Literatur-Bilanz Die sieben wichtigsten Bücher des Jahrzehnts
Zwischen Suhrkamp-Krise und Nobel-Eklat: Was bleibt von der Literatur der zu Ende gehenden Dekade? In unserer Bildergalerie finden sie die Romane, die die wichtigsten Tendenzen und Entwicklungen abbilden.
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Foto Eduardo Castaldo/Umedia
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Das sollte man gelesen haben: Elena Ferrantes neapolitanischer Roman-Zyklus „Meine geniale Freundin“ war eine der großen Erfolgsgeschichten, hier eine Szene aus der Serienadaption. Klicken Sie sich durch die sieben Romane, die bleiben werden.
Foto AFP
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Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah „Americanah“ heißen jene, die aus den USA nach Afrika zurückkommen. Die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie macht aus den blinden Flecken des globalisierten Bewusstseins ein Meisterwerk der postnationalen Weltliteratur. Mit entwaffnender Wucht beschreibt sie, wie es ist, als gebildete, selbstbewusste Nigerianerin in die USA zu gehen und sich selbst zum ersten Mal als schwarz wahrzunehmen. Dem Rassismus entkommt man nicht, auch nicht in aufgeklärten weißen Ostküstenkreisen, die sich zugute halten, Obama gewählt zu haben. Dafür findet sich „Americanah“ auf der Liste mit Lieblingstiteln, die der frühere US-Präsident nach seiner Amtszeit veröffentlicht hat.
Foto dpa
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Wolfgang Herrndorf: Tschick 2010 begann die Abenteuerfahrt der beiden Freunde Tschick und Maik, die in einem gestohlenen Lada der Tristesse ihres normalen Lebens in Richtung Walachei zu entkommen versuchen. Der enorme Erfolg von Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ steht in Kontrast zu dem sanften Sehnsuchtszauber, mit dem er den Weg zurück in die Glücksprovinzen eines jugendlichen Aufbruchs bahnt. Seitdem träumt die junge deutsche Literatur vom „Tschick“-Effekt. Sie wirft sich in jugendliche Posen, müht sich mit Gewalt um den verlorenen Unschuldsblick und gleicht darin nur den stolzen Schwestern im Märchen, die vergeblich jene Gunst zu erschleichen trachten, die das Glück nur der Lautersten unter ihnen gewährt.
Foto André Loyning
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Karl Ove Knausgard: Min Kamp Zadie Smith denkt beim Namen des Autors an Crack. Wer einmal angefangen hat, kommt von dem Stoff nicht mehr los. Unter all den literarischen Verdopplern des Lebens, welche die Literatur der zehner Jahre prägen, ist Karl Ove Knausgard das Original. 2011 erschien mit „Sterben“ der erste Band seines sechsteiligen autobiografischen Romanzyklus „Min Kamp“ auf Deutsch. Während eine in sozialen Netzwerken gefangene und sich in Timelines ausstellende Generation danach trachtet, ihr Treiben gängigen Modellen anzuverwandeln, konzentriert sich Knausgards existenzielles Schreibprogramm gerade auf die Zweifel, Anfechtbarkeiten und Schwächen. Entstanden ist daraus ein großer, bewegender und tröstlicher Bildungsroman unserer Tage.
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Daniel Kehlmann: Tyll Manche halten den österreichischen Schriftsteller Daniel Kehlmann nicht erst seit seinem internationalen Durchbruch „Die Vermessung der Welt“ für einen literarischen Trickbetrüger, der mit schlau gemachter Romanartistik die Leute lustig an der Nase durch ehrwürdigste Bildungsgründe führt. In Zeiten, in denen Narren die Welt regieren, liest man seinen Eulenspiegelroman „Tyll“ mit gesteigertem Interesse. Dieser Gaukler jongliert mit Messern. Staunend verfolgt man, wie er seine Geschichten in der Luft hält, immer in der Furcht, sie könnten einem noch auf die Füße fallen. Was auch immer aus den Lesern des Romans wird – Tyll wird weiter durch die Zeiten tanzen.
Foto imago stock&people
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Michel Houellebecq: Unterwerfung Michel Houellebecq führt seine Bücher so nah an die Wirklichkeit heran, dass er immer wieder unter Verdacht geriet, nicht nur Romane, sondern auch die Drehbücher der laufenden Ereignisse geliefert zu haben. So war es 2015, als seinem neuen Roman das Gerücht vorauseilte, er schildere die islamistische Machtergreifung in Frankreich. Das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ hatte sich auf seiner Titelseite über die prophetischen Allüren des Autors mokiert, da geriet just am Erscheinungstag von „Unterwerfung“ die Redaktion ins Zielfeuer islamistischer Attentäter. Doch das in den Strudel terroristischer Ereignisse geratene Buch ist weit davon entfernt, rechte Phantasmen auszumalen. Houellebecq stellt der gebeutelten französischen Gesellschaft das Bild einer friedlichen, muslimisch regierten Nation gegenüber, deren polygame Verheißungen seinen sexuell frustrierten Schlappschwanz-Helden mit klammheimlicher Vorfreude erfüllen. Provokant genug.
Foto Eduardo Castaldo
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Elena Ferrante: Meine geniale Freundin Die Neapel-Saga der italienischen Autorin Elena Ferrante – wer auch immer sich hinter diesem Pseudonym verbergen mag – bringt alles zusammen: Das Buch ist Freundschaftsschwarte und Milieustudie, Genre und Welttheater, Lovestory und Memoir. Dass die beiden Mädchen aus einem kleinbürgerlichen Viertel am Rande der kampanischen Hauptstadt, die der engen Welt ihres Herkommens zu entrinnen versuchen, schließlich zu Filmfiguren werden, liegt in der Natur der Sache: Mit Serien teilt der Roman den langen Atem, das große horizontale Panorama – und die dazugehörige Suchtsymptomatik.
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Swetlana Alexijewitsch: Secondhand-Zeit Die weißrussische Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch hat den „Roman in Stimmen“ zu einer eigenen Kunstgattung entwickelt. In ihm kommen die Opfer des größten aller utopischen Experimente zu Wort, Menschen, die auf den Trümmern des Sozialismus ihre Hoffnungen und ihren Halt verloren haben. „Secondhand-Zeit“ ist ein gewaltiges Kaleidoskop aus Originaltönen, in dem sich das Leben seit dem Untergang des sowjetischen Imperiums 1991 abbildet. Es macht die kollektiven Denkmuster des Homo sovieticus sichtbar, die Kommunismus und Perestroika ebenso getragen haben wie die lupenreinen Demokraten, die darauf folgen. Aber vor allem rückt es die individuellen Geschichten derer ins Licht der Erinnerung, die in der offiziellen Geschichtsschreibung immer nur im Schatten des Plurals stehen.