Die drei Bluesrocker aus Texas sind längst Klassiker: ZZ Top spielen Bluesrock ohne Schnörkel. In der Schleyerhalle mussten sie zwar mit dem WM-Spiel Deutschland gegen Ghana konkurrieren. Aber auch so etwas bringt Boogie-Profis nicht aus dem Takt.

Stuttgart - Es gibt riskante Formeln der Karrieredehnung. Diese zum Beispiel möchte man nicht jedem empfehlen: „Wer früh alt aussieht, wirkt länger unverändert.“ Die Herren von ZZ Top aber sind mit ihr gut gefahren. Als sich zwei der drei texanischen Bluesrocker, der Gitarrist Billy Gibbons und der Bassist Dusty Hill, vor Jahrzehnten als Gegenentwurf zu den hüftlangen Mähnen anderer Rocker die Bärte sprießen ließen, war ein ikonischer Look geboren. ZZ Top wirkten entspannt selbstbewusst, wie sie auf die Traditionen der Provinz zurückgriffen, sie im Kompressor ihrer Verstärker zukunftsfit machten und auf die Moden der Städter pfiffen.

 

44 Jahre nach Gründung der Band, am Samstagabend auf der Bühne der Schleyerhalle, geht die Entscheidung für den Anschein schelmischer Weihnachtsmänner, die mit dem leeren Sack über der Schulter durch den Kamin rutschen und allen beweglichen Tand klauen, mal wieder voll auf. Gibbons und Hill lassen vorne ihren Boogie auskeilen, ihren Blues rumpeln, ihre riffschweren Hymnen auf das Leben im Moment tschack-tschack-tschackern, als schrieben wir die Siebziger, die Achtziger oder überhaupt ein Zeitalter, in dem die Uhren zerfließen wie auf Dali-Gemälden.

Mancher wird’s für Sturheit halten

Hill und Higgins wirken wie eh und je, bewegen sich sparsam, aber elegant, twisten ein wenig, mal geht einer in die Knie und kommt locker wieder hoch. 65 Jahre alt sind die beiden, wie Frank Beard am Schlagzeug auch, der als einziger seinen Bart auf ein Minimum beschränkt. Bei ihm ist das wuchtige Drumset die Körpererweiterung geworden, die ihn definiert und versteckt, die Neugier der Fans befriedigt und abbremst: Okay, wir haben ihn, da ist er, immer noch der Alte! Wunderbar!

Man kann dieses ewige Einssein mit sich selbst dieser allmählich dienstältesten Band in Urbesetzung durchaus unangenehm finden, eine Bluesrock-Sturheit ohne Entwicklungsimpulse, ihre Show die bloße Vorführung des Eingelernten und längst Beherrschten ohne Risiko, Improvisation und Neugier.

Das wäre auch in der Schleyerhalle als Beobachtung des Gebotenen völlig richtig, als Werturteil aber so falsch wie nur möglich. Gewiss, ZZ Top spielen eine Mischung uralter und halbwegs neuer Songs, „Got me under Pressure“, „Gimme all your Lovin‘“, „I gotsta get paid“, „Sharp dressed Man“, „Jesus left Chicago“ und „Flyin‘ high“ so nah Plan, als seien sie ihre eigene Jukebox. Aber Kontrolle, der souveräne Ritt auf dem Bullen, ohne auch nur den Hut zu verlieren, das war von Anfang an der Wesenskern des Boogie-Rodeos der Texaner.

Die Hombres lassen den Motor brummen

Billy Gibbons ist ein exzellenter Gitarrist mit untrüglichem Gespür für den effektiven Ton. Er kennt die Texas-Blues-Tradition, die langen, lässigen Linien von T-Bone Walker oder Gatemouth Brown, und lässt Hinweise aufblitze, dass er die durchaus in den Bluesrock übertragen könnte.

Aber die „Tres Hombres“, wie eine ihrer langlebigsten Platten heißt, mögen auch die rudimentären Boogies von John Lee Hooker, abgewürgte Akkordfolgen, aus denen Tonfetzen herausschlagen wie Flämmchen aus einem Triebwerk. Und so lässt Gibbons seine Melodielinien an der kurzen Leine, holt sie immer wieder zurück in Grundriffs, sorgt für einen Sound, der so viel mit dem Brummen hubraumfetter Motoren wie mit Musik zu tun hat. Auch darum dürfte ZZ Top bei Bikern und Hot-Rod-Fans so beliebt sein.

Gibbons hat sich nie in die Hysterie und Ekstase des Saitenhexerrocks hineinziehen lassen. Wichtig blieb stets der kompakte Bandsound, der auch heute keine Lücken lässt. Nur auf der Zugabe „Legs“ platzt Billy Hill mit seinem Bass mal heraus aus diesem Kilometerfressenbrummen, wie absichtlich, um klarzumachen, wie das alles auch klingen könnte.

Party in der Hütte

Wir haben Spaß, aber wir bleiben die Herren unseres Vergnügens, lautet die Botschaft der Dreierband. Wie cool sie wirklich ist, sieht man gut im Vergleich zu ihrer Vorgruppe, der Ben Miller Band, die Hillbilly, Deltablues und Kneipenrock kombiniert, aber sich im Lauf ihres Vierzig-Minuten-Sets doch ein wenig ins Frenetische treiben lässt, ins affektiert Ausgelassene: ZZ Top könnte das nie passieren.

Nein, diese Band prellt die Zuschauer nicht, wenn sie auch bei hypnotisch hämmernden Boogie-Stenos nie die Zügel schießen lässt: sie entspricht dann den Erwartungen. Die Schleyerhalle ist nicht einmal halb voll, ZZ Top konkurrieren mit dem WM-Spiel Ghana gegen Deutschland. Die älteren Semester sind in der Überzahl, manche wohl Fans seit den Siebzigern. Manche tragen ausgefranste Jeansjacken und Harley-Davidson-T-Shirts, einige sehr bieder gekleidete Pärchen könnten auch den Kuchenstand beim Kirchenbasar einer eher konservativen Gemeinde betreuen.

Alle zusammen vernehmen sie die gleiche Botschaft: Bei den Bärten brennt noch Licht, da ist noch Party in der Hütte – aber noch immer fällt keine Lampe um, geht kein Haus in Flammen auf. Das kann man langweilig finden oder erhebend. Nach dem Konzert sieht man draußen zufriedene Gesichter. Schaut einer finster, starrt er gerade auf sein Smartphone. Dort laufen die Nachrichten ein, dass die Jüngeren, die Kicker, nicht alles unter Kontrolle haben.