, solange sie keine waghalsigen Sprungschanzen enthalten. Aber eigentlich, so sind sich alle einig, wäre es wichtig, gemeinsam eine Lösung zu finden.

Könnte Freiburg als Vorbild für Stuttgart dienen?

Möglicherweise lohnt sich ein Blick nach Freiburg. Dort wird die Mountainbike-Szene über einen Verein organisiert, der vor sieben Jahren von Freiburgern gegründet wurde. „Mountainbike Freiburg e.V.“ zählt mittlerweile über 1200 Mitglieder und pflegt nach eigenen Angaben ein freundschaftliches Verhältnis zur Stadtverwaltung. „Neue Ideen werden mit den zuständigen Ämtern abgesprochen und gemeinsam beschlossen“, erklärt Pressesprecher Patrick Hecklinger von MTB Freiburg e.V. „Und wir üben uns in Geduld, wenn es um Anträge und Behördengänge geht“, erzählt er selbstironisch, denn das ist nicht gerade des Sportlers Stärke.

Trotz komplizierter Haftungsfragen muss in Freiburg kein Waldbesitzer schlecht schlafen, denn die Versicherung der Trails habe der Verein komplett übernommen, berichtet Hecklinger. Die Finanzierung läuft über Mitgliedsbeiträge und zwei Minijobber kümmern sich um die Pflege der Strecken. Voller Stolz erzählt der Pressesprecher, dass eine eigene Jugendabteilung junge Mountainbiker im richtigen Verhalten und Fahren im Wald schult. „Das Konzept ist so beliebt, dass die Anzahl der Kinder auf der Warteliste im dreistelligen Bereich liegt“.

Auf nochmalige Nachfrage seitens unserer Zeitung gibt es beim Sportamt Stuttgart schließlich doch noch eine Stellungnahme: Eine Ausweisung von Mountainbike-Trails könne die Situation in den Stuttgarter Wäldern entschärfen, heißt es. Und dann wird der Sportamtsleiter fast konkret: „Es sind Überlegungen für die Erstellung eines Mountainbike-Konzepts im Gange, welches die verschiedenen Nutzergruppen im Wald berücksichtigt“, verrät Kuhnigk. „Dies soll gemeinsam mit allen Interessenvertretern erarbeitet werden.“