Den „Spiegel“-Informationen zufolge hatte der Thüringer Verfassungsschutz Ende der 90er Jahre selbst mindestens drei V-Leute im Umfeld des Trios geführt.

Berlin - Bundespräsidialamt, Bundestag und Bundesregierung bereiten gemeinsam eine zentrale Gedenkfeier für die Opfer der Neonazi-Mordserie vor. „Wir sind uns einig, dass es eine Veranstaltung geben soll“, kündigte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) im Berliner „Tagesspiegel am Sonntag“ an. Angesichts der Pannen bei der Fahndung nach rechtsextremen Gewalttätern wurden derweil die Rufe nach politischen Konsequenzen lauter. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verlangte am Samstag eine bessere Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will der Bundesanwaltschaft mehr Kompetenzen übertragen.

 

Unterdessen wurde deutlich, dass die Zwickauer Terrorzelle über ein größeres Netzwerk verfügte, als bislang angenommen. Der Thüringer Verfassungsschutz geht laut „Spiegel“ und „Focus“ mittlerweile von etwa 20 Unterstützern aus, die den Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe im Untergrund halfen.

„Eine Reihe weiterer Verdächtiger“

Der Vorsitzende des Geheimdienstkontrollgremiums des Bundestages, Thomas Oppermann, rechnet mit weiteren Festnahmen über die bislang bekannten Fälle hinaus. „Das Terror-Trio hatte weitere Helfer, ohne die ein Leben 13 Jahre im Untergrund nicht möglich gewesen wäre. Es gibt noch eine Reihe weiterer Verdächtiger“, sagte der SPD-Fraktionsgeschäftsführer der „Bild am Sonntag“.

Den „Spiegel“-Informationen zufolge hatte der Thüringer Verfassungsschutz Ende der 90er Jahre selbst mindestens drei V-Leute im Umfeld des Trios geführt. Neben dem Kopf des Thüringer Heimatschutzes, Tino B., Deckname „Otto“, habe zu den Informanten des Geheimdienstes auch der Chef der Thüringer Sektion der Organisation „Blood & Honour“ gehört. Trotzdem gelang es später nicht, das untergetauchte Neonazi-Trio aufzuspüren.

„Hätte etwas anders laufen müssen?“

Merkel sagte in einem Video-Podcast vom Samstag, es mache sie nachdenklich, dass die Suche nach den Tätern jahrelang erfolglos geblieben sei. „Hätte etwas anders laufen müssen? Was könnte besser gemacht werden?“, fragte die Kanzlerin. Es sei wichtig, dass Bund und Länder jetzt darüber im Gespräch seien. „Ich möchte nie wieder, dass ein Geheimdienst Vollzugsbefugnisse bekommt. Aber informieren müssen sich die Behörden natürlich untereinander. Hier werden wir genau hinschauen, ob wir etwas aus den Vorgängen lernen müssen“, sagte Merkel.

Friedrich forderte im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, die Bundesanwaltschaft müsse leichter die Ermittlungen an sich ziehen können, wenn etwa Fälle schwerer Kriminalität Landesgrenzen überschritten. Damit solle verhindert werden, dass Staatsanwaltschaften der Länder wie im Fall der Neonazi-Terroristen den größeren Zusammenhang einer Verbrechensserie übersehen.

Zugleich verteidigte der Innenminister Polizei und Verfassungsschutz gegen Kritik. Vor Delegierten der Jungen Union in Bayern sagte er im niederbayerischen Essenbach, die Sicherheitsbehörden seien „nicht auf dem rechten Auge blind“. Die Institutionen müssten sich einen solchen Vorwurf „nicht gefallen lassen“.

Zwickauer Gruppe „völlig atypisch“

Auch der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, wies den Vorwurf eines Totalversagens der Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung der Neonazi-Mordserie zurück. Die Zwickauer Gruppe habe sich „völlig atypisch“ verhalten, indem sie schwerste Gewalttaten verübte, ohne sich dazu zu bekennen. Dieser Umstand und die verdeckte Lebensweise seien für politisch motivierte Kriminalität von Rechts „bislang einmalig“.

Ziercke räumte zugleich ein, dass dem BKA bis zuletzt „weder Erkenntnisse zu rechtsterroristischen Organisationen oder Strukturen in Deutschland noch Anzeichen für derartige Anschläge aus der rechtsextremen Szene“ vorgelegen hätten. Man müsse sich fragen, ob „wir bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus beziehungsweise des Terrorismus grundsätzlich richtig aufgestellt sind“.